Schambehaarung Im Waxfigurenkabinett

Der Besuch im Waxing-Studio ist so selbstverständlich geworden wie Haareschneiden beim Friseur. Jens Lubbadeh ist kritisch. Spätestens an der Pofalte hört es mit seinem Verständnis auf.
Weg mit den Haaren: Beim Waxen werden auch die Haarwurzeln entfernt, die Haare wachsen langsamer nach als beim Rasieren

Weg mit den Haaren: Beim Waxen werden auch die Haarwurzeln entfernt, die Haare wachsen langsamer nach als beim Rasieren

Foto: Corbis

Wie kann man da noch lächeln? Gerade hat die nicht unattraktive, vielleicht etwas zu doll geschminkte Dame mit den Latexhandschuhen heißes Wachs auf Tobis linken Oberschenkel geklatscht. Ich hatte Schmerzensschreie erwartet. Tobi lächelt. Sie schaut ihn skeptisch an: "Erstes Mal?", fragt sie. Tobi nickt - und lächelt.

Sie tastet den Wachsfleck mit den behandschuhten Fingern vorsichtig an. "Das könnte jetzt etwas weh tun", sagt sie bevor sie reißt. Ich erwarte wieder einen Schrei, aber es kommt keiner. Immerhin, Tobi lächelt jetzt nicht mehr. Auf seinem Oberschenkel klafft ein rechteckiger weißer Fleck. Niemals war Gänsehaut purer.

Wir waren unsicher, ob das Waxing nicht vielleicht zu doll für ihn sein würde. Aber die Idee erschien uns einfach zu reizvoll: Wir wollten Tobi bei seinem Junggesellenabschied enthaaren lassen. Ihn aus seiner Komfortzone locken. Ihn ein bisschen kitzeln.

Fremde Welten

Ich bin eigentlich kein Fan von Junggesellenabschieden, aber manchmal bietet einem dieses Ritual die Chance auf Einblicke in fremde Welten. Unglaubliche Welten, die man aus eigenem Antrieb niemals betreten hätte.

Waxing ist ein expandierendes Universum. In Deutschland sprießen Filialen wie Haare aus Unterschenkeln. Im Angebot: Brust, Rücken, Keule, Gemächt und... Pofalte. Pofalte? "Pofalte", sagt der Chef, als wir ungläubig in der Karte blättern. Die Spezialität des Hauses. Für nur 15 Euro kann man sie sich mähen lassen. Nein, das ist wirklich zu doll für Tobi, denken wir. Und für uns - schließlich schauen wir ja zu. Wir entscheiden uns "nur" für beide Oberschenkel. Kosten: 18 Euro.

Aber es gibt sie, die Menschen, die sich von Fremden heißes Wachs in ihren Hintern gießen und dann wieder rausziehen lassen. Bei Frauen kann ich das noch eher verstehen, die waren und sind schon immer näher am Thema dran gewesen. Aber auch immer mehr Männer mögen's faltenfrei, wie mir die junge Dame mit den Latexhandschuhen verrät. Zum Beispiel ihr Freund - alle vier Wochen lässt er sich einen Babypopo machen. Ich verkneife mir die Frage, wer dann das Vergnügen hat, die Prozedur an ihm durchzuführen. Regelmäßige Pofaltenenthaarung - vor zehn Jahren hätte ich das noch für krasse Science-Fiction gehalten, mindestens so unwahrscheinlich wie Replikanten oder Hoverboards.

Tobi lächelt 15 Minuten tapfer durch. Dann pudert die Waxerin noch seine Hähnchenschenkel durch. Rosigglatt wie sie sind, könnten sie glatt einem Replikanten im Waxfigurenkabinett gehören. Irgendwie seltsam: Nachbildungen und Originale nähern sich optisch einander stetig an.

O tempora, o mores!

Natürlich haben Menschen sich schon seit jeher die Haare entfernt. Erste Rasierschaber stammen aus dem 6. Jahrtausend vor Christus. Die alten Ägypterinnen bevorzugten schon damals den "Bikini complete", auch Hollywood-Waxing genannt, lange bevor es Bikinis und Hollywood gab. Und damals in der Schule war bei den Mädchen das Top-Thema, wer sich wann wie und wie oft die Beine rasierte - und vor allem, wer nicht. Mittlerweile machen sich die Mädels Gedanken um die Form ihrer enthaarten Schamlippen.

Gut, das Christentum hat seine Weile gebraucht, bis sich die No-Hair-Area auch auf den Bikini- und dann den Schambereich ausgebreitet hat. Aber die Pofalte? O tempora, o mores! Ob das wohl wehtut, wage ich die Waxerin nicht zu fragen - ich will nicht unmännlich erscheinen. Aber ich frage sie, ob man seine Pofalte wenigstens von einem Mann waxen lassen kann. Ob man sich da wirklich weniger schämt, weiß ich nicht - wir hatten das Thema ja schon mal bei den weiblichen Urologen. Sie grinst und schüttelt den Kopf. O tempora, o mores!

Waxing - Fragen an den Experten

Ist Waxen schonender als Rasieren?Welche Risiken gibt es?Woher stammt der Enthaarungs-Trend?

Der Trend ist aus den USA zu uns kommen, sagt Volker Steinkraus, Dermatologe in Hamburg im Interview. Immer kleinere Bikinis, immer mehr nackte Haut, immer mehr Porno - da hatten Haare keinen Platz mehr. Meine Meinung? Lieber Haare rausreißen als Haare spalten. Aber meine Pofalte gehört mir.

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