Überstunden und Schlaganfall-Risiko Arbeiten bis zum Umfallen

Risikofaktor Überstunden: Immer noch bei der Arbeit?
Foto: CorbisIn manchen Branchen sind Überstunden nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Verloren hat, wer vor dem Vorgesetzten das Büro verlässt. Und wer pünktlich geht, ist sowieso untendurch.
Auf eine mögliche Konsequenz des andauernden Arbeitsmarathons weisen Forscher im Fachblatt "The Lancet" hin: Wer viele Überstunden macht, hat demnach ein erhöhtes Schlaganfallrisiko. In Deutschland machen laut einer aktuellen Umfrage fast zwei Drittel der Berufstätigen regelmäßig Überstunden.
Das internationale Wissenschaftlerteam um Mika Kivimäki vom University College London trug Daten aus vielen veröffentlichten und unveröffentlichten Studien zusammen. So konnten sie Daten von rund 600.000 Menschen analysieren, die in Europa, Australien und den USA lebten.
Die Probanden wurden im Schnitt sieben bis achteinhalb Jahre lang begleitet. Knapp 4800 Teilnehmer entwickelten in dieser Zeit eine koronare Herzkrankheit, 1722 erlitten einen Schlaganfall. Diese relativ geringe Zahl erklärt sich dadurch, dass die Teilnehmer zu Beginn der Untersuchungen im Schnitt 40 Jahre alt waren und zu ihrem Ende entsprechend noch unter 50. Schlaganfälle treffen insgesamt aber meist Ältere, etwa die Hälfte der in Europa Betroffenen sind über 73 Jahre alt.
Die Wissenschaftler bedachten in ihrer Auswertung viele andere Faktoren, die die Gesundheit ebenfalls beeinflussen - vom Bluthochdruck bis zum Alkoholkonsum.
Verglich man nun die Vielarbeiter mit jenen, die 35 bis 40 Stunden in der Woche arbeiteten, zeigte sich:
- Wer 41 bis 48 Stunden pro Woche arbeitete, hatte ein zehn Prozent erhöhtes Schlaganfallrisiko.
- Bei denen, die 49 bis 54 Stunden arbeiteten, war es um 27 Prozent erhöht.
- Bei denen, die mindestens 55 Stunden arbeiteten, sogar um 33 Prozent.
Der Zusammenhang zwischen Überstunden und einer koronaren Herzerkrankung war weniger deutlich.
Der Zusammenhang zwischen Überstunden und dem Auftreten von Schlaganfällen war dagegen nicht nur bei Männern und Frauen gleich, sondern auch in allen untersuchten Ländern.
Mediziner sollten bedenken, dass ausgedehnte Arbeitszeiten mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einhergehen, sagt Kivimäki.
Stress und Sitzen
Aus biologischer Sicht sei der Zusammenhang einleuchtend, schreiben die Forscher. Zum einen könne er durch Stress erklärt werden, zum anderen durch das viele Sitzen im Fall von Bürojobs. Dazu komme, dass Vielarbeiter etwas häufiger zu riskanten Alkoholkonsum neigten - was wiederum ein Risikofaktor für Schlaganfälle ist.
In einem Kommentar in "Lancet" schreibt Urban Janlert von der Universität im schwedischen Umeå: "Arbeitsbedingungen beeinflussen die Gesundheit. Einige lassen sich schwer verändern, wie etwa die Arbeit unter Tage. Aber die Dauer eines Arbeitstags können Menschen bestimmen. Falls lange Arbeitszeiten ein Gesundheitsrisiko darstellen, sollte es möglich sein, diese zu verändern."
Zusammengefasst: Eine internationale Studie zeigt, dass Menschen, die viele Überstunden machen, häufiger einen Schlaganfall erleiden. Wenn Betriebsräte mahnen, dass Mitarbeiter weniger Überstunden machen sollen, können sie also künftig auch mit dem Schlaganfall-Risiko argumentieren.
So lief die Studie ab
Die Forscher trugen in Fachmagazinen veröffentlichte Daten sowie Informationen aus nicht-veröffentlichten Kohortenstudien aus Europa, Australien und den USA zusammen.
So konnten sie in Bezug aufs Risiko für koronare Herzkrankheiten auf die Informationen von rund 603.000 Menschen zugreifen, die im Schnitt achteinhalb Jahre beobachtet wurden. Fürs Schlaganfall-Risiko werteten sie Daten von knapp 530.000 Menschen aus, die im Schnitt sieben Jahre begleitet wurden.
Mit diversen Analysen schlossen die Forscher aus, dass zahlreiche andere Faktoren den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Schlaganfallrisiko erklären.
Die Menschen, die weniger als 35 Stunden pro Woche arbeiten, scheinen ebenfalls ein erhöhtes Schlaganfallrisiko zu haben. Allerdings war diese Beobachtung statistisch nicht signifikant. Mika Kivimäki erklärt dies in einer E-Mail an SPIEGEL ONLINE mit umgekehrter Kausalität: In dieser Gruppe finden sich eben auch Menschen, die aus Krankheitsgründen ihre Arbeitszeit reduziert haben. Dies wurde in früheren Studien bereits gezeigt.
Reine Beobachtungsstudien können per se keine ursächlichen Zusammenhänge beweisen. In diesem Fall kann man aufgrund der großen Datenmenge und der Tatsache, dass der Zusammenhang unabhängig von Land und Geschlecht bestand, von einem sehr starken Hinweis sprechen - und Überstunden als Risikofaktor für Schlaganfälle werten.
Auf welchem Weg sie das Risiko erhöhen, muss man noch klären. Stress, langes Sitzen, ungesündere Ernährung, weniger Schlaf - das sind nur ein paar mögliche Ansätze.

Nina Weber ist Biochemikerin und Krimiautorin mit einem Faible für kuriose Studien. Sie ist Redakteurin im Ressort Gesundheit bei SPIEGEL ONLINE.