Knirschen im Schlaf Gefahr im Kiefer

Schmerzen im Kiefer: Die meisten Zähne-Knirscher spüren morgens, wie stark sie nachts gemahlen haben
Foto: CorbisSPIEGEL ONLINE: Herr Frankenberger, kann ein Zahnarzt an den Zähnen erkennen, ob man knirscht?
Frankenberger: Ob jemand knirscht, sieht man an charakteristischen Facetten auf den Kauflächen. Diese Bereiche sind wie eingeebnet und hochglanzpoliert. Das kann so weit gehen, dass Patienten keinen Schmelz mehr auf der Kaufläche haben.
SPIEGEL ONLINE: Könnte dieser Schaden auch durch Säure hervorgerufen werden?
Frankenberger: Ich habe auch Patienten gesehen, die durch Säure keinen Schmelz mehr auf den Kauflächen hatten. Aber man kann erkennen, ob jemand häufiger erbricht, ob jemand Magensäure aufstößt oder ob jemand Schäden durch Fruchtsäure hat. Säure-Erosionen sehen anders aus als Knirsch-Abrieb. Das kann ein Zahnarzt definitiv unterscheiden.
SPIEGEL ONLINE: Was ist, wenn noch niemand etwas von diesem ominösen Knirschen mitbekommen hat?
Frankenberger: Das ist bei mir genauso. Ich knirsche in stressigen Zeiten nachts über die Eckzähne. Meine Frau hat noch nie etwas gehört - aber ich sehe das ganz deutlich, wenn ich in meinen Mund schaue. Wenn man noch ein Gipsmodell des Gebisses macht, sieht man zu 100 Prozent, ob jemand knirscht oder nicht und kann auch die Intensität erkennen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie eine Knirsch-Schiene?
Frankenberger: Nein. Ich weiß, ich sollte eine benutzen, irgendwann einmal. Aber bislang habe ich weder deutliche Abnutzungen noch Kiefergelenksknacken, noch Schmerzen, also ist es nicht so dringend. Aber ich sollte es nicht aus den Augen verlieren.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt in meinem Bekanntenkreis kaum noch Leute, die keine Schiene haben. Man hat den Eindruck, jeder bekommt eine - weil es eine gute Einnahmequelle für Zahnärzte ist...
Frankenberger: Knirschen ist weit verbreitet. Die Frage ist, wie ausgeprägt es ist. Wie viel Zahnsubstanz geht verloren? Werden die Kiefergelenke geschädigt? Es gibt Patienten, bei denen ist das Knirschen so extrem, dass sie mit Rückenverspannungen aufwachen, weil es sich über die Muskelketten fortpflanzt. Bei anderen ist es relativ milde. Man muss sich natürlich fragen, ob wirklich in jedem Fall eine Schiene nötig ist. Aber auf der anderen Seite ist eine Schiene ja auch kein Schaden - sie schützt die Zähne in jedem Fall und fängt Kräfte ab.
SPIEGEL ONLINE: Gibt es ernsthafte Gefahren durch Zähneknirschen?
Frankenberger: Kaumuskeln sind die stärksten Muskeln im ganzen menschlichen Körper, darüber muss man sich im Klaren sein. Ich habe das im Rahmen einer Doktorarbeit bei mir mal gemessen - ich könnte mit meiner Kaumuskulatur bis zu 200 Kilogramm heben. Wenn sich diese Kraft nachts unkontrolliert austobt, ist das eine Gefahr nicht nur für die Zähne, sondern auch für das Kiefergelenk.
SPIEGEL ONLINE: Was kann eine Kunststoffschiene da bewirken?
Frankenberger: Die Schiene schützt die Zähne. Meine Patienten zerbeißen sie regelmäßig - anstatt ihre Zähne zu zerkauen. Bei manchen Patienten bewirkt die Schiene auch, dass sie nachts weniger oder gar nicht mehr knirschen.

Abdruck mit Kunststoff-Schiene: Schutz für die Zähne
Foto: Daniel Maurer/ picture alliance / dpaSPIEGEL ONLINE: Wenn man eine Knirscher-Schiene jede Nacht trägt - kann man dann den Verlust von Zahnsubstanz ganz vermeiden?
Frankenberger: Wenn die Schiene regelmäßig kontrolliert wird, ja. Wenn sie durchgebissen ist, braucht man eine neue. Es gibt aber auch viele Patienten, die eine Schiene haben und sie nicht regelmäßig tragen. Das Knirschen ist meist ein dynamischer Prozess mit heftigeren und milderen Phasen. Eine Schiene hilft dabei immer.
SPIEGEL ONLINE: Kann es helfen, die Schiene auch am Tag zu tragen?
Frankenberger: Niemand knirscht tagsüber wild mit seinen Zähnen. Wenn man wach ist, kann man das selbst kontrollieren. Der ein oder andere beißt vielleicht die Zähne fest zusammen und übt auch mit der Zunge gehörigen Druck aus, aber mahlen wird keiner so richtig. Tagsüber muss man die Schiene deshalb in der Regel nicht tragen.
SPIEGEL ONLINE: Und wenn man trotz Schiene Zahnsubstanz verliert? Ist das ein Hinweis darauf, dass der Verlust doch nicht auf Knirschen zurückgeht, sondern eine andere Ursache hat?
Frankenberger: Das kenne ich nur von Patienten, die zwar eine Schiene haben, sie aber nicht immer tragen. Natürlich kann aber zusätzlich zum Knirschen auch Säure-Erosion schuld am Verlust von harter Zahnsubstanz sein.
SPIEGEL ONLINE: Ist der Nutzen der Schienen wissenschaftlich belegt?
Frankenberger: Ja. Im Übrigen muss sich niemand grämen, weil er mit den Zähnen knirscht. Mir ist es lieber, jemand arbeitet seinen Stress an den geschienten Zähnen ab, als dass er alles in sich hineinfrisst und ein Magengeschwür bekommt.
Roland Frankenberger ist Direktor des Instituts für Zahnerhaltungskunde an der Universität Marburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung.