Mundhygiene Ist Zahnseide wirklich nötig?

Die USA haben ihre Gesundheitsempfehlung für Zahnseide aufgehoben. Die wissenschaftlichen Belege seien zu dünn. Zahnärzte empfehlen inzwischen eine andere Methode.
Demonstration von Zahnseide

Demonstration von Zahnseide

Foto: Julio Cortez/ AP

Der Nutzen von Zahnseide sei nicht bewiesen, berichtete die Nachrichtenagentur AP kürzlich. Zwar werde überall empfohlen, man solle täglich Zahnseide benutzen, um Zahnfleischentzündungen und Löcher zu verhindern. Aber die Beweislage zugunsten von Zahnseide sei dünn.

Die Regierung, Zahnarzt-Vereinigungen und Zahnseide-Produzenten hätten die Praktik trotzdem Jahrzehntelang forciert. Erst als die AP die zuständigen Ministerien nach der Beweislage gefragt hatte, gab die Regierung zu: Der Nutzen der Zahnseide sei nicht erforscht. Die Empfehlung wurde aus den Dietary Guidelines for Americans  gestrichen - Richtlinien für ein gesundes Leben, die es in Deutschland in dieser Form nicht gibt.

Was bedeutet das für die Putzroutine?

Heißt das, jeder kann endlich die ungeliebte Zahnseide entsorgen und es beim Putzen mit der Bürste belassen?

"Ich hoffe sehr, dass daraus nicht eine Debatte wird, ob es sinnvoll ist, die Zahnzwischenräume zu reinigen oder nicht. Denn das Reinigen ist unbedingt zu empfehlen", sagt Christof Dörfer von der Universität Kiel, der auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (die Lehre vom Zahnhalteapparat) ist.

Mit der Zahnbürste erreiche man diese Zwischenräume nicht, daher müsse anderes Werkzeug her. "Die Zahnseide", sagt er, "ist nur eines der Hilfsmittel, mit denen sich die Zahnzwischenräume putzen lassen. Und wie die anderen auch ist sie nicht perfekt."

Parodontitis: acht Millionen Betroffene in Deutschland

Generell dienen das Zähneputzen und die Pflege der Zahnzwischenräume dazu, den Belag, der sich ständig bildet, zu entfernen. In diesem Belag, auch Plaque genannt, leben zahlreiche verschiedene Mikroorganismen, darunter auch welche, die Zähne und Zahnfleisch angreifen können. Plaque gilt deshalb als Risikofaktor für eine Zahnfleischentzündung (Gingivitis).

Aus dieser Entzündung kann sich wiederum mit der Zeit eine Parodontitis entwickeln, bei der größere Teile des Zahnfleisches sowie die darunterliegenden Knochen angegriffen werden. Schlimmstenfalls endet die Parodontitis mit dem Verlust von Zähnen. Experten schätzen, dass etwa acht Millionen Menschen in Deutschland eine Parodontitis haben, die behandlungsbedürftig ist.

Beeinflusst wird das nicht nur von der Zahnpflege. Zum Beispiel erhöht Rauchen das Entzündungsrisiko, Essensgewohnheiten spielen eine Rolle - und auch die Vererbung beeinflusst, wie schnell Zähne und Zahnfleisch eine schlechte Behandlung übelnehmen.

"Eine gewisse Menge an Belag ist normal"

"Eine gewisse Menge an Belag ist normal, so wie zum Beispiel der Darm auch mit Bakterien besiedelt ist", sagt Dörfer. Aber es sei wichtig, Auswüchse zu vermeiden, weil sich sonst das Gleichgewicht der Mikroorganismen verschieben könne, was dann wiederum Zahn und Zahnfleisch schädigen könne. Der Zahnarzt vergleicht das mit der Pflege eines englischen Rasens: "Den müssen sie auch regelmäßig mähen, sonst wird er von Unkraut überwuchert."

Laut Dörfer ist Zahnseide ohnehin nicht mehr das, was Zahnärzte zur Pflege der Zahnzwischenräume zuerst empfehlen. Stattdessen wird inzwischen zu Interdentalbürsten geraten,  wenn zwischen den Zähnen genug Platz ist, sie einzusetzen. Während die Zahnbürste zweimal täglich zum Einsatz kommen sollte - mit fluoridhaltiger Zahnpasta - reiche es, die Interdentalbürsten einmal täglich zu benutzen.

Auch sie haben ihre Nachteile, sagt Dörfer. "Man braucht einen Profi, der sich die Zeit nimmt, die richtigen Größen auszuwählen und erklärt, wie man die Bürsten richtig benutzt." Dann seien Interdentalbürsten aber deutlich einfacher anzuwenden als Zahnseide, sagt Dörfer. Trotzdem können auch sie, wenn sie zu rabiat eingesetzt werden, Schaden anrichten, genauso wie Zahnbürste und -seide.

Wie steht es denn nun um die Beweislage?

Die Studienlage ist, für Interdentalbürsten ebenso wie für Zahnseide, tatsächlich dürftig.

Ein Überblick der  unabhängigen Cochrane Collaboration kam 2013 zum Schluss, dass der Zahnbelag weniger wurde und sich das Zahnfleisch seltener entzündete, wenn zusätzlich zur Zahnbürste auch Interdentalbürsten genutzt wurden. Außerdem schienen die Bürsten effektiver Zahnfleischentzündungen zu verhindern als Zahnseide.

Allerdings bemängeln die Forscher die Qualität der Studien. 2015 kam eine Gruppe der europäischen Gesellschaft für Parodontologie trotzdem zum Schluss, dass Interdentalbürsten überall dort empfohlen werden sollten , wo sie einsetzbar sind.

Auch in einer Überblicksarbeit von 2011   zur Zahnseide kritisierten Cochrane-Forscher die durchgeführten Untersuchungen - alle Schlüsse, die man daraus ziehen könne, seien entsprechend unzuverlässig.

Dörfer geht die Frage, ob die Bürsten und die Seide etwas bringen, trotzdem pragmatisch an: "In der Mundhygiene ist alles erlaubt, das zum Ziel führt und nicht schadet. Wichtig ist, dass der Anwender sich damit wohlfühlt, und das Hilfsmittel regelmäßig anwendet."

Wer mit Zahnseide gut klarkomme, müsse nicht auf Interdentalbürsten wechseln. Wem die Bürsten zu teuer seien, der solle lieber Zahnstocher nutzen, als die Zahnzwischenräume komplett zu ignorieren. "Allerdings reinigen die Interdentalbürsten mit Abstand am besten."

Test der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie: "Wie gesund ist Ihr Zahnfleisch?" 

Zusammengefasst: In den USA wurde nach Jahrzehnten die Empfehlung aufgehoben, die Zahnzwischenräume mit Zahnseide zu reinigen. Ein deutscher Experte stellt klar, dass inzwischen ohnehin eher zu Interdentalbürsten geraten wird.

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