Vorsorge-Behandlung Was Ihren Zähnen wirklich hilft

Fissuren versiegeln, professionelle Reinigung, Fluoridierung - viele Zahnärzte empfehlen ihren Patienten teure Vorsorgebehandlungen. Dabei ist der medizinische Nutzen oft nicht erwiesen, meist reicht normales Zähneputzen völlig aus.
Zahnseide: Beläge und Essensreste aus den Zahnzwischenräumen entfernen

Zahnseide: Beläge und Essensreste aus den Zahnzwischenräumen entfernen

Foto: OBS/ proDente

Zahnersatz kann eine kostspielige Angelegenheit sein. Deshalb sammeln viele gesetzlich Versicherte fleißig Stempel in ihrem Bonusheft. Einmal jährlich lassen sie sich von ihrem Zahnarzt bescheinigen, dass sie bei der Vorsorgeuntersuchung waren. Denn nur wer regelmäßig erscheint, erhält von seiner Kasse im Fall eines Befundes auch höhere Zuschüsse.

Für viele Zahnärzte ist die Untersuchung eine willkommene Gelegenheit, dem Patienten spezielle Leistungen anzubieten - von der professionellen Zahnreinigung über die Fissurenversiegelung bis hin zur Fluoridierung der Zähne.

So stehen Patienten in der Zahnarztpraxis häufig vor schwierigen Entscheidungen, ohne recht einschätzen zu können, ob und welche Methode oder Behandlung einen wirklichen Nutzen für sie hat. Das Problem: Die Zahnmediziner wissen es oft selbst nicht so genau. "Für viele Behandlungsmethoden in der Zahnmedizin existieren keine evidenzbasierten Standards", sagt Harald Terpe von den Grünen, der bis 2005 als Oberarzt am Uni-Klinikum Rostock arbeitete und sich nun als Bundestagsabgeordneter für Patientenrechte einsetzt.

Es gibt kaum Studien

Das musste auch jüngst die Bundesregierung als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen einräumen. Demnach besteht bei der Versorgungsqualität in der Zahnmedizin "noch ein weites Feld für wissenschaftliche Studien", insgesamt beruhe sie lediglich "auf bewährten Standards". Mit anderen Worten: Grundlage vieler Behandlungsmethoden sind eben nicht die besten zur Verfügung stehenden Ergebnisse aus qualitativ hochwertigen Studien, also dem, was die Wissenschaft Evidenz nennt.

Die Dentalindustrie etwa wirbt mit Neuheiten, und in einer Art Learning-by-doing-Phase wird in den Zahnarztpraxen ausprobiert, was davon für wen etwas taugt. Leitlinien, die den aktuellen Wissensstand für Diagnose und Therapie bündeln, gibt es in der Zahnmedizin bisher nur neun. Was dem Patienten angeboten wird, kann also besser sein als der Standard, sicher weiß man es aber nicht.

Zehn weitere Leitlinien seien in Planung, sagt Henning Schliephake, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK). Grundsätzlich könne aber nicht für jede Behandlung die beste Therapie in randomisierten, kontrollierten Studien identifiziert werden, weil dies zum Teil ethischen Standards widerspreche - wenn man etwa der Kontrollgruppe in einer Studie nachweislich karieshemmende Maßnahmen vorenthält. Ersatzweise, so Schliephake, sei es möglich, "und dies wird auch nach Kräften betrieben, einen Konsens im Sinne einer 'good clinical practice' zu erzielen."

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Fissurenversiegelung und Fluodierung: Guter Schutz vor Karies

Studien belegen: Bei Menschen mit tiefen Rillen in den Kauflächen der Backenzähne ist es sinnvoll, diese sogenannten Fissuren zu versiegeln. Das schützt vor einer Besiedlung mit Bakterien, die den Zahnschmelz angreifen und zu Karies führen können. Auch Eltern, die damit die Zähne ihrer Kinder schützen wollen, können sich auf eine Leitlinie der höchsten Qualitätsstufe (S3) verlassen.

Eine Versiegelung macht jedoch nur bei Fissuren Sinn. "Sonst kann sich im schlimmsten Fall darunter Karies bilden", sagt Gregor Bornes, bundesweiter Zahnexperte der Unabhängigen Patientenberatung UPD.

Bei der Zahnpflege zu Hause lohnt sich die Anwendung von Fluorid-Zahnpasta, von Fluorid-Gelen und Fluorid-Spüllösungen, sagt Stefan Zimmer, Professor für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke: "Das hat einen erwiesenen Nutzen für die Zahngesundheit." Die Fluoridierung schützt vor Karies - bei schlechter Mundhygiene und häufigem Zuckerkonsum (auch in Getränken) reicht es allerdings nicht. Und wer zu Hause Fluoridtabletten verwendet, sollte auf fluoridiertes Speisesalz verzichten und Kindern bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres fluoridfreie Zahnpasta geben.

Karies

Professionelle Zahnreinigung: Nutzen unklar

Eines steht für Zahnärzte fest: Eine intensive Prophylaxe verbessert die Mundgesundheit deutlich. Seit vielen Jahren geht die Karies zurück, und weniger Zähne werden gezogen. Doch worauf sich das zurückführen lässt, ist streng genommen wissenschaftlich nicht bewiesen. Dass die Menschen ihre Zähne immer besser und konsequenter putzen, spielt mit Sicherheit eine große Rolle. Aber auch die verstärkte Verwendung von fluoridiertem Speisesalz und eine gesündere Ernährung stehen damit im Zusammenhang.

In jedem Fall kommt es auf die richtige Technik beim Zähneputzen an. Nur wer gut und richtig putzt, entfernt damit die weichen Beläge auf den Zähnen. Die harten Beläge sollte dann der Zahnarzt entfernen. Diese Zahnsteinentfernung ist aber nur einmal jährlich eine kostenlose Kassenleistung.

"Eine professionelle Zahnreinigung braucht man dann eigentlich nicht", sagt Bornes, auch wenn die Bundeszahnärztekammer stetig dafür werbe. Denn der medizinische Nutzen einer solchen Reinigung (PZR) ist Experten zufolge unklar. So erläuterte jüngst der Medizinische Dienst des GKV-Spitzenverbandes (MDS), dass es keine aussagekräftigen Studien gebe, die untersucht haben, ob die PZR die Zahngesundheit tatsächlich positiv beeinflusst. Diese müssen Kassenpatienten in der Regel selbst zahlen.

Eine Studie, die das Thema PZR zumindest berührt, erlaubt dem MDS zufolge den Schluss, dass das Gebiss besser gepflegt ist und Zahnfleischentzündungen seltener sind, wenn der Patient die richtige Zahnpflege - bestehend aus Zähneputzen und der Verwendung von Zahnseide zur Reinigung der Zwischenzahnräume - genau erklärt und gezeigt bekommt. Probanden, deren Zähne zusätzlich professionell gereinigt wurden, schnitten nicht besser ab.

Zähneputzen
Foto: dapd

Machen Sie es richtig?Worauf kommt es beim Zähneputzen an?Was sagt der Zahnarzt?

Sind elektrische Zahnbürsten effektiver als das Putzen von Hand? Zwar wurde das schon mehrfach untersucht. Klar scheint aber bisher nur, dass vor allem ältere Menschen mit eingeschränkter Motorik davon profitieren.

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Materialien und Geräte: Nicht jeder Schnickschnack ist notwendig

Auch bei Implantaten muss nicht jede Neuheit besser sein als das Bewährte. Rund eine Million solcher Schrauben, die die Zahnwurzel ersetzen, werden pro Jahr eingesetzt. Deutschland ist weltweit der drittgrößte Implantatmarkt der Welt. Und offensiv beworbene Neuheiten kurbeln das Geschäft an. Neue Formen, neue Materialien, kleinere Größen werden immer wieder angeboten. Doch Langzeitstudien gibt es dazu meist nicht. Außerdem, sagt Gregor Bornes, finden Studien oft in Universitäten unter sehr kontrollierten Bedingungen statt. "Ob der Zahnarzt genauso arbeitet, wird nicht überprüft."

Zur Vorsicht raten Verbraucherschützer auch bei Zusatzbehandlungen: Immer öfter wird Patienten der Einsatz eines Lasers bei Parodontitis- oder Wurzelkanalbehandlungen angeboten. Ob die Zähne dadurch länger leben, ist aber nicht bewiesen. Vieles werde den Zahnärzten von Herstellern angeboten, inklusive Berechnung, wie schnell sich das Gerät amortisiert, "selten mit einem klaren Beweis für den wissenschaftlichen Nutzen", so Bornes.

Die Verbraucherzentrale (VZ) kritisiert zudem die fehlende Kontrolle: "Es gibt in der Zahnmedizin so gut wie keine Qualitätssicherung", sagt Christoph Kranich von der VZ Hamburg. Das könne teilweise zur "Geldbeutel-Evidenz" führen: Weil keiner guckt, wird das gemacht, was am meisten einbringt.

Zumindest beim Zahnersatz gibt es aber ein recht vorbildliches Überprüfungsinstrument: Für neu eingesetzte Brücken, Kronen, Prothesen und jeglichen anderen Zahnersatz gilt eine Gewährleistungsfrist von zwei Jahren. In dieser Zeit muss der Zahnarzt Probleme auf eigene Kosten beheben, wenn die Gründe für die Reparatur in seiner Verantwortung liegen. Bei Problemen können auch Mängelgutachten erstellt werden.

Mit Material von dpa

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