Psychisch Kranke Bundestag billigt Zwangsbehandlungen im Notfall

Therapie unter Zwang: Im Notfall zulässig
Foto: CorbisBerlin - Psychisch kranke Menschen dürfen in geschlossenen Einrichtungen wieder gegen ihren Willen mit Psychopharmaka behandelt werden. Der Bundestag verabschiedete am Donnerstagabend eine Regelung, mit der solche Zwangsmaßnahmen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Dies soll für jene Fälle gelten, in denen Patienten eine Behandlung ablehnen und ihnen dadurch ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht.
Die Neuregelung war aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden. Die Verfassungsrichter hatten im April 2011 entschieden, dass bisher eine rechtliche Grundlage für eine Zwangsbehandlung von in der Psychiatrie untergebrachten Straftätern, psychisch Kranken oder geistig Behinderten etwa mit Psychopharmaka fehlt. Der Bundesgerichtshof dehnte diese im Juli vergangenen Jahres auf psychisch Kranke und geistig Behinderte aus. Seitdem waren solche medizinischen Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Kliniken vorerst nicht mehr möglich.
Der Gesetzentwurf von Union und FDP legte nun die Bedingungen fest, unter denen Zwangsbehandlungen erlaubt sind: Voraussetzung ist etwa, dass einem Patienten ohne Eingreifen erhebliche Gesundheitsschäden drohen. Ein Richter muss den Schritt genehmigen, und der Patient muss sich in stationärer Behandlung befinden, also in einer Klinik versorgt werden und nicht in einer Praxis oder Zu Hause. Auch die Unterbringung des Kranken in einer geschlossenen Einrichtung bedarf der Einwilligung durch das Gericht. Zudem soll nach Möglichkeit ein zweiter Arzt die Notwendigkeit der Behandlung bestätigen. Grundsätzlich sollen Zwangsbehandlungen nur in Ausnahmefällen möglich und "das letzte Mittel sein".
Ambulante Zwangsbehandlungen sind nicht erlaubt
"Wir brauchen eine Regelung für (...) die Ausnahmesituation, wenn es anders gar nicht geht", hatte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zuvor im Deutschlandradio Kultur erklärt. Die Bundesjustizministerin hatte die Vorwürfe zurückgewiesen, es habe keine ausreichend breite gesellschaftliche Debatte über das Thema gegeben. Es seien "mit allen Verbänden, auch mit den kritischen Verbänden der Psychiatrieerfahrenen intensive Gespräche geführt" worden, sagte sie und verwies darauf, dass weitergehende Forderungen aus den Landesregierungen, eine Zwangsbehandlung auch ambulant anwenden zu können, zurückgewiesen worden seien.
Betroffenen-Vertreter hatten die Gesetzespläne scharf kritisiert und Zwangsbehandlungen als Folter bezeichnet. Die Linke, die als einzige Bundestagsfraktion gegen das Gesetz stimmte, sprach von einem schweren Eingriff in die Grundrechte und fraglichem Nutzen. Vertreter aus der Psychiatrie wie die Bundespsychotherapeutenkammer befürworteten hingegen die Neuregelung.
Die Bundespsychotherapeutenkammer warnt davor, eine Zwangsbehandlung vorschnell anzuwenden. Wichtiger seien eine intensive Betreuung und eine Behandlungsvereinbarung, in denen ein Patient vertraglich festlegen könne, wie er behandelt werden möchte, wenn er vorübergehend nicht zu einer Entscheidung fähig sei.
Etwa 1,2 Millionen Menschen werden jedes Jahr stationär in psychiatrischen Einrichtungen therapiert. Etwas mehr als zehn Prozent davon landen gegen ihren Willen dort. Unklar ist aber, wie viele Patienten in solchen geschlossenen Stationen ohne ihre Zustimmung Medikamente bekommen oder andere medizinische Eingriffe über sich ergehen lassen. Belastbare Zahlen dazu gibt es nicht.