Achilles' Verse Läufer wissen, was SM ist

Brennen im Schritt, Psychoterror, Demütigung: Hobbyläufer kennen das ganze Programm, das via "50 Shades of Grey" gerade die Nation aufgeilt.
Immer schön den Berg rauf: Läufer verstehen etwas von Schmerzausdauer

Immer schön den Berg rauf: Läufer verstehen etwas von Schmerzausdauer

Foto: Corbis

Am Sonntagmorgen plumpste Klaus-Heinrich grußlos aus dem Auto auf den Waldparkplatz. Hatte er seine Trainingspanik am Vorabend wieder mal mit Rotwein verscheucht? Marathon-Vorbereitung  und Alkoholismus laufen oft parallel. "Renate", röchelte Klaus-Heinrich und zupfte sich Reste von Klebeband aus dem Mundwinkel.

Dort wo einst eine Pulsuhr prangte, schloss sich eine einzelne Schelle ums Handgelenk. Alles klar. Ein weiteres 50-Shades-of-Grey-Opfer. Klaus-Heinrich hatte sich auf Geheiß seiner Laufgruppen-Bekanntschaft Renate wahrscheinlich in sein Triathlon-Neopren zwängen und Hasenohren aufsetzen müssen.

Kennt man ja: Erst verschämtes Gackern über den Geranien-Sadomaso, der gerade um sich greift, dann diskreter Baumarktbesuch, dabei zum Glück nicht am falschen Ende gespart und die kleine Akku-Flex mitgenommen. Dann Kino, heimlich mitgeschrieben und die Übungen daheim eifrig nachgeturnt. Schließlich den Partner fluchend vom Heizungsrohr geflext. War doch keine gute Idee, einen Hustenanfall zu bekommen just in dem Moment, da die Handschellenschlüssel spielerisch auf der Zunge lagen. Um die Pulsader zu schonen, mit der Flex nur die Kette gekappt. Zum Glück erlaubt das Wetter noch langärmelig.

Salz in die offene Fleischwunde

Das grassierende Fesselfieber ist ein Geschenk für Hobbyläufer. Endlich sind wir trendmäßig auch mal vorn. In Sachen Schmerzausdauer macht uns keiner was vor. Wer je einen intellektuell unterausgestatteten Trainer erlebte, der seine Athleten mit Sprüchen aus dem Rommel-Sortiment über die Tartanbahn peitschte, der weiß, was Unterwürfigkeit ist. Wer je das Reiben der Oberschenkel verspürte, weil die Naht der Laufhose geplatzt war, wer das Schweißsalz langsam ins offene Fleisch dringen fühlte und noch sieben Kilometer bis zur Zivilisation vor sich hatte, der weiß wirklich, was SM ist, vor allem M. Die gute Nachricht: Man kann sich an das Brennen im Schritt gewöhnen. Die schlechte: Die nächsten zwei Wochen.

Lauftraining bringt allemal mehr Schmerz, Blut und Psychoterror als die cineastische Kuschelpeitsche. Blaue Zehen zum Beispiel. Wobei Schmerzexperten streiten, ob der Moment kurz vor oder gleich nach dem Ablösen des Nagels ekliger ist. Anfänger wie meine Nichte Anna jaulen ja schon wegen einer Blutblase  an der Hacke. Kindergeburtstag. Nadel rein, Faden durchgezogen und fertig ist die Drainage. Damit kann man locker noch viermal 2000 Meter Tempo machen. Brennt auch schön.

Psychospiele auf der Laufstrecke

Dominanzgelüste kennzeichnen ja unsichere Menschen. Aber manchmal macht es dennoch Spaß, charakterliche Schwäche auszuleben. Dazu braucht man einfach nur einen langsameren Trainingspartner, zum Beispiel die kleine Anna. Neulich waren wir zu einem entspannten Mittagslauf im Park unterwegs, kurz, dafür topfeben. Einzige Prüfung: etwa 50 Meter milder Anstieg.

"Los komm, um die Wette", rief ich. Mit jugendlichem Ehrgeiz rannte sie los, ich bremste mich und schnaufte zugleich dramatisch knapp hinter ihr, damit sie das Gefühl bekam, so richtig schnell zu sein. Sie stolzierte über den Zielstrich. Die Falle schnappte zu.

"Schaffste etwa noch mehr?", fragte ich japsend.

"Klar", sang sie. Die Aussicht, ihren Onkel wenigstens einmal im Leben zu besiegen, hatte sie blind gemacht.

"20 Stück", sagte ich, in der Gewissheit, dass sie mich auf zehn herunterhandeln würde.

Aber das junge Ding sagte einfach nur: "Okay."

Die ersten fünf Maulwurfhügelsprints lief sie noch ganz gut. Dann wurde sie mit jedem Mal langsamer. Laktat legt den Menschen zuverlässiger lahm als Lassoband. Nach der zehnten Wiederholung musste das Nichtelchen tatsächlich gehen. Nichte leer. Teil zwei der Demütigung konnte beginnen. Der Herr Onkel spielte seine legendäre Ausdauer aus. Drei Runden später hatte ich die Marschiererin überrundet. Perfekter Psychoterror. Zu schwach zum Heulen, weinte sie bitterlich nach innen. Achim Grey hatte zugeschlagen und das vorwitzige Ding zurechtgewiesen. Wie billig. Genau deswegen ein wirklich gutes Gefühl.

Auf dem Weg nach Hause rasch ein paar Klimmzüge auf dem Spielplatz, eine Reihe Liegestütze auf dem Rasen und einige quälend lange Planks, nachdem die Body Drops absolviert waren. Anna torkelte hilflos durch die Rabatten. Ihre Schritte klangen wie fallende Waschbetonplatten. Sie japste, ich genoss. Lauf-SM bezieht ihren besonderen Reiz aus vielsagendem Schweigen. Aber auch das wusste die kleine Anna nicht. "Du Arsch" zischte sie, als ich ihren angestrengten Schlusssprint im Rückwärtslaufen gekontert hatte. Ich liebe sie auch.

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