Der Vollkorn-Vorteil Kalorien sparen, aber gleich viel essen
Zugegeben, Pfannkuchen aus Vollkornmehl sind einfach nicht dasselbe wie ihr helles Pendant. Da bringt selbst Nutella nichts mehr. Abseits solcher wohligen Sünden aber lässt sich das Weißmehl in Nudeln, Brot oder Reis oft einfach und wohlschmeckend durch Vollkornprodukte ersetzen. Die Gesundheit dankt, wie eine Reihe von Untersuchungen zeigt.
Mit der Aufnahme von Vollkornprodukten und den darin enthaltenen Ballaststoffen sinkt das Risiko für Darmkrebs, auch Herzinfarkt und Diabetes treten seltener auf. Jetzt kann diese Liste um einen weiteren Punkt ergänzt werden. Einer aktuellen Studie zufolge lassen sich mit Vollkornprodukten auch noch Kalorien einsparen - ganz ohne Essensverzicht oder zusätzlicher Bewegung.
Vollkornprodukte: von fast null auf hundert
Für ihre Untersuchung versorgten die Forscher um Philip Karl von der Tufts University in Boston 81 erwachsene und gesunde Nichtraucher acht Wochen lang komplett mit Lebensmitteln, sie tischten ihnen Frühstück auf, kochten Mittag- und Abendessen. Alles, was die Teilnehmer übrig ließen, sollten sie zurückgeben. Auf diese Weise überwachten die Forscher genau, was jeder zu sich genommen hatten. Zusätzlich kontrollierten sie anhand von Blutwerten, dass niemand heimlich im Burger-Laden nebenan naschte.
Zu Beginn der Studie aß fast keiner der Teilnehmer Vollkornprodukte. Ballaststoffe, die in der Hülle von Getreide, in Obst und Gemüse stecken, nahmen sie kaum zu sich. Das ist zwar ungesund, aber typisch für eine westliche Ernährung. Innerhalb der nächsten Wochen änderte sich das für die Hälfte der Teilnehmer drastisch. Dafür unterteilten die Forscher ihr Experiment in zwei Phasen:
- Innerhalb der ersten zwei Wochen erhielten noch alle Teilnehmer ihr gewohntes Essen mit hellem Brot, hellen Nudeln und hellem Reis. Vollkornprodukte gab es nicht. Diese Zeit nutzten die Forscher, um Basiswerte zu messen und zu ermitteln, wie viele Kalorien jeder braucht, um sein Gewicht zu halten. Dann begann das eigentliche Experiment.
- In den folgenden sechs Wochen ersetzten die Forscher bei der Hälfte der Teilnehmer alle Weißmehlprodukte durch Vollkornlebensmittel. Im Schnitt aßen die Teilnehmer dieser Gruppe dadurch 200 Gramm Vollkornprodukte pro Tag, während die anderen weiterhin ihre Weißmehl-basierte Westdiät genossen.
Abgesehen davon blieben die Speisepläne der beiden Gruppen komplett identisch. Es gab gleich viel Fett, gleich viel Eiweiß, gleich viel Obst und Gemüse und auch gleich viele Kilokalorien - im Schnitt rund 2600 am Tag. Trotzdem sparten die Vollkornesser Tag für Tag rund 100 Kalorien ein, wie die Analysen im "American Journal of Clinical Nutrition" zeigen.
Gefriergetrockneter Stuhl als Beweismaterial
Um dem Phänomen auf den Grund zu gehen, war von Teilnehmern und Forschern eine hohe Ekel-Schwelle gefordert. Innerhalb der zweiten und der achten Woche des Experiments mussten alle Probanden in einer Zeitspanne von 72 Stunden ihren kompletten Stuhl einsammeln, in dafür vorgesehene Tütchen verpacken und einfrieren. Die Forscher analysierten die Proben anschließend mithilfe von DNA-Tests, trockneten und pulverisierten sie.
Der Aufwand lohnte sich: Bei der Vollkorngruppe landete nach der Umstellung auf das ballaststoffreiche Essen deutlich mehr in den Tüten. Das macht Sinn: Ballaststoffe sind schon per Definition Fasern aus der Nahrung, die der Körper nicht richtig verdauen kann. Pro Gramm Ballaststoffe, das die Teilnehmer zu sich nahmen, schieden sie allerdings vier Gramm mehr Stuhl aus. "Das deutet darauf hin, dass Vollkornprodukte auch noch die Verdaulichkeit von Proteinen und Fett erschweren", schreiben die Autoren.
Der Zuwachs an Stuhl machte sich in der Energiebilanz der Teilnehmer bemerkbar. Allein durch die unverdauten Stoffe verloren die Vollkornesser den Analysen zufolge Tag für Tag fast 70 Kilokalorien aus der Nahrung an die Toilette. Hinzu kam noch ein zweiter Effekt durch die Ernährungsumstellung.
Verdauung macht auch Arbeit
Bei einer weiteren Analyse ermittelten die Forscher, wie viel Energie der Körper der Teilnehmer brauchte, um seine Grundfunktionen am Laufen zu halten. Auch hier zeichnete sich bei der Vollkorngruppe ein kleiner Unterschied ab. Nachdem die Teilnehmer ihre Ernährung umgestellt hatten, verbrannte ihr Stoffwechsel rund 25 Kilokalorien mehr pro Tag, ohne dass sie etwas an ihren sonstigen Gewohnheiten geändert hatten.
Auch diese Beobachtung sei plausibel, schreiben die Wissenschaftler. Ursache sei wahrscheinlich eine aufwendigere Verdauung. Vorherige Studien hatten ergeben, dass der Körper bei Vollkornprodukten mehr Energie braucht, um die Nährstoffe aus dem Darm in den Blutkreislauf aufzunehmen, durch den Körper zu transportieren und so aufzuspalten, dass er schließlich wieder Energie aus ihnen gewinnen kann.
Stuhl und Stoffwechsel zusammengezählt, verbrannten die Teilnehmer in der Vollkorngruppe jeden Tag 92 Kilokalorien mehr als die Teilnehmer in der Weißmehlgruppe. Schlossen die Forscher Teilnehmer aus, die sich nicht strikt an die Vollkorndiät hielten, waren es sogar 108 Kilokalorien.
2,5 Kilo innerhalb eines Jahres
Innerhalb der sechs Experimentier-Wochen zeigte sich das zwar noch nicht auf den Hüften. Über ein Jahr gesehen könne der Unterschied von 92 Kilokalorien pro Tag aber zu einem Gewichtsverlust von rund 2,5 Kilo führen, schreiben die Forscher in ihrem Fazit. Dafür müssten die Teilnehmer jedoch konsequent sein. Bei regelmäßigen, gezielten Fragen erklärten die Vollkornesser zumindest, genauso zufrieden und satt zu sein wie die Weißmehlesser.
Schon in der Vergangenheit hatten Forscher bei Studien mit großen Gruppen gemessen, dass Vollkorn- und damit Ballaststoffesser im Durchschnitt schlanker sind und seltener unter Fettleibigkeit leiden. Die jetzigen Ergebnisse lieferten eine Erklärung für diese Beobachtung, so die Wissenschaftler. Allerdings muss sich noch zeigen, wie gut die Messungen mit gesunden und relativ alten Menschen auf kranke und junge Teilnehmer übertragbar sind.
Auch ist unklar, ob die Vollkornesser ihre neue Ernährungsweise nach Ende des Experiments beibehielten. Im Alltag umsetzbar wäre es: Beim Kochen nutzten die Wissenschaftler ausschließlich Produkte, die jeder im Supermarkt kaufen kann - in erster Linie Vollkornmehl. Vielleicht sind die jetzigen Ergebnisse ja ein Ansporn, dauerhaft etwas zu ändern.