
Flüchtling aus Syrien: "Ich will arbeiten. Egal was."
Sport als Integrationshilfe "Die Menschen sind viel offener, als ich gedacht hatte"
Basheer Alzaalan (29) ist dreifacher Familienvater, hat englische Literatur studiert und sechs Jahre lang in Syrien als Englischlehrer gearbeitet. Jetzt ist er Flüchtling und lebt und läuft in Deutschland. Das Interview hat er auf Deutsch geführt.
SPIEGEL ONLINE: Herr Alzaalan, Sie sind mit einem Staffel-Team aus Flüchtlingen und Deutschen beim diesjährigen München-Marathon gestartet. Wie war's?
Alzaalan: Super! Ich bin die rund elf Kilometer in 50:30 Minuten gelaufen.
SPIEGEL ONLINE: Das ist ein ordentliches Ergebnis.
Alzaalan: Ich wollte unbedingt eine gute Zeit laufen, das war mir wichtig. Das Tempo habe ich am Tag danach gespürt. Ich hatte starken Muskelkater. Aber das war es wert. Der Lauf war eine sehr gute Erfahrung. Ich hatte viel Spaß dabei, die vielen fröhlichen Menschen entlang der Strecke zu sehen.
SPIEGEL ONLINE: Warum sind Sie mitgelaufen?
Alzaalan: Ich engagiere mich seit drei Monaten bei der Hilfsorganisation Care als ehrenamtlicher Helfer. Das ist viel besser als nur zu Hause zu sitzen. Das Team erzählte mir, dass ich durch den Marathon mehr Aufmerksamkeit auf die Probleme in Krisenländern wie meiner Heimat lenken könnte. Da wollte ich mitmachen. Ich will Menschen helfen, die in Not sind und im Krieg leben müssen. Ich will sie unterstützen und ihnen etwas von meiner Zeit spenden.
SPIEGEL ONLINE: Mehr und mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland, auch aus ihrem Heimatland Syrien. Wie fühlt sich das für Sie an?
Alzaalan: Eigentlich ist es ein gutes Gefühl. Ich bin froh, dass viele die Chance haben, hier ein besseres und sichereres Leben zu führen, so wie ich. Aber es ist auch eine große Herausforderung für die deutsche Regierung. Zwar sind schon viele Menschen hergekommen, aber es brauchen noch viel mehr Hilfe.
SPIEGEL ONLINE: Sie leben seit zehn Monaten in Deutschland. Warum sind Sie geflohen?
Alzaalan: Es ist sehr schwer, in Syrien zu leben. Es gibt keine Sicherheit mehr. Jeden Tag wird bombadiert. Ich habe so viele von meinen Bekannten und Freunden verloren. Sie wurden getötet - wie so viele Menschen. Außerdem gibt es seit vier Jahren kaum Strom und fließendes Wasser in meiner Stadt, nicht mal mehr Krankenhäuser.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie allein gekommen?
Alzaalan: Ich bin mit meinem Bruder und zwei Freunden geflohen. Ich wollte meine Familie mitbringen, aber das ging nicht. Für meine Kinder und meine schwangere Frau wäre es zu gefährlich gewesen. Wir waren 18 Tage unterwegs.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben Ihre Familie zurückgelassen?
Alzaalan: Ich hatte keine Wahl. Um uns eine sichere Zukunft zu ermöglichen, musste ich vorgehen. Ich habe zwei Töchter, 3 und 5, und seit Kurzem einen Sohn. Ich überlege jeden Tag, wie ich sie herholen kann. Wir versuchen eine Ausreise für sie zu organisieren, was mit sehr viel Bürokratie in Syrien verbunden ist. Das dauert sehr lange und ist ziemlich nervenaufreibend.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben Ihren Sohn noch nie in den Armen gehalten. Wie ist das Leben für Ihre Familie in der Heimat?
Alzaalan: Sie leben bei meinen Eltern in Deir ez-Zor, einer Stadt im Osten Syriens, nahe der irakischen Grenze. Wenn es dort gerade Internet gibt, rufen sie mich an.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie starkes Heimweh?
Alzaalan: Nein. Ich denke aber viel an die Menschen, die ich verloren habe, und auch an die, die nicht fliehen konnten. Einige haben ihre ganze Familie verloren. Sie wollen nicht mehr leben. Jeden Tag sehe ich Meldungen auf Facebook, dass noch mehr Menschen gestorben sind und die Bombardierungen immer weiter gehen. Ich hoffe, dass der Krieg eines Tages endet, doch die Situation ist so kompliziert. Syrien bleibt meine Heimat, aber mein Zuhause ist jetzt hier. Deutschland ist ein gutes, sicheres Land. Ich fühle mich wohl.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie denn Kontakt mit Deutschen oder primär mit anderen Flüchtlingen?
Alzaalan: Ich gehe Laufen und spiele Fußball. Dadurch habe ich viele Deutsche kennengelernt.
SPIEGEL ONLINE: Also stimmt das Klischee, dass Sport bei der Integration hilft.
Alzaalan: In Syrien hat Sport für mich keine Rolle gespielt. Das war ein Leben in ständiger Unsicherheit. Hier ist Sport sehr wichtig für mich geworden. Ich laufe nicht nur, ich spiele Fußball im Verein, beim TuS 07 Oberlar in Troisdorf. Wir trainieren zwei Mal die Woche, es macht wirklich viel Spaß, die Leute sind nett, und es hilft mir bei meinem Deutsch. Die Sprache zu lernen, ist das Wichtigste. Das sage ich auch all meinen Freunden, die mich fragen, was sie tun müssen, um in Deutschland leben zu können. Ohne Sprache kannst du nichts machen.
SPIEGEL ONLINE: Entspricht Deutschland Ihren Erwartungen?
Alzaalan: Ich war überrascht. Die Menschen sind viel offener, als ich gedacht hatte. In Deutschland sind alle gleich, egal ob du Flüchtling oder Deutscher bist. Das ist ein gutes Gefühl. In Syrien läuft es anders. In Bürgerkriegsregionen spielt Herkunft eine große Rolle.
SPIEGEL ONLINE: Wie geht's jetzt weiter?
Alzaalan: Ich will arbeiten. Egal was. Im November mache ich ein Praktikum bei Care. Wir werden deutsche Schulen besuchen, in denen ich als Augenzeuge berichten werde, wie das Leben in Kriegsregionen aussieht. Ich hoffe, ich kann aufklären - und bald meine Familie hierherholen. Wer weiß, vielleicht habe ich irgendwann die Chance, weiter englische Literatur zu studieren. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.