Achilles' Verse Vergesst den Hipster-Druck beim Laufen

Die Nase läuft mit, Schweißperlen stauen sich in der Armbeuge: Beim Joggen müsste Anna Achilles ihre Eitelkeit für 50 Minuten herunterschlucken, doch in Berlin verwandelt sich jeder noch so kleine Park in einen Catwalk. Darf Sport nicht einfach nur Spaß machen?
Joggen im Park: Sitzt der Pferdeschwanz noch?

Joggen im Park: Sitzt der Pferdeschwanz noch?

Foto: Corbis

Wenn ich laufe, sehe ich scheiße aus. Ich schwitze: unter den Achseln, auf der Stirn, im Nacken. Überall. Man kann sogar in Armbeugen schwitzen . Das allein wäre schon genug. Aber nein, mein Gesicht verwandelt sich bei der kleinsten Anstrengung in eine überreife Tomate und das, was mal ein Pferdeschwanz war, löst sich ab Kilometer eins in seine einzelnen Bestandteile auf.

Ich verbringe meine Zeit beim Laufen also vor allem damit, meine Haare aus dem Gesicht zu wischen und mir die Nase zu putzen. Die ist nämlich sehr viel ausdauernder als ich. Wenn ich laufe, läuft sie mit. Wenn ich Sport mache, dann nie ohne eine Packung Taschentücher in der Jackentasche.

Aber wenigstens mache ich Sport - im Gegensatz zu anderen Mädchen, deren Sportpensum darin besteht, einmal die Woche beim Yoga eine Matte auszurollen. Ich habe auch keine andere Wahl: Für Wunsch-BMI und eine akzeptable Grundfitness muss ich mich schinden - wie ich dabei aussehe, interessiert meine Genetik wenig. Notgedrungen schlucke ich meine Eitelkeit also jedes Mal für ungefähr 50 Minuten hinunter. Zukünftige Sexualpartner mögen bitte wann anders nach mir Ausschau halten.

Andere Mädchen: hübscher, klüger, sportlicher?

Schon in der Schule lernt man zu unterteilen in Mädchen, die hübscher, und Mädchen, die klüger sind als man selbst. Mädchen, die beides gleichzeitig sind, stellten bereits damals eine latente Bedrohung meines Selbstbewusstseins dar. Übertragen auf den Sport funktioniert das Prinzip ähnlich. Es gibt Mädchen, die schwitzen nicht. Nie. Bei jedem ihrer Schritte schwingt der Pferdeschwanz gleichmäßig von links nach rechts. Eine knallrote Birne kennen sie nur, weil sie mich erlebt haben.

Diese Mädchen sind nur zu ertragen, solange sie unsportlicher sind als man selbst. Laufen sie allerdings schneller und ziehen mit ihren zarten Füßen und ihrem wohlig frischen Duft an mir vorbei, macht mich das leicht aggressiv. Darum versuche ich, diese Mädchen zu ignorieren. Nur leider klappt das nicht immer - vor allem nicht in der Großstadt.

Sozialer Hipster-Druck beim Sport

Wenn ich früher im langweiligen Provinzwald meines Heimatdorfes gejoggt bin, war es völlig egal, ob ich dabei das ausgewaschene schlabbrige T-Shirt meines Bruders trug oder ein modisch geschnittenes Funktionsfaser-Shirt . Gesehen hat mich da eh keiner. In Berlin allerdings muss ich mich sozialem Hipster-Druck beugen. Jeder noch so kleine Park ist ein Catwalk für Läufer. Ohne bunte Schuhe, enge Lauftight und coole Flash-Jacke würde ich am untersten Rand der Läufergesellschaft stehen, mein Kleidungsstil von sportlichen Hipster-Mädchen nur müde belächelt werden.

Leider können auch die schicksten Klamotten nicht über meinen Laufstil  hinwegtäuschen. "Du läufst wie ein Nashorn", hatte mir mein Onkel neulich mitgeteilt. Na und?

Das Leben ist ein ständiger Wettkampf. Andauernd vergleichen wir uns. Wir wollen schöner, schneller, stärker sein als andere. Dabei vergessen wir, dass Sport vor allem eins soll: Spaß machen.

Ich mache da nicht mehr mit. Wenn ich das nächste Mal laufen gehe, werde ich meine älteste Jogginghose und das schlabbrigste T-Shirt tragen, das ich in meinem Schrank finden kann. Meine zerzausten Haare werde ich ignorieren und dafür stolz auf meinen roten Kopf sein.

Dass ich für diesen Lauf ausnahmsweise um sieben Uhr aufstehe, muss ich ja niemandem erzählen. Um diese Zeit sind die Straßen Berlins nämlich noch schön leer - die Mädchen brauchen ihren Schönheitsschlaf.

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