Läufer-Typologie Von Alma Achtsam bis Porno-Paule

Papageienschuhe, Strumpfhosen, irrer Blick: Läufer sehen auf den ersten Blick alle gleich aus. Aber in den ästhetisch fragwürdigen Kunstfaserpellen verbergen sich unterschiedlichste Weltsichten. Eine kleine Soziologie der Dauerlauf-Community.
Läuferin in Boston (USA): Unterwegs auf buntem Schuh

Läuferin in Boston (USA): Unterwegs auf buntem Schuh

Foto: AP/dpa

Porno-Paule

Ein Typ wie der Unfall auf der Gegenfahrbahn. Man will nicht hingucken, muss aber doch. Paule hat sich in viel zu enge Laufleggings gezwängt. Männer mit Anstand ziehen eine Turnhose drüber. Paule nicht. Sollen alle sehen, dass er einen Tanga drunter trägt. Leider nicht in seiner Größe, was gut zu erkennen ist an den Einschnitten dort, wo die Sonne selten hinscheint. Der Gute präsentiert außerdem Laufhemden mit V-Ausschnitt oder Reißverschluss - zu eng, zu rosa, dafür bis zum Bauchnabel aufgerissen, gerade im Winter. Was haben solche Leute früher getan? Nackig Beachvolleyball oder tatsächlich in Pornos mitgespielt. Die Tennissocken von damals tragen sie noch.

Facebook-Fanny

Menschen unter 30 laufen nicht zur körperlichen Ertüchtigung. Nein, die Jugend läuft, um zu posten. Selfie vom Anziehen ("Total depressiv - welche Klamotten soll ich heute nur nehmen?"), vom Loslaufen ("Total hart - soll ich wirklich?"), Kartenausschnitt von der Strecke ("Hiiilfe! Zu lang, zu steil, zu wenig Netzempfang"), vom entspannenden Smoothie hinterher ("Ingwer-Stechapfel - fühl' mich immer total crazy hinterher").

Gesamtbilanz: drei Likes, alle von dem Stalker-Nerd aus der Uni-Mensa. Total abgefahren. Merke: Wer nichts erlebt, für den ist auch der tristeste Alltag ein Abenteuer. Toll, wie man die Ansprüche an sich und andere so weit runterfahren kann. So genügsam überstehen wir auch die nächsten fünf Eurokrisen.

Pegida-Peter

Fragt sich, ob die Spaziergänge am Montag, oder neuerdings am Sonntag, als Training gelten. Er trägt "PP" in Runenschrift auf dem Unterarm tätowiert und ist für die Abschaffung des Marathons, weil das eine Erfindung dieser Griechen ist und immer von Afrikanern gewonnen wird. Ist das der Dank für luxuriöse Asylheime? Hat ja nichts gegen Ausländer, aber ein "Volkslauf" ist nun mal deutsch, vor allem mit der Sonderwertung Springerstiefelsprint. PP unterstützt ein Bürgerbegehren, dass man Baseballschläger als Walkingstock-Ersatz benutzen darf.

Furcht-Fredi

Achtung, der Wetterbericht hat tatsächlich Wetter angekündigt. Potenzielle Lebensgefahr. Könnte glatt werden. Und nass. Oder Sonne. Unbedingt UV-Gläser aufziehen. Sonst laufblind. Und was zu trinken mitnehmen. Sonst dehydriertot. Und Enteisungsspray. Für den Reißverschluss. Falls doch keine Sonne. Welche der 17 Laufjacken könnte zu unsicherer Wetterlage passen? Keine. Sofort eine neue im Internet bestellen. Und Profil an den Sohlen nachfeilen. Leben als ewiges Risiko. Mist, jetzt ist es dunkel. Stirnlampe. Aber der Akku ist nur zu 97 Prozent voll. Gesellschaft der Angst heißt ein kluges Buch des Soziologen Heinz Bude. Fredi muss ihn inspiriert haben.

Alma Achtsam

Seit dem Atem-Seminar läuft Alma ganz anders, viel bewusster irgendwie, eins mit dem Kosmos. Verweile statt Eile. Spüre dankbar den Boden, der dich trägt. Atme tief in deinen verspannten Piriformis. Sei dankbar für den Schmerz. Da, ein Blatt, auf dem Boden, der uns immer noch trägt. Ach, Baumbote, Mitgeschöpf im Universum. Zärtliches Berühren. Und lange nachspüren. Mut zur Dankbarkeit. Auch an den Boden, der uns trägt. Frauen auf dem langen Weg zu sich selbst bewegen sich leider manchmal in einer Sackgasse. Sie merken's aber nicht, weil sie in 45 Minuten nur etwa 300 Meter weit kommen.

Der sprunghafte Sigi

Dieser Sportsfreund betreibt nur eines konstant: den Wechsel. Kommt jede zweite Woche mit leuchtenden Augen zum Lauftreff und verkündet: "Jetzt hab ich's, diesmal aber wirklich." Worum geht's? Den perfekten Laufschuh, den perfekten Trainingsplan , den perfekten Wettbewerb und natürlich die perfekte Technik. Wie SPD-Chef Sigmar Gabriel ist er ein äußerst flexibler Zeitgenosse, der innerhalb von 24 Stunden über- und unterproniert, erst total entspannten Marathon will, dann plötzlich ganz schnelle fünf Kilometer, von vegan auf Dauersteak umstellt und eine Woche später wieder zurück. Schöpft sein Potenzial zu etwa 27 Prozent aus.

Der Tarzan

Die Büroklammer unter den Läufern: dunkelgraue Klamotten, dunkelgrauer Blick, und immer dunkelgraues Wetter, wenn er vor die Tür tritt, exakt dreimal die Woche, exakt um 17.15 Uhr. Laufuhr gestartet und allen Ehrgeiz darauf verwendet, auf die Sekunde so schnell zu sein wie immer. Ein Läufer wie das Dschungelcamp: berechenbar langweilig. Nie passiert was auf seiner ewig gleichen Trainingstrecke, selbst die Hunde wenden sich ab . Während seine Mitmenschen telefonieren, Minecraft spielen oder sich gelangweilt in den Zähnen pulen, erzählt er, wie aufregend das Laufen sei. Stimmt gar nicht. Alles nur Show. Wie im Dschungelcamp.

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