Schutz vor Rissen Sportler, lasst eure Sehnen wachsen

Muskeln können wachsen, Sehnen nicht: Das galt lange als Gesetz. Doch Sportmediziner haben entdeckt, dass auch die Bindegewebsbündel dicker werden können. Wer sie richtig trainiert, verhindert Verletzungen wie den Achillessehnenriss.
Muskulatur und Sehnen in Fuß und Wade (Illustration): Auch Achillessehne und Co. lassen sich trainieren

Muskulatur und Sehnen in Fuß und Wade (Illustration): Auch Achillessehne und Co. lassen sich trainieren

Foto: Corbis

Er gehört zu den gefürchtetsten und schmerzhafteren Sportverletzungen und ist kaum zu überhören: der Achillessehnenriss. Einmal gerissen, drohen Operation und eine quälend lange Reha - ein geschlagenes Jahr kann vergehen, bis Leistungssportler wieder Wettkämpfe bestreiten können.

Doch können Sportler ihre Sehnen belastbarer machen, um sie vor Rissen zu schützen?

Sehnen bestehen aus Kollagenfasern, die nicht etwa starre Gebilde sind und die Kraft von der Muskulatur an den Knochen bringen. Vielmehr wirken sie wie Federn, die Unmengen an Energie speichern und wieder abgeben können müssen. Dadurch steigt der Wirkungsgrad der Muskulatur. Um nicht sofort zu zerfetzen, verfügen Sehnen über Dehnungssensoren. Sie regeln die Lastspitzen der Muskeln herunter, wenn diese um etwa zehn Prozent gedehnt werden - bevor die Belastung kritisch wird. Die eigentliche Reißkraft wurde deshalb jahrelang für genetisch vorgegeben gehalten, ohne dass sie ausbaufähig wäre.

Doch das ist ein Irrtum, wie der Biomechaniker Adamantios Arampatzis von der Humboldt-Universität in Berlin weiß: "Auch Sehnen wachsen, wenn sie regelmäßig gefordert werden."

Experimente à la Frankenstein

Die neue Sicht begann in den Achtzigern mit Experimenten, die einen an Doktor Frankenstein erinnern: Der finnische Biomechaniker und Sport-Physiologe Paavo Komi ließ die Achillessehnen von Sportstudenten durch Chirurgen freilegen. Als nächstes wurden Manschetten daran befestigt, die mit Dehn-Messstreifen verbunden wurden. Nachdem die Wunde wieder vernäht war, mussten die Sportler laufen, hüpfen und sogar weitspringen, wobei die auftretenden Kräfte gemessen wurden. Anschließend baute man alles wieder aus.

Wesentlich angenehmer waren dagegen die Untersuchungen von Adamantios Arampatzis , der vor rund zehn Jahren mit Kollegen an der Sporthochschule Köln eine Studie durchgeführt hatte. Dabei sollten Sportstudenten den einen Oberschenkel mit niedrigem Gewicht und hohen Wiederholungszahlen trainieren, den anderen genau umgekehrt. Während der gesamten Zeit wurden die Achillessehnen regelmäßig gemessen - in dem Fall per Ultraschall.

Interessanterweise war der Kraftzuwachs nach 14 Wochen bei beiden Beinen etwa gleich. Aber, so Arampatzis, "während sich beim Training mit niedrigen Gewichten praktisch nichts tat, wuchs die Achillessehne nur bei hohen Kraftbelastungen messbar mit." Das Problem: Während die Muskulatur recht schnell zulegt, wachsen die Sehnen wesentlich langsamer. Deshalb treten auch beim Bodybuilding immer wieder Sehnenrisse auf, etwa am Bizeps.

Um die Muskulatur zu hypertrophieren - so wird die Gewebevergrößerung im Fachjargon bezeichnet -, reichen oft schon fünf bis sechs Wochen aus. Will man dagegen die Sehnen verstärken, braucht man schon mindestens neun bis zehn Wochen. "Als optimal hat sich herausgestellt, wenn man zwei- bis dreimal die Woche eine Serie von Belastungen mit 80 bis 90 Prozent seiner Maximalkraft absolviert", sagt Arampatzis. "Nur dabei wird die Sehne um mehr als vier Prozent gelängt".

Bei Sprintern reißt sie oft

Dagegen tragen hohe Belastungsspitzen, wie sie etwa bei Sprüngen auftreten, kaum zum Wachstum bei, was die gehäuften Achillessehnenrisse bei Sprintern erklärt. Ein weiteres Problem sind Dysbalancen zwischen der Muskulatur und den Kollagenbündeln, wie sie des Öfteren bei jugendlichen Athleten auftreten, die zu schnell an Kraft und Masse zulegen.

Mit zunehmendem Alter lässt die Flexibilität der Sehnen nach - wie bei allen Bindegeweben. Und das hat eine Reihe von Effekten. So steigt etwa die Verletzungsgefahr bei älteren Sportlern an, gleichzeitig nimmt die Schnelligkeit ab. Wenn ein Sprinter über 40 deutlich langsamer wird , liegt das nicht unbedingt an einer geringeren Schrittfrequenz. "Die Sehnen können einfach weniger Energie aufnehmen", sagt Arampatzis. "Und dadurch fehlt der Katapulteffekt."

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