Theologe Frank Hofmann "Der Unsichtbare ist mein liebster Laufpartner"

Frank Hofmann läuft: Der Chefredakteur des Vereins Andere Zeiten betet beim Rennen
Frage 1: Heute schon gelaufen?
Hofmann: Na klar. Sonntags immer. Gleich nach dem Familienfrühstück ging es runter an die Elbe Richtung Blankenese. Es werden so um die zehn Kilometer in knapp 60 Minuten gewesen sein. Ich schaue nicht auf die Uhr, weil ich keine umhabe.
Frage 2: Gebetet unterwegs?
Hofmann: Ja, wie immer.
Frage 3: Warum ist Laufen die ideale Kontaktaufnahme zum Herrn?
Hofmann: Weil die Bewegung dafür sorgt, dass wir uns ganz fokussieren können. Alles Ablenkende ist ausgeblendet. Martin Luther hat mal gesagt, ihm sei in seinem Leben kein Gebet ohne störende Gedanken gelungen. Kein Wunder - der Mann ist einfach zu wenig gejoggt.

Dr. Frank Hofmann, 53, ist Journalist, Philosoph und Theologe. Er promovierte über die Pilatusfrage "Was ist Wahrheit?". Von 1988 arbeitete er bei "Auto, Motor und Sport", dann beim "Stern" und bei "Men's Health". Ab 2007 war er Chefredakteur der deutschen Ausgabe von "Runner's World" und wechselte 2013 zum gemeinnützigen Hamburger Verein Andere Zeiten, der kirchenfernen Menschen religiöse Einsichten in verständlicher Sprache nahebringen möchte. Hofmann ist verheiratet und hat ein Kind. Seine Marathon-Bestzeit liegt bei drei Stunden und einer Minute. Tipps zur Kombination von Laufen und Glauben gibt er auf www.spirituelles-laufen.de .
Frage 4: Welche Rolle spielen Rhythmus, Atmung, Gleichförmigkeit?
Hofmann: Genau das ist der spirituelle Triathlon beim Laufen. Die Gleichförmigkeit von Atmung und Schrittrhythmus sorgt dafür, dass wir unser Eigentempo finden. Wir sind ja im Alltag immer zu schnell oder zu langsam unterwegs - wir fühlen uns entweder gestresst oder gelangweilt. Der Läufer kann das Tempo seiner Welterschließung selbst bestimmen, ...
Frage 5: ...wenn der elende Trainingsplan nicht wäre, der Tempo-Intervalle vorschreibt.
Hofmann: Deswegen laufe ich ohne Plan und Uhr. Nur der eigene Rhythmus gibt unserem Unbewussten ein Gefühl der Verlässlichkeit. Als Dank öffnen sich kreative Freiräume, die sonst verschlossen sind.
Frage 6: Wer hechelt, verliert den Draht zu Gott?
Hofmann: Naja, das Gebet wird halt kürzer: Himmel hilf! Es gibt sicher Läufer, die auch bei hohem Tempo zu sich und nach oben finden. Dass der Atem mit göttlicher Erfahrung zu tun hat, wussten schon die Autoren der ältesten biblischen Schriften. Was wir heute "Seele" nennen, heißt im Alten Testament "Kehle". Und für Gott hatten die Israeliten keinen aussprechbaren Begriff, sondern eine Konsonantenfolge, die das Ein- und Ausatmen nachahmt: JH-WH.
Frage 7: Wie betet man? Gibt's Regeln oder Tricks?
Hofmann: Eine biblische Frage: "Meister, lehre uns beten." Jesus gab darauf die Antwort: Wenn ihr betet, dann so: Unser Vater im Himmel - der Rest sollte bekannt sein.
Frage 8: Kann ich mich verbeten, also irgendwas falsch machen?
Hofmann: Nur so viel: Ich lasse Gedanken lieber frei laufen, als sie an eine Wortfolge zu ketten.
Frage 9: Kommt was zurück von oben?
Hofmann: Manchmal. Das sind dann Gefühle, die ich als Inspiration, Selbstvergewisserung, Versöhnung oder Euphorie beschreiben würde.
Frage 10: Praktisches Beispiel für einen privaten Lauf-Gottesdienst?
Hofmann: 15 Minuten Einlaufen als Sammlung - Vaterunser - Musik - Meditation - Endspurt.
Frage 11: Wie war das früher, als Laufen die einzige Religion war?
Hofmann: Da waren dann die Zeiten einziger Inhalt. Trotz aller Systematik habe ich es nie geschafft, den Marathon schneller als drei Stunden zu rennen. Dann bin ich auf Triathlon umgestiegen. Die Bestzeit von 10,5 Stunden für die Langdistanz ist ganz ordentlich, reichte aber leider nicht für die Hawaii-Qualifikation.
Achim Achilles: Ein verpfuschtes Leben!
Hofmann: Das dachte ich auch. Und habe versucht, noch schneller zu werden. Da hat sich mein Körper dann zur Wehr gesetzt: Infekte, Überlastungsschäden, Rückenbeschwerden, das ganze Programm. Seitdem laufe ich nur noch für die Psyche und die Seele.
Frage 12: Wann kam der Wandel?
Hofmann: Genau an meinem Marathongeburtstag, also dem Tag, an dem ich 42,195 Jahre alt wurde. Da habe ich mir einen Marathon im Hamburger Alten Elbtunnel geschenkt. Pro Kilometer ließ ich ein Jahr meines Lebens Revue passieren. Das war der Umschwung vom sportlichen zum meditativen Laufen.
Frage 13: Was war der Auslöser? Gab's ein Turmerlebnis wie bei Luther?
Hofmann: Sehr beeindruckt hat mich ein Interview mit Margot Käßmann. Sie erzählte mir, wie sie Laufen als spirituelle Kraftquelle nutzt. Da habe ich mir vorgenommen, dieses Potenzial der Bewegung für mich zu nutzen.
Frage 14: Klar, Protestanten, die Spaßbefreiten vom Dienst. Wie kann Leistung denn plötzlich so egal werden?
Hofmann: Ach, ich sehe das ökumenisch. Das Katholische in mir sagt: Quäl dich, du Sau! Das Evangelische sagt: Der gute Wille reicht. Im Ernst: Mich interessiert jetzt nicht mehr so sehr der körperliche Trainingseffekt, sondern mehr der geistige Erneuerungseffekt.
Frage 15: Wie haben die Laufkameraden reagiert?
Hofmann: Mit einer Mischung aus Befremden und Bewunderung. Zuerst dachte ich ja, ich könnte Läufer zum Glauben bekehren. Inzwischen habe ich festgestellt, dass es einfacher ist, Gläubige zu Läufern zu machen.
Frage 16: Und die Familie hat gesagt: Papa ist auferstanden von den Irren?
Hofmann: Ohne meine Frau hätte ich der Religion sowieso nie eine Chance in meinem Leben gegeben. Sie war es, die auf einer kirchlichen Trauung bestand und so langsam meinen Agnostizismus aufweichte.
Frage 17: Und dafür muss man gleich die Stimme der freien Läuferwelt aufgeben und die Chefredaktion der Runner's World verlassen?
Hofmann: Runner's World und der Verein Andere Zeiten - beides sind missionarische Initiativen, hinter denen ich voll und ganz stehe. Bei Andere Zeiten sehe ich momentan den größeren Bedarf: Immer mehr Menschen sehnen sich nach Spiritualität und finden dafür keine passenden Ausdrucksformen. Hier versuchen wir mit unseren Publikationen Angebote zu schaffen.
Frage 18: Und schwupp, hat man sein Einkommen halbiert - alles für den lieben Gott?
Hofmann: Ich habe keine Einbußen hingenommen, die ich bereuen würde.
Frage 19: Und jetzt, so als - Achtung Unwort - Gutmensch, fühlt man sich da wohler?
Hofmann: Zunächst mal ist es ein gutes Gefühl, für einen gemeinnützigen Verein zu arbeiten, bei dem die finanziellen Überschüsse der Arbeit nicht an reiche Gesellschafter ausgeschüttet werden, sondern als Spenden kreativen Projekten zukommen. Zweitens liegt mir die Materie Theologie/Philosophie noch näher als die Sportwissenschaft. Und drittens macht es nach vielen Jahren wachsender Krisenstimmung in Verlagen Spaß zu sehen, dass man mit gedruckten Magazinen, Büchern, Kalendern immer noch stetig steigende Verkaufszahlen erreichen kann.
Frage 20: Welche Rolle spielt das Laufen überhaupt noch?
Hofmann: Eine tragende: Ohne meine Läufe würde mir meine Eigenzeit fehlen.
Frage 22: Und wie oft frommt es dem Herrn?
Hofmann: Im Wochenschnitt fünf Mal je zehn Kilometer.
Frage 23: Liebste Strecke, Tageszeit, Wetter?
Hofmann: Das Hamburger Elbufer zwischen Ottensen und Wedel ist grandios: Man kann flach laufen, aber wenn man alle Auf- und Abstiege mitnimmt, kommt man locker auf alpine Höhenmeter. Tageszeit: nur morgens. Wetter: je schlechter, desto lieber wegen der kathartischen Wirkung.
Frage 24: Da ist er wieder, der selbstquälerische Protestant. Irgendein sportliches Ziel 2016? Oder nur noch Kirchentag?
Hofmann: Das nächste sportliche Ziel wird erst mit dem Eintritt in eine neue Altersklasse in Angriff genommen. Und auf den Kirchentag lasse ich nichts kommen: Zu meinem spirituellen Laufworkshop kommen regelmäßig mehr als 100 Interessierte.
Frage 25: Längste Strecke im Training?
Hofmann: Mehr als 90 Minuten mute ich meinem arthrosegeplagten Rücken nicht mehr zu.
Frage 26: Irgendwann noch mal Marathon?
Hofmann: Frühestens 2028 wieder, wenn meine Tochter auch starten darf.
Frage 27: Laufen an der Elbe noch mehr Fromme?
Hofmann: Oh ja, der ehemalige Hauptpastor von St. Petri: Der umarmt sogar Bäume.
Frage 26: Macht Glauben eigentlich schneller, so als Seelen-Doping?
Hofmann: Vielleicht der Glaube an sich selbst, aber nicht der Glaube an Gott.
Frage 27: Und was denkt der Gläubige bei Kilometer 30? Da flucht ja sogar der Papst.
Hofmann: Der Gläubige denkt: "Nach Karfreitag kommt Ostern." Und dann: "Wann, zum Teufel, sind die drei Tage endlich vorbei?"...
Achim Achilles: ...bei 'ner Sünde erwischt: Sie haben "Teufel" gesagt...
Hofmann: ...bei Kilometer 30 fallen mir noch ganz andere Sachen ein.
Frage 28: Hilft Beten bei der Regeneration?
Hofmann: Ja, wenn man dabei auf der Massageliege behandelt wird.
Frage 29: Benutzen Sei irgendwelche Apps oder Gadgets?
Hofmann: Keine Uhr, aber gerne mal einen "Figure Run", am liebsten würde ich mal einen Engel rund um Jerusalem laufen.
Frage 30: Bei Ihnen gibt es kein systematisches Auswerten?
Hofmann: Ich addiere pro Woche die geschätzten Trainingszeiten, weil ich immer noch hoffe, daraus eine Voraussage für Infekte ableiten zu können.
Frage 31: Aktuelles Gewicht?
Hofmann: 69 kg. Konstant seit Jahrzehnten.
Frage 32: Anderer Sport?
Hofmann: Drei- bis viermal die Woche Krafttraining.
Frage 33: Welche Ernährungs-Religion?
Hofmann: Auf gutes Eiweiß achten, der Rest ergibt sich von allein.
Frage 34: Zum Fisch hat Jesus ja Einiges beizutragen gehabt. Aber was sagt die Bibel zum Laufen?
Hofmann: So viel, dass ich nur meine Lieblingsgeschichte erwähnen will: Der Prophet Elias rennt 100 Kilometer vom Berg Karmel nach Beerscheba "um sein Leben" - also mindestens Fünfer-Schnitt. Nach diesem Ultra liegt er völlig erschöpft unter einem Ginsterbaum und will nur noch sterben. Dann kommt ein Engel und schickt ihn auf eine 40-tägige Fastenreise in die Wüste. Nach dieser körperlichen Extrembelastung ist Elias so feinfühlig, dass er Gott in einem "stillen, sanften Sausen" wahrnimmt. Alles nachzulesen in nur zehn Bibelversen: 1. Könige 19,3-13.
Frage 35: Ist es eigentlich Sünde, wegen der Lauferei mehr zu essen als der Mensch normalerweise braucht?
Hofmann: Sünde ist nach meinem Verständnis keine Handlung, sondern ein Zustand. Wir können in dieser unerlösten - sprich: ungerechten - Welt nur als Sünder - sprich: unperfekt - leben. Die Frage ist dann: Wie schuldig fühle ich mich, wenn ich mehr Ressourcen in Anspruch nehme, als mir zustehen? Das muss jeder mit sich selbst ausmachen.
Frage 36: Wer ist Ihr liebster Laufpartner?
Hofmann: Der Unsichtbare.
Frage 37: Welche modischen Grundregeln gelten für den gläubigen Läufer? Kann man in Soutane laufen?
Hofmann: Tights und T-Shirt toppen Talar.
Frage 38: Lieblingsmarke? Oder stehen wir da drüber als bescheidener Evangele?
Hofmann: Thoni Mara. Sehr angenehme Materialien und enger Schnitt.
Frage 39: Lieblingsmarke Schuhe?
Hofmann: Asics und Nike im täglichen Wechsel.
Frage 40: Wie viele Paar Schuhe haben Sie im Schrank?
Hofmann: Elf Paar Laufschuhe, ein Paar Badelatschen.
Frage 41: Schon mal vom Heiligen Geist überholt worden?
Hofmann: Nee, aber eingeholt.
Frage 42: Kirchenmusik im Kopfhörer?
Hofmann: Ja, besonders gern monumentale Orgelstücke. Mehr Power geht nicht.

Achim Achilles, Jahrgang 1964, lebt verheiratet mit einer verständnisvollen Frau in Berlin, läuft aber überall, wo es wehtut. Motto des Wunderathleten und Kolumnisten: "Qualität kommt von Qual." Dabei ist es dem Vater eines lauffaulen Jungen egal, dass er trotz intensiven Trainings kaum von der Stelle kommt. Für ihn ist der Weg das Ziel. Seine Lieblingsfeinde auf dem Weg zum Ziel sind Walker und andere Pseudosportler.