Weinunverträglichkeit Schnaps- oder Schnupfennase?

Juckreiz, Durchfall, Herzrasen: Wein kann allergische Symptome auslösen, und das passiert häufiger als vermutet. Auf Weinetiketten dürfen daher Angaben wie "enthält Sulfite" nicht fehlen. Doch Wissenschaftler entwickeln bereits Getränke, die weniger allergene Stoffe enthalten sollen.
Rotwein: Allergische Symptome durch Sulfite

Rotwein: Allergische Symptome durch Sulfite

Foto: © Stefano Rellandini / Reuters/ REUTERS

Neben Jahrgang, Alkoholgehalt und Abfüller steht auf Weinetiketten mitunter auch "enthält Sulfite". Die Salze der schwefeligen Säure machen Wein haltbar, indem sie unerwünschte Gärungsprozesse etwa durch eingeschleppte Hefen oder Bakterien verhindern. Doch die Substanzen wirken auch im menschlichen Körper: Allergiker können auf die Salze der schwefeligen Säure mit Symptomen reagieren, die vom leichten Schnupfen bis hin zum Herzrasen reichen können. Dafür genügt ein Glas. Bis zu 160 Milligramm Schwefeldioxid (SO2) pro Liter stecken in den handelsüblichen Flaschen.

Seit geraumer Zeit versucht deshalb das EU-finanzierte Projekt "SO2SAY", ohne das Schwefeln auszukommen . Koordiniert wird es vom Technologie-Transfer-Zentrum (ttz) Bremerhaven. Den Wissenschaftlern aus vier europäischen Ländern und Israel sei es gelungen, einen Versuchswein abzufüllen, der nahezu vollständig auf Schwefeldioxid verzichtet. "Unser Wein reduziert die SO2-Menge um über 95 Prozent, das liegt weit unterhalb der offiziellen Nachweisgrenze", sagt Claudia Krines, ttz-Forschungsleiterin Food, gegenüber SPIEGEL ONLINE.

Die Wissenschaftler ersetzten die Sulfite durch spezielle, konservierende Extrakte, die ohnehin im Wein vorkommen. Die genaue Rezeptur sei geheim, dem Geschmack schade es aber nicht: "In sensorischen Verkostungen mit Durchschnittskonsumenten aus Großbritannien, Spanien und Deutschland wurde der neue Wein als gleichwertig im Vergleich zu einem hochwertigen Referenzwein beurteilt", versichert Krines. Bestehe der Wein eine weitere Prüfrunde im Mai, "dann steht dem Verfahren technisch nichts mehr im Weg."

Wein kann verschiedene Symptome auslösen

Das bedeutet freilich nicht, dass damit alle Probleme gelöst sind. Denn empfindliche Menschen können auch verschiedene Substanzen im Wein reagieren. Das zeigte eine Studie der Universität Mainz aus dem Jahr 2012 . Darin wurden 4000 Landeshauptstädter zwischen 20 und 70 Jahren befragt, wie gut sie Wein vertragen.

Eine echte Allergie löse das Getränk in der Regel nicht aus, so die Wissenschaftler im "Deutschen Ärzteblatt". "Allerdings zeigt diese Studie, dass ein relativ hoher Prozentsatz der Befragten (7,2 Prozent, 68 Teilnehmer) von Unverträglichkeitssymptomen berichten, nachdem sie Wein getrunken haben", betont die Ökotrophologin und Studienautorin Petra Wigand. Am häufigsten wird von den Betroffenen genannt: gerötete Haut (57,4 Prozent), Juckreiz (35,3 Prozent), verstopfte Nase wie beim Schnupfen (32,4 Prozent), Durchfall (27,9 Prozent), Herzrasen (25 Prozent), Magen- und Darmkrämpfe (ebenfalls 25 Prozent). Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Zwei Befragte berichteten sogar von einem Kreislaufzusammenbruch nach Weingenuss.

Auf die Gesamtbevölkerung ließen sich die Ergebnisse aufgrund der niedrigen Rücklaufquote der Fragebögen nicht ohne weiteres übertragen, schreiben die Forscher. Dennoch deute die Studie darauf hin, dass mindestens 1,7 Prozent der Bevölkerung unter einer Weinunverträglichkeit leiden. Insgesamt haben die 68 Mainzer mit Wein-Problemen öfter auch Schwierigkeiten mit anderen Nahrungsmitteln genannt. 15 von ihnen vertrugen offenbar kein Bier, weitere 19 überhaupt keinen Alkohol.

Beim Wein gebe es allerdings Alternativen, betont Wigand: Wer etwa mit Rotwein nicht klarkomme, der könne auch auf Rosé oder Weißwein umsteigen. Denn Rotwein löst der Mainzer Untersuchung zufolge häufiger Begleiterscheinungen aus als Weißwein. Ein möglicher Grund: Wein enthält geringe Mengen Eiweiße, die meist von der Traube stammen, aber auch durch Bakterien und die Hefe in das Getränk gelangen können. Vor allem das Lipid-Transfer-Protein (LTP) aus den Traubenschalen ist als mögliches Allergen bekannt. Rotwein hat deutlich mehr LTP, weil die Schalen in der Maische mitvergoren werden, während Weißwein ohne die Traubenhaut fermentiert wird und nur Reste in den Wein gelangen.

"Weinunverträglichkeit ebenso häufig, wie Nahrungsmittelunverträglichkeit"

Ähnlich häufig kommen in weißem und rotem Wein andere Eiweiße vor, zum Beispiel Thaumatin, das auch als Süßstoff eingesetzt wird, oder Enzyme wie die pilzangreifenden Glukanasen. Auch sie stehen im Verdacht, allergen zu wirken. Zudem enthalte Wein den Allergie-Botenstoff Histamin. Allerdings seien die Konzentrationen in den deutschen Rebsorten "insgesamt sehr niedrig", betonen die Mainzer Wissenschaftler.

Im Körper löst Alkohol unterschiedliche Prozesse aus: So werden bestimmte Stoffe im Alkohol gelöst, wodurch der Organismus sie besser aufnehmen kann und sie erst dann zum Problem werden. Alkohol fördert zudem die Durchlässigkeit der Darmschleimhaut und hemmt die Wirkung des Enzyms Diaminoxidase, das Histamine abbaut. Eine erhöhte Histaminkonzentration kann etwa eine rote Nase machen, indem sie dort die Gefäße erweitert.

"Die Häufigkeit, mit der unserer Untersuchung zufolge eine Weinunverträglichkeit zu beobachten ist, steht der anderer, häufig auftretender Nahrungsmittelunverträglichkeiten in nichts nach", betonen Wigand und ihre Kollegen. Trotzdem werde die Empfindlichkeit gegenüber Wein bislang wenig beachtet. "Das aber sollte bei der ärztlichen Untersuchung künftig berücksichtigt werden", fordern die Mainzer Wissenschaftler.

Trotzdem sei Wein - was eine echte Allergie betrifft - "ein relativ sicheres Nahrungsmittel", schränkt Biophysikprofessor und Studienleiter Heinz Decker gegenüber SPIEGEL ONLINE ein. "Die Menschen denken nur in der Regel nicht darüber nach, was sie vertragen und was nicht."

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