Ballaststoffe Die unterschätzten Fasern

Müsli im Reformhausregal: Ballaststoffe fördern die Darmflora und damit auch die Verdauung
Foto: Fredrik Von Erichsen/ picture alliance / dpaBallaststoffe, das Wort klingt abschreckend, die Beschreibung macht es auf den ersten Blick nicht besser: Es handelt sich um Fasern pflanzlicher Lebensmittel, die der Körper nicht allein verdauen kann. Beirren lassen darf man sich davon allerdings nicht. Forscher entdecken immer mehr positive Wirkungen der Fasern auf die Gesundheit - und plädieren dafür, dem Namen den Ballast zu nehmen. In der Fachsprache sind aus "Ballaststoffen" längst "Nahrungsfasern" geworden.
"Inzwischen steht fest, dass Ballaststoffe für unseren Stoffwechsel und unsere Gesundheit sehr wichtig sind", sagt Ernährungsmediziner Andreas Pfeiffer, Direktor der Endokrinologie an der Berliner Charité und Leiter der Abteilung Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke (DIfE).
Eine Reihe langjähriger Beobachtungsstudien und Meta-Analysen kamen in den letzten Jahren zu dem Schluss, dass die Effekte der Ballaststoffe nicht nur die Verdauung verbessern, sondern weit darüber hinausgehen. So hemmt laut einer aktuellen Studie mit Mäusen eine Ernährung mit vielen Ballaststoffen aus Obst und Gemüse allergische Entzündungsreaktionen in der Lunge und wirkt möglicherweise Asthma entgegen. Die Fasern gelten außerdem als "Cholesterinkiller", weil sie die Konzentration des unerwünschten LDL-Cholesterins im Blut verringern.
Lösliche Ballaststoffe als Appetitzügler
Grundsätzlich unterscheiden Forscher zwischen wasserunlöslichen Ballaststoffen aus Getreide und wasserlöslichen aus Obst, Gemüse und Salat. Die jüngste Erkenntnis zu den wasserlöslichen Ballaststoffen betrifft den Appetit: Die Fasern wirken bei Mäusen wie eine natürliche Hungerbremse. Dies lässt sich damit erklären, dass Bakterien einen Teil der Ballaststoffe im Darm zersetzen. Dabei entsteht Essigsäure (Acetat), die übers Blut in den Hypothalamus, einen Teil des Zwischenhirns, gelangt. Dort aktiviert das Acetat Nervenzellen, die den Appetit unterdrücken.
"Diese Ergebnisse stammen bislang aber nur aus Tierexperimenten. Ob sie auch für den Menschen gelten, ist völlig offen", warnt Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TU München, vor voreiligen Schlüssen. Doch auch andere Untersuchungen weisen darauf hin, dass ein Ballaststoffmangel zu Übergewicht und Fettleibigkeit beiträgt. "Wir wissen umgekehrt auch, dass Ballaststoffe die Energiedichte der Nahrung verringern und die Magenentleerung verzögern. Die Bauchspeicheldrüse schüttet weniger Insulin aus, und es kommt zu einer schnelleren Sättigung. Der Mensch wird also mit weniger Kalorien satt", sagt Hauner.
Ein Teil der Ballaststoffe wird unverdaut wieder ausgeschieden, den Rest verwerten die Bakterien im Dickdarm. Dadurch beeinflussen die Fasern auch, welche Mikroorganismen den Darm besiedeln, und verbessern die Verdauung indirekt. Hinzu kommt ein direkter Einfluss: Die Fasern saugen sich im Dickdarm mit Wasser voll, quellen auf und vergrößern das Volumen des Speisebreis. Das reizt die Darmwand, regt die Darmaktivität an und beschleunigt den Durchlauf im Dickdarm. Gleichzeitig sinkt auch das Risiko für Dickdarmkrebs, da Giftstoffe seltener und kürzer die Schleimhaut schädigen können.
Unlösliche Ballaststoffe als Herzinfarktschutz
Darüber hinaus haben Meta-Analysen und die sogenannte EPIC-Studie deutliche schützende Effekte im Hinblick auf Herzinfarkt, Typ 2-Diabetes und Schlaganfall gefunden. Die Effekte der löslichen Ballaststoffe aus Obst und Gemüse sind im Hinblick auf diese Erkrankungen allerdings eher klein. Der Schutzeffekt gegen Typ 2-Diabetes stammt vielmehr von den unlöslichen Ballaststoffen aus Getreide.
Wenn Bakterien im Dickdarm die Ballaststoffe kontrolliert zersetzen, entstehen kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat. Diese sind für die Barrierefunktion der Darmwand wichtig und kontrollieren das Wachstum und Teilungsgeschehen der Schleimhautzellen im Darm. "Die kurzkettigen Fettsäuren wirken zudem anti-entzündlich und beeinflussen den Fett- und Zuckerstoffwechsel günstig", sagt Hauner. Besonders gute Lieferanten sind Hafer und Haferkleie.
"Wir haben in der ProFiMet-Studie mit 111 fettleibigen Probanden festgestellt, dass täglich zwei Scheiben Vollkornbrot angereichert mit Hafer- und Weizenballaststoffen die muskuläre Insulinempfindlichkeit deutlich verbessern und dadurch das Diabetesrisiko um 20 Prozent vermindern könnten", sagt Pfeiffer. Eine Ernährung reich an tierischem Protein verschlechtert dagegen die Insulinempfindlichkeit. "Deshalb ist es wichtig, eine an tierischem Protein reiche Kost mit Ballaststoffen anzureichern, um negative Effekte auf den Zuckerstoffwechsel auszugleichen", rät Pfeiffer.
Die moderne Ernährungsweise wird dem allerdings nicht gerecht. Statt der empfohlenen 30 bis 40 Gramm Ballaststoffe pro Tag kommt der Durchschnittsbürger auf maximal 18 Gramm. "Dies bedeutet eine vertane Chance, was die menschliche Gesundheit anbelangt", so Hauner. Hauner und Pfeiffer halten es für wichtig, Fertignahrungsmittel künftig mit Ballaststoffen "aufzupeppen". Gesünder sind natürlich frisch gekochte, ballaststoffreiche und ausgewogene Mahlzeiten.
Was genau sind Ballaststoffe?Wie viel Ballaststoffe sollten man zu sichen nehemen?Wie verträglich sind sie?