Ex-Kaffeejunkie Der eiskalte Koffeinentzug

Espressozubereitung: Koffein kann süchtig machen
Foto: FREDY BUILES/ REUTERSSchweden, 1992: Im Zelt waren es minus 15 Grad, mindestens. Das Blöde: Während Tobi in einem Spezial-Carbonfaser-Nano-Goretex-Reinhold-Messner-Everest-Schlafsack steckte, war meiner nur das Fünfzig-Mark-Modell von Karstadt. Wie irre war ich eigentlich, Campingurlaub in Schweden zu machen... Mitten im Winter?!
Während ich seufzte und beobachtete, wie mein Atem zu kleinen Kristallen gefror, fiel mir ein, dass ich das Kaffeepulver vergessen hatte. Ich traute mich gar nicht aufzustehen. Schon unter normalen Bedingungen war ein Morgen ohne Kaffee für mich eine Tortur. Aber hier, im arktischen Schweden, war es schlicht eine Frage von Leben und Tod.
Ich überzeugte Tobi davon, sofort in den Supermarkt zu fahren. Zum Glück fanden wir einen in nur zwanzig Kilometern Entfernung. Noch im Auto riss ich die Packung auf und schüttete mir das Kaffeegranulat in den Mund. Tobi sah mich mit offenem Mund an. Es schmeckte widerlich, aber ich kaute zufrieden auf den gefriergetrockneten Krümeln herum. Da wusste ich, dass ich süchtig war. Kaffeesüchtig.
Schweden ist lange her. Mittlerweile ist aus mir ein Edel-Junkie geworden: Morgens führt mich mein Gang zu meiner Kaffeemahlmaschine, die die äthiopischen Espressobohnen - 100 Prozent Arabica, Bio, Fairtrade - langsam zermalmt. Macht einen Höllenlärm, aber wenn meine Nachbarn Balkan-Disko hören, ist das auch nicht schön.
Ein Tag ohne Kaffee ist wie ein Tag ohne frische Unterhose
Eigentlich ist Espresso ja etwas, das man aus kleinen Tässchen genießt. Solche homöopathischen Dosen bringen mich aber schon längst nicht mehr weiter. Ich braue mir jeden Morgen mit dem Espressokocher einen halben Liter, was etwa 20 Mini-Espressi entspricht. Damit ich nicht ständig nachschütten muss, benutze ich seit Jahren nur noch große, bauchige Tassen. Dann noch Milch und Zucker rein, fertig ist der Koffein-Fix. Wenn ich früh aufstehen muss, mach ich mir gerne noch eine zweite "Tasse". Und bei der Arbeit trinke ich noch mal zwei.
Ich habe diesen exzessiven Konsum jahrelang mit niedrigem Blutdruck gerechtfertigt. Tatsächlich hatte ich morgens mal Schwindelanfälle beim Aufstehen. Aber das war Ende der Achtziger. Mein Blutdruck ist seit Jahren im Normbereich. Ja, Espresso sei Dank, sagt meine innere Stimme dann immer, wenn der Arzt die Blutdruckmanschette zufrieden von meinem Arm löst. Aber was soll meine innere Stimme auch anderes sagen? Etwa, dass ich ein verdammter Koffein-Junkie bin?
Ein Tag ohne Kaffee fühlt sich für mich so an wie ein Tag ohne Zähneputzen oder ohne frische Unterhose. Fast noch schlimmer sind Tage, die mit miesem Kaffee beginnen. Das passiert entweder im Urlaub oder in der deutschen Provinz, die bewaffnet mit Filterpapier und Kaffeesahnedöschen das Eduscho-Deutschland der fünfziger Jahre bis zum letzten Tropfen verteidigt. Das ist übrigens der Hauptgrund, warum ich Hotels nicht mag. Weil sie zu geizig sind, ihren Gästen morgens einen anständigen Kaffee zu servieren.
Tag eins ohne Kaffee ist grausam
So kann es nicht weitergehen. Mein Koffeinkonsum liegt bei rund zwei Gramm pro Tag. Schon ab einem Gramm haben Menschen Vergiftungserscheinungen. Habe ich deswegen seit Wochen Schlafprobleme? Ich entschließe mich, einen kalten Entzug zu machen. Laut Wissenschaft muss ich mit Entzugserscheinungen rechnen.
Tag eins ohne Kaffee ist grausam. Ich fühle mich wie benebelt. Dass ich den ganzen Tag nicht richtig wach werde, ist nicht mal das Schlimmste. Jeder Schritt, jede Bewegung fällt mir dreimal so schwer wie sonst. Die Muskeln schmerzen. Dazu: Kopfschmerzen. Ich schlafe schlecht.
Tag zwei beginnt genauso. Ich fühle mich wie gerädert. Da ist dieses Loch im morgendlichen Ritus. Kein herrlicher Kaffeeduft. Als ich den Kühlschrank öffne, dann doch noch der verführerische Duft der Kaffeebohnen. Ich knalle die Tür zu und mache mir einen Pfefferminztee. Eigentlich wollte ich heute zum Sport, aber daran ist überhaupt nicht zu denken.
Tag drei lässt sich besser an. Ich bin zwar immer noch müde, fühle mich aber fitter. Und ich habe besser geschlafen als sonst. Ich gehe eine Runde joggen. Es ist hart. Ich tippele vor mich hin, schaffe die Runde mit Ach und Krach. Danach ist mein Kreislauf unten. Normalerweise mache ich mir nach einer Morgenrunde immer einen Espresso. Heute muss es ohne gehen. Die innere Stimme erinnert mich an meinen niedrigen Blutdruck. Ich sage ihr, sie soll den Mund halten.
Ich schaffe es gerade noch, diese Kolumne fertigzuschreiben. Ich werde weiter clean bleiben, liebe Kolumnenleser. Ab heute bin ich ein Expresso.