Speis und Zank Meerschwein bitte, well done!

Frösche in Belgien, Meerschweinchen in Peru, Antilopen in Südafrika: Was wir essen, hängt erheblich von Herkunft, Kultur und Religion ab. Reflexhafte Igitt-Rufe angesichts ungewohnter Lebensmittel sind nicht nur überflüssig, sie zeugen auch von kultureller Engstirnigkeit.
Von Jan Spielhagen
Gegrilltes Meerschweinchen in einem Gourmetrestaurant in Cuzco, Peru: Andere Länder - anderes Grillfleisch

Gegrilltes Meerschweinchen in einem Gourmetrestaurant in Cuzco, Peru: Andere Länder - anderes Grillfleisch

Foto: Corbis

Ich bin ein Monster. Ein Mensch gewordenes schwarzes Loch, ich verschlucke alles. Ich habe schon Schildkröte gegessen, Schlange, Qualle, Seespinne, Elch, Schnecken und Heuschrecken. Außerdem tausendjährige Eier, Gehirn, Niere, Hühnerfüße, Entenzungen und die stinkige Jackfrucht. Wenn ich reise, dann probiere ich. Auf der Suche nach unbekannten Aromen und Genüssen, aus Neugier, aber auch aus Respekt vor den Traditionen anderer Länder und Völker.

Vor allem aber schreie ich nicht erst einmal "Igitt!", oder "Das essen doch nur Barbaren", wenn ich etwas sehe, was bisher nicht auf meinem Speiseplan stand. Ich respektiere, was die Menschen auf der Welt zu sich nehmen. Das ist eine Frage der Achtung, keine Mutprobe.

Was wir essen hängt davon ab, wo wir leben und wie wir leben. Es ist kein Zeichen von Kultur, dass wir in Deutschland keine Meerschweinchen essen, es ist Zufall. Seit Jahrtausenden springen Rehe durch unsere Wälder, suhlen sich Schweine auf unseren Höfen, wächst der Weizen auf unseren Feldern. Deshalb sind wir mit Wild- und Schweinefleisch vertraut, mögen und finden es in konsumentenfreundlichen Stücken in der Kühltruhe. Im Regal daneben liegt das Brot.

Tausendjährige Eier: Nicht eklig, sondern delikat

In Peru hingegen leben Meerschweinchen, und deshalb werden sie dort auch gegessen. 65 Millionen Tiere im Jahr, heißt es. Die Meere rund um die japanischen Inseln werden von Quallen besiedelt. Der Atlantik nördlich der Lofoten ist voller Seespinnen. In Indonesien gibt es Schlangen, in Australien Kängurus. Und in China, wo ein Sprichwort sagt, dass alles zwischen Himmel und Erde gegessen werden soll, werden Schildkröten und Frösche gezüchtet, wie bei uns Schafe und Hühner und in Frankreich Austern und Weinbergschnecken. Auch tausendjährige Eier sind dort eine Delikatesse: Enteneier, wochenlang fermentiert in einem Brei aus Anis, Pfeffer, Salz, Holzasche, Sägespänen, Kalk, Teeblättern, Zitrone und anderen Zutaten. Was für eine wahnsinnige Spezialität, so viel Mühe für ein Ei.

Andere Länder, andere Tiere, anderes Essen - herrliche Vielfalt!

"Der spinnt doch"

Bleibt der Vorwurf des Speziesismus. Von Veganern so oft wiederholt, dass man sich manchmal mit der Schlafkrankheit infiziert fühlt. Allesesser seien Speziesisten, also Menschen, die irgendwie damit zurecht kommen, dass sie Hunde streicheln und ihnen Namen geben, Schweine hingegen braten und sich auf die Kruste freuen. Die globale Speisekarte ist der Gegenbeweis. Irgendwo auf der Welt wird jedes Tier gegessen. Das ist nicht anders als bei Obst und Gemüse. Oder haben Sie in Griechenland schon einmal Grünkohl gegessen? Oder auf Ihrem Fischbrötchen auf Sylt Nordseealgen entdeckt?

Tja, nun ist der Text gleich vorbei. Und ich bin sicher, dass die meisten von Ihnen trotzdem "Igitt" denken, und "der spinnt doch". Dann lehnen Sie sich wahrscheinlich zurück in Ihrem Bürostuhl und nehmen einen schönen Schluck aus Ihrem Kaffeebecher, in dem die Muttermilch eines wiederkäuenden Säugetiers ihren Kaffee hellbraun gefärbt hat. Lassen Sie sich das mal auf der Zunge zergehen: Muttermilch von der Kuh! Und vor allem: Erklären Sie das mal einem Inder!

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