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Steilwände: Herausforderung Big Walls

Foto: huberbuam.de

Alexander Huber "Es kommt darauf an, wie du dein Leben mit Leben füllst"

Alexander Huber gehört seit Jahrzehnten zu den besten Extremkletterern der Welt - zählt aber nicht mehr zu den Jüngsten. Im Interview mit achim-achilles.de spricht er über das Altern als Bergsteiger, den Burnout von Büromenschen und darüber, warum die Angst sein bester Freund ist.

Seine letzte große Expedition unternahm Alexander Huber gemeinsam mit seinem Bruder Thomas im August vergangenen Jahres: Als Erste kletterten die beiden, bekannt auch als die "Huberbuam", den Mount Asgard auf Baffin Island in der kanadischen Arktis frei. Das Abenteuer ist im neuen Film "Bavarian Direct" zu sehen, der kürzlich Premiere feierte. Achim-Achilles.de hat mit dem Extremkletterer über Gesundheit und Krankheit, Glück sowie das Altern gesprochen - und den Umgang als Sportler damit.

SPIEGEL ONLINE: Sie und Ihr Bruder sind in die Arktis aufgebrochen, um 800 Meter an einer steilen Bergwand unter schwersten Bedingungen zu klettern. Sind Sie nicht langsam zu alt für solche Expeditionen?

Alexander Huber: Sicher, jenseits der vierzig sind wir schon fast zu alt für Spitzensport - aber eben nur fast.

SPIEGEL ONLINE: Macht Ihnen Ihr Alter zu schaffen?

Huber: Massiv (lacht)! Mit 28 Jahren war ich an der Weltspitze beim Sportklettern. Maximalkraft ist hier das Maß der Dinge. Mit spätestens dreißig beginnt es mit der Maximalkraft langsam bergab zu gehen. Schon da habe ich gemerkt, dass ich über den erreichten Horizont beim Sportklettern nicht hinauskommen werde. Ich habe in mich hineingehört und intuitiv gespürt, dass meine Ziele in der Zukunft mehr in der Ausdauerleistung liegen werden. Deshalb habe ich mich mehr den großen Wänden an den großen Bergen unserer Erde zugewandt.

SPIEGEL ONLINE: Eine dieser "Big Walls" ist die Steilwand auf Baffin Island. Sie und Ihr Bruder waren zehn Tage in der Wand unterwegs. War diese Besteigung ihre bisher größte Herausforderung - gerade weil Sie auch nicht mehr die Jüngsten sind?

Huber: Es war ohne Frage einer der echten Höhepunkte in unserem Bergsteigerleben. Aber ich tue mich schwer, ein Ranking bei den Highlights rauszugeben. Andere Sportler können auch oft nicht sagen, ob der Weltmeister- oder der Olympiasieg bedeutender war.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es auch Tage, an denen Sie nicht klettern gehen?

Huber: Klar, als Sportler des gehobenen Alters brauche ich mittlerweile richtige Pausen und Ruhetage, an denen man dem Körper Zeit gibt, sich zu erholen.

SPIEGEL ONLINE: Sie gehen in die Berge, seitdem sie zwölf sind. Was hat Sie das Klettern gelehrt?

Huber: Es hat mir besondere Momente im Leben beschert, mich gelehrt, ein erfahrungsintensives Leben zu führen. Der Wert des Lebens hängt nicht von der Anzahl der rein nominell gelebten Jahre ab. Es kommt darauf an, wie du dein Leben mit Leben füllst. Ich selbst verschaffe mir intensive Momente über das Bergsteigen, andere Menschen haben andere Leidenschaften. Ich bin sicher, dass jeder ein zufriedenes und ein orientiertes Leben führen kann, wenn er eine Leidenschaft hat und diese auch auslebt.

SPIEGEL ONLINE: Dennoch sind viele Menschen unzufrieden, gestresst und überfordert vom Job, immer an der Grenze zum Burnout.

Huber: Nicht nur die Erwachsenen. Gerade kam bei einer Unicef-Studie heraus: Deutschen Kindern geht es materiell so gut wie noch nie. Sie sind aber auch unzufrieden. Warum sind die Jugendlichen in Deutschland so unzufrieden?

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie eine Antwort?

Huber: Zufriedenheit hängt nicht von Reichtum ab. Über die Gründe kann ich aber nur spekulieren. Vielleicht ist mit all den neuen Medien das Leben zu schnell und unübersichtlich geworden? Es kann auch gut sein, dass die Erwartungshaltung der heutigen Eltern an Kinder und Jugendliche einfach zu hoch ist. Wissen und Bildung sind extrem wichtig. Wir sollten aber auch verstehen, dass Bildung dafür da ist, uns das Leben leichter zu machen. Der Leistungsdruck, der heute dabei aufgebaut wird, kann aber durchaus auch das Gegenteil bewirken: Der Stress bei den Kindern steigt, die Lebensqualität sinkt.

SPIEGEL ONLINE: Sie repräsentieren den Gegenentwurf zum gehetzten Büromenschen und tun das, was Sie glücklich macht: klettern. Wie findet man sein Glück?

Huber: Im Grunde ist es ganz einfach: Wenn man einen Beruf hat, der nicht glücklich macht, sollte man sich ernsthaft überlegen, ob man nicht sein Leben umkrempelt und sich auf die Suche macht nach einem Job, der einem wirklich Freude bereitet.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt einfach, ist es aber nicht.

Huber: Ich weiß, aber man sollte es trotzdem in Erwägung ziehen. Was die Freizeitgestaltung angeht: Man findet sein Glück nur dann, wenn man auch was dafür tut! Wer jeden Tag nur vor der Glotze abhängt und nichts tut, der wird auch nichts erleben. Das sind die grauen Tage im Leben. Tage, die sich durch nichts von anderen grauen Tagen unterscheiden.

SPIEGEL ONLINE: Diese grauen Tage nennt man Alltag.

Huber: Ein Abend vor dem Fernseher hinterlässt keine Spuren im Leben. In meinem Verständnis sind Falten im Gesicht ein Zeichen dafür, dass man was erlebt hat. Falten werden gerne als Übel des Alters stigmatisiert und doch schauen wir gerne in das ausdrucksstarke Gesicht eines alten Menschen, der mit sich und seiner Welt im Reinen ist. Die Falten als Ausdruck eines gelebten Lebens erzählen doch mehr als eine mit Botox auffrisierte, aalglatte Fassade.

SPIEGEL ONLINE: Ihrem Bruder Thomas wurde 2011 ein Nierentumor entfernt, der sich zum Glück als gutartig herausgestellt hat. Hat das Ihren Blick aufs Leben verändert?

Huber: Bei Thomas hat es sicher etwas verändert. Ich denke, das passiert zwangsläufig, weil Körper und Geist ja untrennbar miteinander verbunden sind. Wenn eine schwerwiegende Krankheit den Körper angreift, hinterlässt es immer Spuren. Ich selbst war nicht unmittelbar betroffen, ich würde daher bei mir nicht von einer signifikanten Änderung in meinem Leben sprechen. Dennoch: Eine kleine Spur hat dieses Ereignis auch bei mir hinterlassen.

SPIEGEL ONLINE: Inwiefern hat sich Ihr Bruder Thomas durch die Krankheit verändert?

Huber: Das kann man schwer sagen. Es ist nicht so, dass Thomas vorher ein grundlegend anderes Leben geführt hat. Wir haben vor der Erkrankung intensiv gelebt und das machen wir nach wie vor. Aber ich würde sagen, dass wir unsere Philosophie jetzt eher doppelt unterstreichen und sagen: Ja, genau, wir haben es bisher richtig gemacht und machen es auch weiter so. Jeder Tag ist ein Geschenk, und man weiß nie, wie viele Geschenke man noch bekommt.

SPIEGEL ONLINE: Kletterer gelten als waghalsige Draufgänger, als Adrenalin-Junkies, dabei ist Angst ein wichtiger Faktor in den Bergen.

Huber: Angst in den Bergen ist überlebenswichtig, weil sie vorsichtig macht. Wenn ich in der Bergwelt unterwegs bin, bin ich permanent in absturzgefährdetem Gelände und immer direkt lebensbedroht. Wenn ich da nicht stets wachsam agieren würde, dann schlägt die Gefahr zu. Im Bergsteigen bedeutet das den Tod. Nachlässigkeit darf dabei nicht aufkommen. Man muss gesunden Respekt vor dem Berg haben. Denn ihm ist es völlig egal, ob ich an ihm sterbe oder einen schönen Tag erlebe. Ich muss auf mich selbst schauen - und das gelingt mir durch die Angst.

SPIEGEL ONLINE: Heißt das dann auch als Bergsteiger, dass man manchmal einen Schritt zurückmachen muss?

Huber: Klar, die Angst teilt einem das schon mit. Wenn man zu nervös wird, hat man nicht das nötige Selbstbewusstsein. Dann treibt sie einen dazu umzudrehen. So gesehen kann man sagen: In den Bergen ist die Angst dein bester Freund.

SPIEGEL ONLINE: Es heißt aber: Im Leben ist Angst ein schlechter Berater.

Huber: Die Angst ist nur dann ein schlechter Berater, wenn man sich nicht mit ihr auseinandersetzt. Der Fehler liegt meistens darin, dass man dem, was einem Angst macht, aus dem Weg geht. Man sollte der Angst ins Auge schauen. Und wenn man den Dingen auf den Grund geht, wird sich dann auch irgendwann die richtige Lösung zum Problem finden. Man könnte auch sehr philosophisch sagen: Der Weg ist dort, wo die Angst ist.

Ob Klettern oder Laufen - Hauptsache Bewegung: "Bewegt Euch! Die Glücks-Philosophie des Achim Achilles" .

Das Interview führte Frank Joung
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