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Kinesio-Tapes: Schwarz, Rot, Pink

Foto: Bartlomiej Zborowski/ dpa

Kinesio-Tapes Der blau gestreifte Super Mario

Italiens Torschütze Mario Balotelli entblößte seinen Oberkörper - und drei türkise Klebestreifen auf dem Rücken. Seitdem fragen sich viele: Was hat es mit den Kinesio-Tapes auf sich? Sie sollen Verspannungen lösen und Schmerzen lindern. Wissenschaftliche Beweise für den Nutzen gibt es aber kaum.
Von Cinthia Briseño und Dennis Ballwieser

Heroisch stand er da. Die Oberarmmuskeln bis zum Maximaltonus angespannt, stechender Blick, ein Stiernacken wie im Bilderbuch. Die Pose des Mario Balotelli nach seinem 2:0 im Halbfinale gegen Deutschland hat sich sofort in das Kollektivgedächtnis der EM-Zuschauer eingebrannt.

Doch als sich das Enfant Terrible der italienischen Nationalelf das Hemd vom Leib riss und seinen nicht minder muskulösen Rücken offenbarte, da waren auch sie zu sehen: Jene türkisen Klebestreifen, die seit vielen Jahren immer wieder auf Rückenpartien, Fußgelenken, Schultern oder Nacken von Sportlern prangen.

Für was sollen diese Streifen gut sein? Neben den Diskussionen um Balotellis Gladiator-Auftritt an sich, war das die Frage, die am nächsten Tag in etlichen Runden für Gesprächsstoff sorgte. Dabei ist Balotelli längst nicht der erste Fußballstar, der mit seinen farbigen Kinesio-Tapes auffiel. Schon 2007 sprach alle Fußballwelt über David Beckham, der nicht nur mit seinem freien Oberkörper bei einem Spiel als Real-Madrid-Torjäger reihenweise die Frauen verzückte, sondern auch mit einem gekreuzten Kinesio-Tape-Muster knapp über der Hüfte - in pink!

Erleichterung für die Schmerzsensoren

Kinesio-Tapes, so die Idee ihres japanischen Erfinders Kenzo Kase, sollen helfen, indem sie die Durchblutung der Muskulatur steigern. Die Streifen, die aus fein gewebter Baumwolle bestehen und mit einem dünnen Film Acrylkleber versehen sind, werden wie eine zweite Haut an die Muskeln geheftet. Zudem sind die Streifen atmungsaktiv und hochelastisch.

Zwischen der Epidermis und der Dermis, also den ersten beiden Hautschichten, befinden sich die Schmerzsensoren. Kase, der als Chiropraktiker auf der Suche nach einem Weg war, wie man Schmerzen ohne Medikamente lindern könnte, kam auf die Idee, die erste Hautschicht einfach anzuheben. So soll das Blut besser in die verletzte Region fließen können. Die ersten Versuche mit seinen Tapes machte Kase an Sumo-Ringern. 1979 gilt als das Geburtsjahr seiner Kinesio-Tapes. Wie Kase in einem Interview erzählte , soll sogar sein Chihuahua, der von einem größeren Hund gebissen wurde, bereits von den bunten Streifen profitiert haben.

Aber helfen die Kinesio-Tapes auch wirklich?

Die Zahl der persönlichen Berichte über Erfolge mit Kinesio-Tapes ist groß. Viele schwören darauf, insbesondere bei Spitzensportlern sind die japanischen Wunderstreifen seit vielen Jahren en vogue. Anders als die Nasenpflaster, die in den neunziger Jahren unter anderem auch bei Fußballern beliebt waren (durch das Anheben der Nasenflügel soll man besser atmen und so mehr Sauerstoff in den Körper bringen können). Sie verschwanden von der Bildfläche, weil sie sich als Humbug entpuppten.

Kaum wissenschaftliche Beweise

Wissenschaftliche Untersuchungen über die Kinesio-Tapes gibt es wenige. In einer aktuellen Übersichtsarbeit  untersuchten neuseeländische Forscher, was über die Wirksamkeit von Kinesio-Tapes bekannt ist. Insgesamt fanden die Forscher um Sean Williams von der Auckland University of Technology nur zehn Studien, die den Ansprüchen eines Studienvergleichs genügten. Nur zwei davon untersuchten sportbedingte Verletzungen, nur eine war an Wettkampfsportlern durchgeführt worden. Zwar gab es Hinweise, dass Kinesio-Taping auf die Muskelaktivität wirkt, allerdings wissen die Forscher nicht, ob positiv oder negativ.

Die Neuseeländer stellen nüchtern fest: Die Sportwissenschaft wisse nur wenig über das Kinesio-Taping, und die Qualität der spärlichen Ergebnisse lasse zu wünschen übrig. Die Methode sei anderen, etablierten Formen des elastischen Tapens durch Physiotherapeuten nicht überlegen. Das Arbeiten mit Klebebändern ist bei Ärzten und Physiotherapeuten gängige Praxis. Unerwünschte Bewegungen sollen so verhindert und die körpereigene Wahrnehmung der Lage und Bewegung im Raum verbessert werden. Es gibt Belege, dass Tape-Verbände diese sogenannte Propriozeption verbessern können.

Als Firlefanz abtun sollte man die bunten Kinesio-Tapes deshalb nicht. Nicht nur die Physiotherapeuten von Profisportlern wenden die Methode an. In vielen orthopädischen Praxen und Kliniken gehört sie längst zum sportmedizinischen Programm. Klaus Bös, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sieht das so: "Obwohl bisher wissenschaftliche Studien fehlen, gibt es mit Sicherheit Anhaltspunkte dafür, warum man das mit dem Kinesio-Taping macht. Entscheidend ist nicht nur, was der Arzt sagt, sondern was der Patient fühlt." Diesen scheint es mit den japanischen Klebestreifen oft besser zu gehen.

Blau, Pink oder Schwarz?

Positive Effekte für Muskelkraft und Gelenkbeweglichkeit halten auch die Sportwissenschaftler um Williams in ihrer Analyse für möglich. Der wissenschaftliche Nachweis, dass die Tapes auch gegen Schmerzen helfen sollen, sei dagegen aber bisher nicht erbracht. Deshalb fordern die Forscher Studien, in denen die Kinesio-Tapes mit Placebo-Klebeverbänden verglichen werden.

Und was hat es mit der Farbe auf sich? Viele Physiotherapeuten glauben an einen psychologischen Effekt. Dabei kamen die Farben nur durch eine Anekdote ins Spiel: Kase habe mit hautfarbenen Tapes begonnen. Bis sich vor rund 20 Jahren eine Schülerin beschwerte und sagte, das sehe scheußlich aus, es mache sie krank. Kase stieg daraufhin auf Pink und Blau um - bis Sportler zu ihm kamen. "Sie waren der Meinung, dass Schwarz viel stärker aussieht." Balotelli steht auf Türkis.

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