Leistungssport Forscher tüfteln am Training der Zukunft

Laktattest bei Spieler von Werder Bremen: Messung einzelner Parameter genügt nicht für eine optimale Trainingssteuerung
Foto: Carmen Jaspersen/ dpaWelcher ambitionierte Hobbysportler kennt sie nicht: Die legendäre anaerobe Schwelle (ANS) . Wird sie überschritten, steigt der Laktatspiegel bei steigender Belastung immer weiter an. An diesem Wert orientieren immer noch viele Sportler ihr gesamtes Training. Dabei weiß man längst, dass für die Kondition auch hochintensive Belastungen nötig sind.
Gerade im Leistungssport reicht Laktat daher zur Trainingssteuerung deshalb bei weitem nicht mehr aus: Das Milchsäuresalz liefert keine ausreichenden Informationen über die Leistungsfähigkeit - und sagt auch nichts über die Regenerationsfähigkeit eines Athleten aus. Während der eine Proband noch deutlich härter trainieren könnte, ist der andere längst überlastet.
Zwar liefern auch andere Werte wie der Puls oder die Atemgasanalyse Aussagen über den Zustand des körperlichen Stoffwechsels. Doch "wesentlich wichtiger als die augenblickliche Stoffwechselleistung ist, wie der Einzelne auf einen Trainingsreiz reagiert und regeneriert", sagt Joachim Mester, Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Leistungssport (Momentum) an der Deutschen Sporthochschule Köln. Mehr als die mögliche Leistung interessiert ihn und sein Team deshalb quasie der Erschöpfungszustand des Athleten. Dazu messen die Forscher eine ganze Reihe von biochemischen Parametern wie Blutgase, Hormone sowie verschiedenen Biomarker für den Zelluntergang.
Ein relativ bekannter Marker ist die Creatin-Kinase , ein Enzym, das auch in der Herz-Diagnostik genutzt wird. Der CK-Wert deutet auf Zellschäden hin - egal ob im Herzen oder im Oberschenkel. Genau das macht die CK so interessant für die Belastungsforschung.
"Wenn zwei gleichstarke Athleten dasselbe Training absolvieren", sagt Mester, "kann die CK beim einen auf das doppelte, beim anderen aber auf das sechsfache ansteigen." Das habe Auswirkungen auf das Training: "Während der erste Sportler relativ schnell regeneriert, braucht der andere zur Erholung oft wesentlich länger."
Der CK-Wert ist jedoch nur ein Parameter unter vielen anderen, die heute allesamt mit moderner Technik aus dem Kapillarblut (per Pieks ins Ohrläppchen oder in die Fingerkuppe) oder dem Speichel gemessen werden können. Dazu gehören Immun- und Stressparameter, die Namen haben wie IgA, Cortisol, Total Protein, Billirubin, Urea, LDH, AST, ALT und andere. Erst mehrere Messgrößen zusammen erlauben ein genaueres Bild von der Belastungs- und Regenerationssituation der Athleten.
Ampelsystem für Sportler
Doch welche Aussagekraft haben diese Parameter tatsächlich? Um mithilfe der neuesten Diagnostik das Training wirklich ausschöpfen zu können, setzen die Kölner auf zwei Zauberworte: Evidenzbasierung und Personalisierung. "Wir werten weltweit Studien auf ihre Evidenz aus, Evidenz im Sinne von Beweiskraft", sagt Mester. "Diese teilen wir dann in vier Stufen ein". Die höchste Beweiskraft genießen danach Übersichtsanalysen von sauberen Doppelblindstudien, die niedrigste haben Meinungsbilder von Einzelpersonen, auch wenn sie veröffentlicht sind.
Zudem will man - so wie in der Medizin mit maßgeschneiderten Medikamenten auch - aus den einzelnen Parametern persönliche Trainingspläne ableiten. Der Mensch reagiert sehr individuell auf Training. "High und low responder sind seit langem bekannt", sagt der Sportwissenschaftler. "Aber erst heute hat man die Techniken, um das genauer zu verstehen und bei der Wahl der Trainingsreize die individuellen Unterschiede berücksichtigen zu können."
In der Praxis mündet die Messung der Parameter schließlich in einem Ampelsystem: Bei Rot sollte der Sportler die Belastung reduzieren und mehr Gelegenheit zur Regeneration haben. Bei Grün kann der Athlet noch deutlich mehr Gas geben.
Das Verfahren ist inzwischen Routine, bereits eine breite Palette an Sportlern werden von den Kölnern nach diesem Ampelsystem trainiert, unter anderem auch Profis der Fußball-Bundesliga. Die Ergebnisse, die mit einem Tropfen Kapillarblut gewonnen werden, stehen dank moderner Diagnosegeräte unmittelbar zur Verfügung. Schließlich nutzt es dem Sportler und seinem Trainer nichts, wenn sie die Laborwerte erst Wochen später erhalten. Mit Hilfe von Fragebögen wollen die Forscher noch prüfen, wie gut das System für die Athleten funktioniert.
Aufzuhalten ist dieser Fortschritt wohl kaum. Zwar stünde die Erforschung der genetischen Voraussetzungen und möglichen genetischen Anpassungen des Erbguts des Sportlers erst am Anfang, sagt Mester. Aber schon jetzt lieferten wissenschaftliche Erkenntnisse interessante Hinweise. "Wenn das noch verbessert wird, können wir die Sportler für die Leistungssteigerung und Gesunderhaltung noch deutlich besser beraten."