Entwicklungsländer Millionen Kinder sterben an Mangelernährung

Drei Millionen Kinder sterben jedes Jahr an den Folgen von Mangelernährung - doch ihr Tod wäre in vielen Fällen vermeidbar. In einer aktuellen Analyse präsentieren Forscher einfache Maßnahmen, die das Leben der Kinder retten könnten.
Unterernährtes Kleinkind in Kenia (Archivbild): Hunger hemmt Bildung

Unterernährtes Kleinkind in Kenia (Archivbild): Hunger hemmt Bildung

Foto: ? Jonathan Ernst / Reuters/ REUTERS

Die ersten tausend Tage des Lebens sind entscheidend. Mit Beginn der Schwangerschaft beeinflusst die Ernährung etliche Faktoren: vom Risiko für Übergewicht oder für Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes bis hin zur Lernfähigkeit eines Kindes.

Doch weltweit leiden Millionen Kinder unter den Folgen von Unterernährung. Jedes Jahr sterben 3,1 Millionen Kinder unter fünf Jahren, weil sie nicht genug zu Essen bekommen. Wie die renommierte Medizinzeitschrift "The Lancet" jetzt in einer umfassenden Analyse zur Ernährung von Neugeborenen, Kleinkindern, Schwangeren und Müttern  berichtet, wären knapp die Hälfte (45 Prozent) dieser Todesfälle vermeidbar - allein durch eine bessere Ernährung.

Hunger verhindert Bildung und wirtschaftlichen Erfolg

In den vergangenen Jahren sei der Stellenwert der Ernährung während der Schwangerschaft und der Kindheit zwar international anerkannter geworden, schreiben die Autoren. Positive Effekte habe dieses Wissen allerdings bisher nicht erbracht.

Dabei sind nicht nur die Todesfälle ein immenses Problem: 165 Millionen Kinder weltweit leiden unter Wachstumsstörungen durch Mangelernährung. Auch das hat schwerwiegende Konsequenzen: Die geistige Entwicklung der Kinder wird ebenso beeinträchtigt wie die körperliche Leistungsfähigkeit im späteren Leben.

Damit, so die "Lancet"-Autoren in ihrer Zusammenfassung, wachse eine weitere Generation heran, die bei der Produktivität hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben müsse.

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Entwicklungsländer: Unterernährung in Zahlen

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Ein Hauptargument der Wissenschaftler um Robert Black von der Johns Hopkins University im US-Bundesstaat Maryland ist die Bedeutung der frühkindlichen Ernährung sowohl für die Bildung als auch für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes: Jene 34 Nationen, die am härtesten von Mangelernährung betroffen sind, hätten keine Chance, die Armut zu überwinden und wirtschaftlich voranzukommen, solange sie ihre Bevölkerung nicht ausreichend mit Nahrung versorgen könnten.

Unterernährung, so die Forscher, führe zu Produktivitätsverlusten und reduziere so die wirtschaftliche Leistungskraft eines Landes deutlich. Erst vor wenigen Tagen hatte die Uno-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO ihren Jahresbericht vorgestellt, in dem sie zu ähnlichen Ergebnissen kommt.

Um die Kindersterblichkeit durch Mangelernährung zu bekämpfen, empfehlen die Autoren der "Lancet"-Analyse zehn grundlegende Maßnahmen: So sollte beispielsweise Schwangeren genügend Eiweiß zur Verfügung stehen, ebenso Folsäure, Kalzium und andere wichtige Nährstoffe. Zudem sollte das Stillen beworben werden, falls nötig sollten Mütter zufüttern. Auch Maßnahmen gegen einen Mangel an Vitamin A und Zink bei Kindern sind demnach wichtig.

Die Forscher rechnen vor: Kämen diese Maßnahmen bei 90 Prozent der Bevölkerung in den betroffenen Ländern an, ließen sich jährlich 900.000 Leben retten.

Als Maß der Unterernährung verwenden die "Lancet"-Autoren vor allem die Wachstumsstörung von Kindern unter fünf Jahren. Zwar sei der Anteil der wachstumsgehemmten Kinder in wirtschaftsschwachen Ländern seit 1990 von 40 Prozent auf 26 Prozent im Jahr 2011 zurückgegangen, dennoch sind 165 Millionen Kinder weltweit weiterhin davon betroffen. Noch schwerer trifft es die 71 Millionen Kinder, die an chronischem Nährstoffmangel leiden. In der Fachsprache heißt dieser Zustand Marasmus: 19 Millionen Kinder weltweit gelten als schwere Fälle, weitere 52 Millionen als davon betroffen.

Allein 800.000 Todesfälle jährlich sind der Studie zufolge auf Probleme beim Stillen zurückzuführen, mehr als 800.000 Todesfälle in den ersten Lebensmonaten gehen demnach auf das zu niedrige Geburtsgewicht Neugeborener zurück. Die Mütter sind am stärksten durch Blutungen während und nach der Geburt gefährdet. Ein Großteil dieser Todesfälle könnte durch eine ausreichende Zufuhr wichtiger Nährstoffe verhindert werden, so die Autoren.

Die Kosten für die vorgeschlagenen Versorgungsprogramme schätzen sie auf knapp zehn Milliarden sogenannte Internationale Dollar. Mit einem "International Dollar" kann im Bezugsland die gleiche Menge Waren gekauft werden wie mit einem US-Dollar in den USA. Günstiger könnte es möglicherweise sein, Menschen in den betroffenen Ländern über die Bedeutung der Ernährung aufzuklären und Unterstützung in Schulen anzubieten - was bisher nur in geringem Umfang geschieht.

Immerhin hätten sich aber im "Scaling up Nutrition Movement"  mittlerweile mehr als 30 Länder zusammengeschlossen und erklärt, sich verstärkt gegen die Mangelernährung zu engagieren. Beim Kampf um das Leben der Kinder gelte es auch, Berührungsängste mit der Lebensmittelindustrie abzubauen, heißt es im Report. Gerade das fällt offenbar schwer: Durch jahrzehntelange aggressive Werbung etwa für ungesunde Lebensmittel und Muttermilchersatz in Entwicklungsländern, so das Fazit der Autoren, hätten die Firmen einen schlechten Ruf weg.

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