Marathon "Wer Schmerzmittel braucht, sollte es lieber sein lassen"

Läufer beim Sydney Running Festival
Foto: Paul Miller/ dpaAlexander Hanke ist Arzt und Wissenschaftler am Olympiastützpunkt Niedersachen und an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er ist mehrfacher Marathon-Finisher und Ironman-Triathlet.
SPIEGEL ONLINE: Herr Hanke, haben Sie schon mal gedopt?
Hanke: Nein, definitiv nicht.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind Marathonläufer, Ironman-Triathlet - und Arzt. Sie wissen doch, was möglich ist.
Hanke: Die besten Voraussetzungen, legale Möglichkeiten so weit auszunutzen, wie es geht (lacht). Nein, ernsthaft, ich betreue als Arzt Profisportler und Kaderathleten. Da gibt es eine große Verantwortung, den Sport sauber zu halten. Das fängt vor der eigenen Haustür an.
SPIEGEL ONLINE: Es ist zwar kein Doping, aber dennoch auffällig - in einer Studie beim Bonn-Marathon 2009 gab jeder Zweite an, Schmerzmittel vor dem Start zu nehmen.
Hanke: Die Zahlen aus Bonn halte ich für extrem hoch. Wir haben 2014 beim Hannover-Marathon rund 800 Läufer befragt. Da waren die Zahlen deutlich geringer. Rund ein Fünftel gab an, vor dem Start Schmerztabletten zu schlucken. Wir sind jetzt dabei, eine größere Anzahl von Läufern zu befragen , um noch bessere Daten zu bekommen. Teilnehmen können alle Marathonläufer - egal, ob sie Medikamente nehmen oder nicht.
SPIEGEL ONLINE: Welchen Effekt hat es, Schmerztabletten vor dem Start zu nehmen?
Hanke: Keinen großen. Es macht nicht schneller. Diese Art von Schmerzmittel hat keinen leistungssteigernden Effekt. Im Training sind sie ineffektiv, da die Schmerzmittel den Muskelaufbau blockieren. Marathonläufer werfen die Tabletten vorbeugend ein, weil sie so mögliche Schmerzen unter der hohen Belastung unterdrücken und reduzieren wollen.
SPIEGEL ONLINE: Die Marathonläufer betäuben sich, um länger durchzuhalten?
Hanke: Ja, das ist aber gefährlich, weil Schmerz auch immer ein Warnsignal ist. Das Risiko besteht darin, dass die Signale des Körpers überhört werden. So läuft man Gefahr, sich schwerwiegender zu verletzen. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass das Risiko steigt, Magenblutungen zu bekommen.
SPIEGEL ONLINE: Kann man sagen, dass vor allem die leistungsorientierten Läufer zu Schmerzmitteln greifen?
Hanke: Nein, das zieht sich durch alle Läuferschichten und betrifft sogar die langsameren Teilnehmer jenseits der Vier-Stunden-Marke. Viele haben anscheinend das Gefühl, sie schaffen es nur so ins Ziel. Und nicht ins Ziel zu kommen, das ist für viele keine Option. Schmerzmittelmissbrauch ist übrigens auch bei Fußballern extrem verbreitet. Die Zahlen sind wahrscheinlich höher als bei Marathonläufern.
SPIEGEL ONLINE: Über welche Schmerzmittel reden wir?
Hanke: Es sind die klassischen rezeptfreien Medikamente wie Ibuprofen, Paracetamol und Acetylsalicylsäure (ASS).
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie das Gefühl, dass den Läufern die Risiken bewusst sind?
Hanke: Nach den Ergebnissen der ersten Studie ist es so, dass diejenigen, die etwas nehmen, die Risiken geringer einschätzen, als die, die nichts einwerfen. Interessanterweise sagen viele aber, dass sie es nicht wieder tun würden.
SPIEGEL ONLINE: Wird Marathon generell unterschätzt?
Hanke: Absolut. Ich kann es verstehen. Marathon ist ein unheimlich tolles Erlebnis, das das Leben positiv prägen kann, weil man sieht, was der Körper imstande ist zu leisten. Aber man muss sich ordentlich vorbereiten . Das kann man nicht in sechs Wochen abreißen. Wer aus einer Bierwette heraus ohne Training an den Start geht, handelt fahrlässig. Das kann gut gehen, aber man riskiert längerfristige Schäden. Wenn Läufer das Gefühl haben, dass sie Schmerzmittel brauchen, um ins Ziel zu kommen, sollten sie es lieber sein lassen.