Nutzen mediterraner Kost Spitzenstudie mit Schönheitsfehlern

Mediterrane Vorspeise: Erklärung für das niedrigere Schlaganfallrisiko
Foto: CorbisSüdeuropäer kochen mit Olivenöl, essen fettreich - und sind dennoch besser vor Herz-Kreislauf-Krankheiten geschützt als Nordeuropäer. Der Effekt der mediterranen Ernährung ist seit Jahrzehnten bekannt. Ergebnisse einer einmaligen Untersuchung könnten das Rätsel jetzt erklären.
Doch die Studie hat Schönheitsfehler. Ihr Anhang liest sich wie das Who's who der Arzneimittel- und Ernährungsindustrie: Auf einer halben Seite listen die Autoren auf, wer ihnen in der Vergangenheit Forschungsgelder, Redehonorare oder Reisekosten bezahlt hat. Darunter sind Novartis, Unilever, Roche, Merck, Danone, AstraZeneca, Nestlé, PepsiCo, Boehringer Ingelheim, Sanofi-Aventis. Da hilft es wenig, dass die Studie selbst aus öffentlichen Mitteln finanziert ist.
In kleiner Schrift auf der vorletzten Seite verstecken sich die möglichen Interessenkonflikte der Wissenschaftler. Löblich ist, dass sie im angesehenen Fachmagazin "New England Journal of Medicine" ("NEJM") angegeben werden müssen. Ernüchternd dagegen, wie deutlich die Crux der Ernährungsforschung wird: Forscher ohne enge Verbindungen zu Herstellern sucht man weitgehend vergeblich.
Trotz der Interessenkonflikte präsentieren Ramón Estruch von der Universitat de Barcelona und seine Kollegen im "NEJM" eine der spannendsten Studien in den letzten Jahren zum Thema gesunde Ernährung. Denn die Wissenschaftler wählten für ihre Untersuchungen die aussagekräftigste Studienform, eine, die man aus Kostengründen und wegen der Komplexität in der Ernährungsforschung selten durchführt.
Öl, Nüsse oder fettarm
Die Forscher testeten, ob eine mediterrane Ernährung mit viel pflanzlichem Fett das Risiko für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems mindern kann. Zwar gibt es bereits etliche Hinweise darauf, eindeutige Belege aber fehlten bisher. Dafür beschränkten sich die Forscher nicht nur auf die Beobachtung der Studienteilnehmer. Stattdessen teilten sie mehr als 7000 Menschen mit erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko zu Beginn der Studie in drei Gruppen: Eine bekam Nüsse gestellt, die zweite Olivenöl, die dritte erhielt den Auftrag, sich fettarm zu ernähren, so wie es unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt.
Das Ergebnis: Sowohl in der Nuss- als auch in der Öl-Gruppe sank nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von fast fünf Jahren das Risiko für schwere Herz-Kreislauf-Zwischenfälle (Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod durch Herz-Kreislauf-Krankheit) deutlich.
Obgleich die Reduktion des Risikos in Prozenten dramatisch klingt - 30 Prozent in beiden Gruppen -, fällt der Unterschied in absoluten Zahlen geringer aus: Die öl- oder nussreiche Ernährung kann in 1000 Personenjahren drei schwere Herz-Kreislauf-Ereignisse verhindern.
Die Studie im Detail
Die Studienautoren wollten untersuchen, ob eine mediterrane Diät das Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall, Tod aufgrund einer Herz-Kreislauf-Krankheit) senkt.
Spanische Freiwillige wurden an mehreren Standorten einer von drei Gruppen zugeteilt: die erste Gruppe ernährte sich mediterran und bekam Olivenöl gestellt, die zweite stattdessen Nüsse, die dritte sollte sich fettarm ernähren. Zusätzlich bekamen zunächst die Olivenöl- und Nuss-Gruppe, später auch die fettarm essende Gruppe Unterricht in ausgewogener Ernährung.
Endpunkt der Studie war die Rate schwerwiegender Herz-Kreislauf-Ereignisse.
Eingeschlossen wurden Männer zwischen 55 und 80 Jahren, Frauen von 60 bis 80 Jahren, die bei Studienbeginn nicht an einer Herz-Kreislauf-Krankheit litten. Allerdings mussten sie entweder an Typ-2-Diabetes erkrankt sein oder mindestens drei der folgenden Risikofaktoren erfüllen: Raucher, Bluthochdruck, erhöhtes LDL-Cholesterin, niedriges HDL-Cholesterin, Übergewicht, Fettsucht oder enge Verwandte mit früh im Leben auftretender koronarer Herzkrankheit.
Die Teilnehmer in der Ölgruppe bekamen wöchentlich etwa einen Liter Olivenöl der Güteklasse Natives Olivenöl Extra, Teilnehmer der Nussgruppe täglich 30 Gramm gemischte Nüsse (Walnüsse, Haselnüsse und Mandeln) gestellt.
Es gab keine Kalorienbeschränkung oder Anleitung zu körperlicher Aktivität. Die Teilnehmer der Öl- und Nuss-Gruppen wurden einzeln und in Gruppen über Ernährung unterrichtet, einmal zu Studienbeginn, von da an vierteljährlich. Bei diesen Terminen wurde mit Fragebögen auch die Ernährungsweise abgefragt. Für die Kontrollgruppe gab es zunächst nur ein Training beim Untersuchungsstart. Nachdem die Forscher fürchteten, diese Ungleichbehandlung könne die Ergebnisse beeinflussen, luden sie ab dem dritten Jahr alle Teilnehmer zu Ernährungsberatungen ein.
Jährlich überprüften die Forscher mit Hilfe von ausführlichen Fragebögen, wie sich die Studienteilnehmer genau ernährten. Bei diesen Terminen wurden auch Körpergrüße, Gewicht und Hüftumfang gemessen. Aus dem Urin bestimmten die Wissenschaftler Abbauprodukte von Öl und Nüssen, um zu überprüfen, ob die gestellten Nahrungsmittel überhaupt gegessen wurden.
Endpunkt der Studie waren schwerwiegende Herz-Kreislauf-Ereignisse (Herzinfarkt, Schlaganfall und Tod durch einen solchen Zwischenfall).
Die Studie war auf 9000 Teilnehmer und eine vierjährige Beobachtung der Teilnehmer ausgelegt. Nach einer Zwischenauswertung berechneten die Forscher, dass stattdessen nur 7400 Teilnehmer, dafür eine sechsjährige Nachbeobachtung notwendig sein würden, um mit ausreichender Sicherheit Unterschiede zwischen der mediterranen Ernährung und der fettarmen Ernährung feststellen zu können. Nach einer weiteren Zwischenauswertung, in der Unterschiede mit aus Sicht der Wissenschaftler ausreichender statistischer Eindeutigkeit festgestellt worden waren, beendeten die Forscher die Studie vorzeitig nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 4,8 Jahren.
Um Unterschieden zwischen den Gruppen zu gerecht zu werden, rechneten die Forscher Faktoren wie Geschlecht, Alter und Risikofaktoren zu Studienbeginn in die Ergebnisse ein.
Insgesamt untersuchten die Forscher 7447 Teilnehmer, von denen 523 während der Studie ausscheiden. In allen Gruppen war die Ernährung zu Studienbeginn vergleichbar. Während der Studienzeit hielten die Probanden sich weitgehend an die Ernährungsempfehlungen.
Der Endpunkt schwerwiegender Herz-Kreislauf-Ereignisse trat mit folgenden Raten auf: 8,1 pro 1000 Personenjahre in der Öl-Gruppe, 8,0 in der Nuss-Gruppe und 11,2 in der fettarm essenden Gruppe. Übersetzt bedeutet dies eine Risikoreduktion um jeweils 30 Prozent für die beiden mediterranen Gruppen gegenüber der fettarm essenden Gruppe. Der Effekt war bei Schlaganfällen am deutlichsten.
Die Studie ist eine der sehr seltenen Ernährungsstudien, die vorher geplante Eingriffe bei unterschiedlichen Studiengruppen über einen verhältnismäßig langen Zeitraum untersucht (randomisierte kontrollierte Studie). Solche Studien sind gerade für Ernährungsfragen aufwendig, teuer und kompliziert durchzuführen.
Die Studienautoren veränderten das Studienprotokoll nach der Hälfte der Laufzeit, um auch den fettarm essenden Teilnehmern die Ernährungsberatung anzubieten.
Die Studienergebnisse sind nicht ohne weiteres übertragbar, weil alle Teilnehmer sich bereits zu Studienbeginn mediterran ernährten und ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten hatten.
Die Studienteilnehmer in den drei Gruppen unterschieden sich nicht sehr deutlich hinsichtlich der gesamten Fettmenge, die sie zu sich nahmen. Der Unterschied lag vor allem in der Zusammensetzung des Fettes.
Die in allen Ernährungsstudien verwendeten Fragebögen sind fehleranfällig. Forscher wissen, dass viele Teilnehmer die Fragen nicht ehrlich beantworten.
Die zu erreichende Teilnehmerzahl wurde während der Studie verändert, die Studie wurde vorzeitig abgebrochen.
Die Studie wurde aus öffentlichen Mitteln finanziert. Der Großteil der Finanzierung stammt aus spanischen Steuergeldern, ein Teil aus europäischen Mitteln.
Olivenöl und Nüsse für die Studie wurden von Herstellern gestellt. Die Studienautoren geben an, dass keiner der Hersteller Einfluss auf die Studie, die Datenanalyse oder die Veröffentlichung genommen hat.
Eine Vielzahl der für die Studie verantwortlichen Autoren gibt an, von unterschiedlichen Lebensmittelherstellern, Arzneimittelunternehmen und Interessenverbänden Geld für Vorträge, Reisen, Forschungsprojekte oder als Beiratsmitglieder erhalten zu haben. Ein Teil dieser Firmen und Verbände hat ein großes Interesse an den Ergebnissen der Studie, so zum Beispiel die California Walnut Commission.
Die Studienteilnehmer waren im Schnitt knapp 67 Jahre alt, der Body-Mass-Index (BMI) lag im Mittel bei knapp 30 - das gilt als übergewichtig im Grenzbereich zur Fettleibigkeit. Um in die Studie eingeschlossen zu werden, musste das eigene Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht sein: Die Teilnehmer rauchten, waren übergewichtig, litten an Bluthochdruck (mehr als 80 Prozent), Diabetes (knapp die Hälfte) oder Fettstoffwechselstörungen (mehr als zwei Drittel). Ein großer Teil nahm Medikamente.
Fette entscheiden
Bereits zu Studienbeginn ernährten sich die spanischen Teilnehmer in allen Gruppen mediterran, worunter man viel frisches Gemüse, Fisch und Meeresfrüchte, Nudeln und Reis sowie Olivenöl versteht. In der Nuss- und in der Öl-Gruppe verstärkte sich das Verhalten noch.
Überraschend kam das nicht: Während in diesen Gruppen von Studienbeginn an vierteljährlich Fachleute die Teilnehmer in mediterraner Ernährung schulten, bekam die Kontrollgruppe nur zum Start ein Training. Nachdem aufgefallen war, dass diese Ungleichbehandlung die Ergebnisse verfälschen könnte, luden sie ab dem dritten Studienjahr auch die Kontrollgruppe zur Ernährungsberatung ein.
In der Öl- und der Nuss-Gruppe zeigten Fragebögen, dass die Teilnehmer im Vergleich zur Kontrollgruppe mehr Fisch und Gemüse aßen. Tatsächlich ergaben Laborkontrollen, dass die Teilnehmer kostenlos (von den Herstellern) gestelltes Öl und Nüsse auch aßen. Die Unterschiede bei den Herz-Kreislauf-Zwischenfällen schreiben die Forscher denn auch vor allem Nüssen und Öl zu - hier unterschied sich die Ernährung der Teilnehmer.
Alles in allem könnten die Aussagen der spanischen Studie besser gegen vorhersehbare Angriffe geschützt sein: Es wirkt unfreiwillig komisch, wenn der Hauptautor angibt, im Beirat der "Beer and Health Foundation" zu sitzen, und ein Mitautor vermerkt, ausgerechnet dem Beirat der "California Walnut Commission" anzugehören.

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