Schlafforschung "Mittags nicht zu schlafen, bedeutet Stress"

Ein kurzer Mittagsschlaf gehört zum Tagesrhythmus dazu, sagt Schlafforscher Göran Hajak. Der Körper braucht die Pause, um Stress abzubauen. Doch selbst in Gesellschaften, in denen Powernapping seit jeher zur Kultur gehört hat, ist der heilsame Kurzschlaf in Gefahr.
Müdigkeit im Büro: Ein 20-minütiger Schlaf kann helfen

Müdigkeit im Büro: Ein 20-minütiger Schlaf kann helfen

Foto: Corbis

SPIEGEL ONLINE: Warum werden wir mittags müde?

Hajak: Unsere innere Uhr ist von unseren Genen so programmiert. Eigentlich entspricht es dem normalen Biorhythmus des erwachsenen Menschen, zweimal, also nachts und mittags, zu schlafen.

SPIEGEL ONLINE: Das so genannte Suppenkoma ist also nicht die Folge eines üppigen Mittagessens?

Hajak: Nein, das Mittagstief kommt so oder so. Für Menschen, die gegen sieben Uhr morgens aufstehen ohne Mahlzeit gegen 14 Uhr, mit dagegen ein bisschen früher, eben meistens nach dem Mittagessen, was bei den meisten Menschen gegen 13 Uhr ist. Die Mahlzeit zieht das also etwas vor und verstärkt es.

SPIEGEL ONLINE: Dann wäre es sinnvoll, der inneren Uhr zu folgen?

Hajak: Wer dem mittäglichen Schlafbedürfnis nachgehen kann, sollte das tun. Dieses kurze Schlafen, das manchmal Powernapping genannt wird, hat eindeutig erfrischende Effekte und verbessert die Leistung. Wichtig ist, dass der Mittagsschlaf nicht 20 Minuten überschreitet, damit man nicht in eine Tiefschlafperiode hineinkommt. Das Erwachen und wieder in Schwung kommen dauert dann erheblich länger.


Göran Hajak ist Schlafforscher in Bamberg, wo er die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Klinikum am Michelsberg leitet.


SPIEGEL ONLINE: Und wenn man nachts zu wenig geschlafen hat?

Hajak: Man kann Schlaf mittags nachholen, klar. Aber wenn man von einer normalen Nachtschlaflänge ausgeht, dann sollte der Mittagsschlaf nicht länger als 20 Minuten dauern.

SPIEGEL ONLINE: Ist Mittagsschlaf gesund?

Hajak: Wenn wir müde sind und gegen den Schlaf ankämpfen, dann bedeutet das Stress - und ein Mittagsschlaf nimmt ihn. Stress schadet Körper und Seele. Es kommt eigentlich gar nicht darauf an, dass man tief schläft mittags, es kommt eher darauf an, dass man tief entspannt. Es reicht schon eine kurze Dauer. Bekannt ist zum Beispiel, dass Salvador Dali sich mittags in einen Sessel setzte, einen Löffel in die Hand nahm und die Augen schloss. Wenn er kurz einnickte, erschlaffte seine Muskulatur, der Löffel fiel zu Boden und Dali erwachte von dem Geräusch des Aufpralls. Er sagte: "Das ist genau die Menge an Schlaf, die ich brauchte." Viele Menschen brauchen eben nur diesen ganz kurzen Schlaf, um zu entspannen, um sich immens zu erholen.

SPIEGEL ONLINE: Stimmt es, dass Mittagsschläfer ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben als Nichtmittagsschläfer?

Hajak: Wenn man eine Population im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht, findet man unter den Gesunden mehr Mittagsschläfer. Wer mittags schläft hat also rein statistisch ein geringeres Risiko eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu bekommen. Aber das ist nur ein kleiner Faktor. Ob da ein kausaler Zusammenhang besteht, ist nicht bewiesen.

SPIEGEL ONLINE: Wie sollte man den Mittagsschlaf angehen?

Hajak: Entscheidend ist, dass man in sich hineinhorchen sollte, wo und wann Müdigkeit entsteht. Ich merke, dass ich nachmittags müde werde. Ich kann im Klinikalltag nicht schlafen, aber ich sitze dann in meinem Arbeitssessel und schließe kurz die Augen, lege die Arme auf den Sessellehnen ab und versuche, mich tief zu entspannen. Ich schlafe also nicht richtig, aber entscheidend ist, dass ich diese 30 Sekunden habe, wo ich weiß, jetzt kommt die Entspannung und die lasse ich zu. Wenn man weiß, dass das Mittagstief zu einem bestimmten Zeitpunkt kommt, sollte man dann eine Pause einlegen und sich aus dem üblichen Geschäft zurückziehen.

SPIEGEL ONLINE: Ist das dann Powernapping im Gegensatz zum Mittagsschlaf, bei dem man richtig einschläft?

Hajak: Powernapping ist ein Modebegriff, der nichts anderes bedeutet als Mittagsschlaf, damit aber nochmal ausdrückt, dass man dadurch "Power" bekommt. Das Power bezieht sich nicht auf das Napping selbst, denn wenn ich unbedingt schlafen will, dann funktioniert es nicht. Schlaf ist wie ein Vogel - wenn er sich auf die Hand setzt und ich danach greifen will, dann fliegt er weg. Nein, man muss den Schlaf kommen lassen, es ist ein Vorgang, der einen einholen muss - und das geht nur mit tiefer Entspannung.

SPIEGEL ONLINE: Sie sagen, Sie können in Ihrem Beruf keinen Mittagsschlaf machen, obwohl es Ihrem inneren Rhythmus entspräche - und so geht es den meisten Arbeitnehmern. Warum ändert sich daran nichts?

Hajak: Das vernünftige wäre, Ruheräume zu haben, in die sich Mitarbeiter zurückzuziehen können. Aber es gibt Firmen, die solche Räume eingerichtet haben - und die wurden von den Mitarbeitern kaum angenommen. Auch in Städten sind Ruhezonen entstanden, wo Bürger hätten hingehen können beim Einkaufen zum Ausruhen - die haben sich ebenfalls nicht durchgesetzt.Schlaf und Ruhe während des Tages ist bei uns tabuisiert. Man gilt als faul, wenn man tagsüber schläft oder ruht.

SPIEGEL ONLINE: Obwohl ja gerade in Gesellschaften, die als sehr fleißig gelten - wie in der japanischen zum Beispiel - das Powernapping sehr populär ist…

Hajak: In Asien wurde der Mittagsschlaf immer praktiziert, aber auch dort findet man ihn immer weniger. China zum Beispiel ganz systematisch, es gibt Bilder, wie ganze Belegschaften von Betrieben die Köpfe auf den Tisch gelegt haben und schlafen, hunderte Menschen, neben und hintereinander - aber das ist alles vorbei. Auch diese Gesellschaften gehen in eine Rund-um-die-Uhr-Leistungsgesellschaft über, mit immer weniger Schlaf. Das heißt, die ganze Welt wird bald unausgeschlafen sein, mit all den negativen Konsequenzen: Schlechte Laune, Reizbarkeit, Depressionen, Unfälle, Produktionsfehler.

Das Interview führte Frederik Jötten

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