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Radprofi aus Sansibar: Tour de France um die Farm

Foto: Marc Eisele/ Max Meckbach

Radprofi auf Sansibar "Wir nehmen Töpfe als Helme"

Früher fuhr er Tour-de-France-Etappen um sein Haus nach, heute lebt Juma Lukondya vom Radfahren. Nun will er auf der Insel mit den weißen Stränden das erste Trainingslager Sansibars bauen.

Das kristallklare Meer breitet sich still vor dem weißen Strand Sansibars aus. Auf einem Mountainbike kommt ein Mann in orangefarbenen Shorts und engem, gelbem Shirt die Küstenstraße entlanggebrettert. Es ist heiß, dennoch trägt Juma Lukondya eine rosa Wollmütze - ein Andenken von einem Radrennen in Österreich.

Die paradiesische Insel vor der Küste Tansanias, knapp 7.000 Kilometer von Deutschland entfernt, ist die Heimat des 35-jährigen Lukondya. Er ist der einzige Radprofi der Insel - sagt er. Andere nennen ihn den "Bicycle Champ of Zanzibar". Dabei sieht er mit seinem robusten Körperbau und leichtem Bauchansatz nicht gerade aus wie die drahtigen Musterradprofis, die man aus dem Fernsehen kennt.

Lange bevor Lukondya das Radfahren entdeckt, lebt er mit elf Jahren in einem kleinen Dorf in Tansania: mit seinen 17 Geschwistern, seinem Vater und dessen acht Frauen. Fremde erzählen ihm, dass man auf Sansibar Akrobat werden und gut davon leben kann. Der Junge beschließt, dort sein Glück zu suchen und haut von zu Hause ab - zu Fuß. Mehr als zwei Stunden, denkt er sich, wird er nicht brauchen. Er ahnt nicht, dass er ein Land durchqueren wird, das mehr als doppelt so groß ist wie Deutschland.

Leben als Straßenkind

"Ich konnte nicht auf offener Straße reisen. Ich musste durch den Dschungel - sonst hätte mich die Polizei erwischt", erzählt Lukondya. Seine Flucht ist kein Einzelfall. Laut dem Aktionskreis Ostafrika, einem deutschen Hilfsverein, sind Straßenkinder in den Städten Tansanias eines der großen sozialen Probleme. Kaum eine Familie kann die Schulkosten für ihren Nachwuchs aufbringen. Ohne Bildung verlassen daher viele Kinder früh ihr Zuhause, um auf der Straße zu leben.

Wenn Lukondya von seiner Flucht berichtet, wirkt es ein wenig, als hätte er sie aus einem Abenteuerroman stibitzt. Er wird von Löwen gejagt, doch als Buschkind weiß er sich auf einen Baum zu flüchten und kommt mit ein paar kleineren Wunden davon. Er hat wenig zu essen oder trinken, verdient sich seine Verpflegung mit akrobatischen Tricks. Auf Sansibar angekommen, sucht Lukondya erfolglos nach einem Akrobatik-Trainingslager. Stattdessen landet er auf einer Farm als Hilfsarbeiter. Jahre vergehen.

"Tour de France" um die Farm

Doch dann sieht er in einem kleinen Röhrenfernseher Bilder von der Tour de France. Lukondya ist fasziniert. Er besorgt sich ein altes, eingängiges Rad und beginnt, rund um die Farm die Entfernungen der Etappen nachzufahren. Jahrelang trainiert er jeden Tag, radelt und radelt. Er beschließt, Radprofi zu werden.

Mit 26 Jahren fährt er seinen ersten Wettkampf, beim "Kiliman Mountain Bike Race", einem 246-Kilometer-Rennen um den Kilimandscharo, dem höchsten Berg Afrikas. Die Startgebühr von 100 Dollar kann er sich nicht leisten - das Jahresdurchschnittseinkommen auf Sansibar beträgt 250 Dollar.

Doch Lukondya hat Glück: "Ich konnte den Wettkampfchef überzeugen, mir eine Startnummer zu geben. Sie war aber ungültig", sagt er. Lukondya darf mitfahren - ohne Wertung. Und er soll erst 20 Minuten nach den eigentlichen Teilnehmern starten. Trotz des Nachteils überholt er die meisten Radkollegen. Zwar gewinnt er das Rennen nicht, dennoch findet er einen Sponsor für das nächste Jahr. Er geht offiziell an den Start - und gewinnt den Wettkampf zwei Jahre in Folge.

Trainer für 50 Radler

Von den 700 Dollar Preisgeld kauft Lukondya ein paar gebrauchte Räder und eröffnet einen Fahrradverleih auf Sansibar. Außerhalb der Rennsaison bietet er außerdem Radtouren für Touristen an. Während der Saison trainiert er oder startet bei Wettkämpfen in Österreich, Italien oder Südafrika - wo auch immer er eingeladen wird.

Gewinnen ist aber nicht das Wichtigste für ihn. Bei der "Tour of Rwanda 2011" wird er zum Beispiel nur 53. Am wichtigsten ist es für ihn, mehr Menschen kennenzulernen, die ihn unterstützen. Denn der Radsport ist nicht nur seine Leidenschaft, sondern ein Mittel, um anderen zu helfen. "Ich will ein Radsport-Trainingslager bauen", sagt Lukondya.

Marc Eisele und Max Meckbach lernten Lukondya kennen, als sie auf der Suche nach interessanten Geschichten für einen Dokumentarfilm waren. Die Schwaben waren gleich begeistert von ihm. "Beim ersten Treffen war uns schon klar, dass Juma sich für andere einsetzt und viel Willenskraft hat", sagt Meckbach. "Er ist ein Vorbild für die Kids und gibt ihnen eine Perspektive", sagt Eisele.

Und langsam nimmt Lukondyas Traum Konturen an. "Ich habe gespart und ein Grundstück gekauft", erzählt er. Zwei Ladungen Steine liegen schon bereit. Aus ihnen sollen Wände für das Trainingslager gebaut werden. Er will dort vor allem Kinder und Jugendliche trainieren, die keine Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen.

Auch jetzt schon, bevor es überhaupt ein Gebäude gibt, trainiert Juma Lukondya rund 50 Radler. Es mangelt aber an Ausrüstung. Trikots, Radlerhosen und vor allem Helme fehlen Lukondya. "Das Sprinttraining ist gefährlich", sagt Lukondya. Die Sportler tragen keine Helme. "Wir nehmen Töpfe und Schüsseln." Das sei praktisch, weil die Jungs die Ersatzhelme nach langen Ausdauerübungen direkt zum Kochen nutzen, erzählt Lukondya. Optimal ist es nicht - doch Improvisieren gehört zum Alltag auf Sansibar. Juma Lukondya arbeitet weiter an seinem Ziel: Er will, dass die Kinder aktiv, gesund und mit einer Perspektive im Leben aufwachsen. Und er will nicht länger der einzige Radprofi von Sansibar sein.

Eisele und Meckbach haben inzwischen die Hilfsorganisation "Seelevel"  gegründet. Sie unterstützen Lukondya bei seinem Projekt und sammeln Sach- und Geldspenden für das Trainingslager.

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