Schutz von Kindern Raucher wollen Rauchverbot im Auto

Qualmen im Auto, wenn Kinder an Bord sind? Eine neue Studie zeigt: Zwei Drittel aller Deutschen wollen dies verbieten - sogar die Raucher selbst. Warum sperrt sich die Politik dennoch gegen ein Verbot?

Zwei von drei deutschen Rauchern sind für einen schärferen Nichtraucherschutz. In einer neuen repräsentativen Studie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf plädieren 67 Prozent der befragten Raucher dafür, das Qualmen im Auto zu verbieten und unter Strafe zu stellen, sofern Kinder mit im Fahrzeug sitzen. Nur 14 Prozent von ihnen sind dagegen.

Insgesamt fordern 71 Prozent aller Deutschen ein solches Rauchverbot im Auto. Die "Deutsche Befragung zum Rauchverhalten" (DEBRA-Studie), deren erste Ergebnisse an diesem Freitag veröffentlicht werden sollen, ist mit mehr als 10.000 Studienteilnehmern eine der umfangreichsten Untersuchungen zum Thema Rauchen in Deutschland.

Raucher einsichtiger als Politiker

Ein Rauchverbot im Auto würde den Nichtraucherschutz in Deutschland auf eine neue Stufe hieven. Zwar ist das Rauchen seit einigen Jahren an manchen öffentlichen Orten wie Flughäfen oder in Büros untersagt. Im privaten Lebensbereich kann hierzulande aber jeder oder jede nach Belieben qualmen - selbst wenn die krebserregenden Abgase Kinder schädigen. Denn während andere Staaten das besonders gefährliche Rauchen im Auto mit minderjährigen Passagieren verbieten, lehnen viele Entscheider in Berlin einen verbesserten Nichtraucherschutz ab.

"Die Sorge der Politiker, dass sie ihre Wähler mit so einem Verbot vergrätzen könnten, ist unbegründet", sagt Daniel Kotz, Professor für Suchtforschung der Universität Düsseldorf und Leiter der DEBRA-Studie. "Selbst unter den Rauchern hat die Mehrzahl erkannt, wie sinnvoll es ist, die Kinder vor den Gefahren des Passivrauchens zu schützen. Bei Kindern ist das Risiko lebenslanger Schädigungen besonders hoch."

Passivrauchen tötet laut der Weltgesundheitsorganisation weltweit etwa 600.000 Menschen pro Jahr, davon 165.000 Minderjährige. Pro Stunde sterben also 18 Kinder und Jugendliche an den Folgen des Passivrauchens. Zum Vergleich: durch Terrorismus kamen 2015 knapp 30.000 Menschen ums Leben, der Straßenverkehr forderte etwa 1,25 Millionen Todesopfer.

Minderjährige Passivraucher sind besonders gefährdet: Weil sie öfter atmen als Erwachsene, weil sich die Lunge noch herausbildet und weil ihr Entgiftungssystem nicht ausgereift ist. "Passivrauchen erhöht gerade bei Kindern das Risiko für eine Reihe von Krankheiten", sagt Forscher Kotz: "von Asthma über lebenslange Lungenschäden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs bis hin zum plötzlichen Kindstod".

Und im Auto ist die Giftstoffbelastung extrem: Selbst bei leicht geöffnetem Fenster ist die Konzentration mancher toxischer Partikel laut Messungen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) teils fünfmal so hoch wie in einer durchschnittlichen Raucherkneipe. Da laut DKFZ etwa ein Drittel aller deutschen Raucher noch immer hinter dem Steuer qualmt, sind rund eine Million deutsche Kinder dem Tabakrauch im Auto ausgesetzt.

Verbot verfassungswidrig?

Zahlreiche Länder, von Frankreich und Großbritannien über Italien und Griechenland bis hin zu Australien, Teilen Kanadas und der USA haben daher das Rauchen im Auto mit mitfahrenden Minderjährigen in den vergangenen Jahren verboten. Nicht aber Deutschland.

Als die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler (CSU) 2015 einen Vorstoß zum Rauchverbot im Auto bei mitreisenden Kindern unternahm, wurde sie blockiert - vor allem von Parteikollegen aus der Union. Die persönliche Freiheit der Bürger würde zu stark eingeschränkt, hieß es. Und das Bundesgesundheitsministerium von Hermann Gröhe (CDU) behauptete gar, ein solches Gesetz sei womöglich verfassungswidrig.

Allerdings widerspricht dem der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einem Gutachten: Ein solches Rauchverbot wäre laut den Rechtsexperten sehr wohl mit dem Grundgesetz vereinbar und verhältnismäßig. Und die persönliche Freiheit wird auch zum Beispiel durch die Gurtpflicht eingeschränkt - obwohl es beim Anschnallen fast nur um die Sicherheit des Gurtträgers geht und nicht wie beim Rauchen im Auto um die Schädigung Anderer, die oft nicht einmal gefragt werden.

"Das Kind ist kein Privateigentum der Eltern", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion Maria Michalk (CDU). Die freiheitliche Grundordnung sei aber auch ein hohes Gut. Vor einem Verbot müsse der Staat daher entschieden an die Vernunft rauchender Erwachsener appellieren. "Wenn es nicht auf Dauer anders geht, muss Politik langfristig darüber nachdenken, konsequenter das Recht des Kindes durchzusetzen." Doch Gröhes Ministerium will von einem Verbot offenbar noch immer nichts wissen, wie verklausulierte Antworten auf eine SPIEGEL-ONLINE-Anfrage nahelegen.

Der Sozialdemokrat Lothar Binding will nicht länger warten. "Die persönliche Freiheit des Erwachsenen hört auf, wo er die Gesundheit der Kinder gefährdet. Und viele Menschen, die nikotinsüchtig sind, können sich nur an solche Regeln halten, wenn sie für alle gelten", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete, der seit Jahren für den Nichtraucherschutz kämpft.

Erfolgreiche Lobbyarbeit

Binding will sich in der kommenden Legislaturperiode für ein Rauchverbot am Steuer bei mitreisenden minderjährigen Passagieren einsetzen. "Wie die Umfrage zeigt, sind die deutschen Raucher vernünftiger als viele Kollegen im Bundestag. Die Meinung der Mehrheit der Bevölkerung muss sich im Parlament widerspiegeln. Sonst kommen Verdachtsmomente auf."

Die Berliner Politik gilt als Tummelplatz der Zigarettenlobby. Kaum eine Nation in Europa reguliert die Tabakbranche so lax wie Deutschland. Seit Monaten etwa verschleppen Teile der CDU-Bundestagsfraktion, angeführt von Fraktionschef Volker Kauder den vom Kabinett bereits verabschiedeten Gesetzentwurf von Bundesverbraucherschutzminister Christian Schmidt (CSU) für ein weitreichendes Tabakwerbeverbot. Damit ist die Bundesrepublik der einzige Staat in der EU, in dem die Zigarettenmultis ihre tödlichen Produkte noch auf Plakatwänden oder Litfaßsäulen anpreisen dürfen.

Der Jugendschutz ist für die Blockierer offenbar zweitrangig. Und die Meinung ihres Volkes auch: 65 Prozent aller Deutschen sind laut einer Emnid-Studie gegen Tabakwerbung.

Seit Jahren unterstützen die Zigarettenmultis Veranstaltungen und Medien von Parteien und deren Unterorganisationen. Erst Ende Mai sponserte der Konzern JTI ("Camel") die Feier zum 70-jährigen Bestehen der Mitgliederzeitschrift der Jungen Union, zu der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kam. Philip Morris ("Marlboro") ließ der Jungen Union von 2010 bis 2015 rund 71.000 Dollar zukommen. Insgesamt gab der weltgrößte private Tabakhersteller in diesem Zeitraum rund 544.000 Euro für Veranstaltungen von CDU, CSU, SPD und FDP sowie deren parteinaher Organisationen aus, wie die lobbykritische Organisation Lobbycontrol herausgefunden hat.

Es scheint sich bezahlt zu machen. "Verglichen mit anderen westeuropäischen Staaten ist der Raucheranteil in Deutschland noch immer sehr hoch, auch wegen der schwachen Regulierung", sagt Suchtforscher Kotz. Während in Großbritannien nur noch 19 Prozent der Erwachsenen rauchen, sind es hierzulande laut der DEBRA-Studie satte 28 Prozent. Besonders hoch ist der Anteil bei Bürgern ohne Schulabschluss (37 Prozent) und mit niedrigem Einkommen (36 Prozent).

Nicht nur beim Passivrauchen will die Mehrheit der Deutschen den Jugendschutz verbessern: 43 Prozent sind dafür, die Altersgrenze für den Kauf von Zigaretten auf 21 Jahre anheben. Nur 32 Prozent wollen sie bei 18 Jahren belassen. Es gilt noch viel zu verhindern für die Tabaklobbyisten und ihre Verbündeten.

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