Kampagne in Mexiko Erst Knie beugen, dann Bus fahren

Runter geht's: Eine Frau macht Kniebeugen an einer Bushaltestelle
Foto: Andrea Sosa Cabrios/ dpaEs ist 9:40 Uhr, als César Morales zur Busstation Buenavista eilt. Der 32-jährige Verkäufer aus Mexiko-Stadt, gerade auf dem Weg zur Arbeit, schält sich aus seinem beigen Sakko - und beginnt, Kniebeugen zu machen. Die Hände nach vorne gestreckt, die Füße hüftbreit aufgestellt und ab in die Hocke.
Fahrgäste wie Morales können an verschiedenen Stationen der mexikanischen Hauptstadt an speziellen Geräten trainieren, bevor sie in den Bus steigen. Die "Gesundheitsstationen" sind Teil einer Kampagne gegen die Übergewichtsepidemie. In fast keinem Land bringen so viele Menschen zu viele Kilos auf die Waage wie in der lateinamerikanischen Nation.
"So langsam schaffe ich es, durchzuhalten", scherzt Morales. In das Gerät, auf dem er steht, ist eine Infrarotkamera eingebaut, die jede Kniebeuge erfasst. Wer zehn schafft, bekommt einen Preis: einen Schrittzähler in der Größe eines kleinen iPods.
Nach jeder Bewegung, die richtig ausgeführt wurde, erscheint auf dem Display außerdem ein Tipp: "Hast du Lust auf einen Hamburger mit Pommes und ein Erfrischungsgetränk? Du würdest 920 Kalorien zu dir nehmen. Überleg's dir und beweg dich besser!"
Die Bilanz: zwei gerissene Hosen
Niemand verspricht sich von der Aktion, dass sie die Menschen in Athleten verwandelt. "Das Projekt zielt darauf ab, die Leute zu aktivieren und ihnen mit einer Belohnung zu zeigen, wie wichtig es ist, mit Tätigkeiten im Sitzen aufzuhören", sagt Iván Loría, Koordinator der Gesundheitsförderung in der Hauptstadt.
Einige raffen sich auf, andere drücken sich, stolpern im Vorbeigehen über das Gerät oder mustern es gleichgültig, während sie in der Schlange stehen, um in einen der roten Metrobusse zu steigen. "Ich bin in Eile", rechtfertigt sich der 44-jährige Martín Flores und zieht an dem Gerät vorbei.
Die "Gesundheitsstationen" sind von 9 Uhr morgens bis 15 Uhr nachmittags in Betrieb. Insgesamt 30 stehen an verschiedenen Haltestellen, etwa 50 Leute trainieren täglich an einer von ihnen. In der Station Insurgentes nähert sich ein Pärchen einem Gerät. Das Mädchen zögert, ihr Freund ermuntert sie, bis er sie überredet hat: Sie geht ein-, zwei-, dreimal in die Knie - dann plumpst sie auf den Po.
Übungsleiter wie die 21-jährige Sandra García passen auf, dass sich niemand ernsthaft verletzt. Zweimal habe sie erlebt, dass den Fahrgästen die Hosen rissen, erzählt sie. Einige Menschen können die Übungen wegen Kniebeschwerden oder Übergewicht gar nicht machen, sagt Fitnesstrainer Omar Cabos. "Bei vielen verändert das den Gemütszustand, weil ihnen bewusst wird, dass sie sich zu wenig bewegen."
Schrittzähler vom Limo-Produzenten
Das Projekt befindet sich in der Pilotphase. Noch ist nicht klar, wie es künftig finanziert werden kann. Vor dem Start wollte man Geräte in Metro-Stationen aufstellen und für gemachte Übungen Tickets ausgeben. Das scheiterte schließlich an der Logistik.
Die Schrittzähler stellt zurzeit ein Getränkehersteller - er wird mitverantwortlich gemacht für die Adipositas-Epidemie in Mexiko. Offiziellen Statistiken zufolge sind in Mexiko-Stadt 75,4 Prozent der über 20-jährigen Frauen und 69,8 Prozent der Männer übergewichtig oder gar fettleibig. Unter den Kindern im Schulalter sind es 35 Prozent - ein wenig mehr als im nationalen Durchschnitt.
Im Kampf gegen das Übergewicht führte Mexiko vor gut einem Jahr eine Strafsteuer auf Fast Food und zuckerhaltige Getränke ein, eine Zwangsabgabe von acht Prozent. Verändert hat sie bislang wenig, genauso wie Erziehungsinitiativen, Etikettierungsvorschriften und Sportprogramme.
Experten zufolge hat der Konsum süßer Erfrischungsgetränke in dem lateinamerikanischen Land sogar noch zugenommen. Jeder Mexikaner trinkt im Jahr durchschnittlich 140 Liter Softdrinks.
Nach Daten der Weltgesundheitsorganisation sind in Mexiko 32,8 Prozent der Erwachsenen übergewichtig, mehr als in den USA. Im vergangenen Jahr registrierte das Gesundheitsministerium 323.000 neue Fälle krankhafter Fettsucht.
"Früher dachten viele, dass man Sport aus Eitelkeit macht", sagt Eduardo Román, der als Fitnesstrainer arbeitet und ebenfalls eine der Stationen überwacht. "Heute versucht man, die Ansicht durchzusetzen, dass es eine Angelegenheit der Gesundheit ist."