Ernährung Vegan für Kinder - was Eltern beachten müssen

Bei Erwachsenen ist eine vegane Ernährung längst nichts besonderes mehr. Doch dürfen auch Kinder auf Käse, Joghurt und Milch verzichten?
Reichen Karotten? Auch Kinder können fleischlos glücklich werden

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Foto: Corbis

Der Wendepunkt kam mitten in der Schwangerschaft. Im fünften Monat beschließt Annika Klauke aus Hannover, Veganerin zu werden - nach vielen Monaten Auseinandersetzung mit Fragen der Massentierhaltung, aus ethischer und ökologischer Sicht. Für sich selbst erscheint ihr der gewählte Weg absolut richtig. Doch: Ist er auch umsetzbar für das Kind?

Klauke fragt bei ihrem Gynäkologen nach. Der reagiert entspannt, denn die Blutwerte der Schwangeren sind vorbildlich. Sie nimmt Vitamin B12 ein, achtet sehr auf eine ausgewogene Ernährung. "Ich habe dann angefangen, mich noch intensiver mit dem Thema Ernährung auseinanderzusetzen und versucht, konkrete Regeln und Empfehlungen zu finden, an die ich mich auch nach der Geburt halten kann."

Wie viel Eisen liefern Pflanzen? Woher bekommen vegane Kinder Kalzium? Wie viel B12 ist erforderlich? Aus der Recherche wird eine Ausbildung - Klauke beginnt ein Fernstudium zur Ernährungsberaterin. "Ich habe mich damals ziemlich allein gefühlt, ich kannte keine Eltern, mit denen ich mich hätte austauschen können."

Eltern wollen mehr Wissen

Ein Problem, das viele Veganer in Deutschland kennen: Es fehlen eindeutige Ernährungsempfehlungen für Kinder und Jugendliche. Welche Pflanzen sollen sie essen? Und in was für einem Verhältnis? Erst vor kurzem forderte eine Onlinepetition veganer Eltern die Deutsche Gesellschaft für Ernährung  (DGE) auf, ihre Richtlinien zu überarbeiten und die rein pflanzliche Kost aufzunehmen.

Man sehe den gesteigerten Bedarf an Informationen, sagt Antje Gahl, Sprecherin der DGE. "Doch bisher fehlen uns wirklich aussagekräftige Studien zur Ableitung von konkreten Empfehlungen." Bei einem vielseitigen Speiseplan - so räumt Gahl ein - sei eine vegane Ernährung für Kinder durchaus möglich. "Doch eine generelle Empfehlung können wir derzeit aus Vorsichtsgründen nicht aussprechen."

Einen Überblick über vegane Kost liefert die wissenschaftlich ausgearbeitete vegane Ernährungspyramide des Deutschen Vegetarierbundes (Vebu). Allerdings ist sie für den Bedarf von Erwachsenen ausgelegt. Der Vebu bietet daher zusätzlich einen ersten Überblick  über bisherige Ernährungsempfehlungen für Kinder und Jugendliche an.

Die wichtigsten Ernährungsstile
Foto: DPA

Was ist ein Ovo-Lacto-Vegetarier?Was essen Frutarier?Welche Mangelerscheinungen kann es geben?

Torsten Spranger ist Kinder- und Jugendarzt in Bremen und erlebt, dass immer mehr Eltern sich für Veganismus entscheiden. Nach Schätzungen des Vebu sind es allein in Deutschland derzeit rund 900.000 Menschen. Um Antworten auf dringende Fragen zu finden, beschäftigt Spranger sich deshalb seit Monaten mit den Erfordernissen der Pflanzenkost. Er ist überzeugt: "Wir Ärzte müssen darauf besser reagieren können."

Spranger, der als Pressesprecher im Bremer Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte tätig ist, will deshalb nun auf Bundesebene anregen, Empfehlungen für die Ernährung von Kindern und Jugendlichen zusammenzustellen. "Kinder sind schließlich keine kleinen Erwachsenen und haben besonders in den Wachstumsphasen ganz spezielle Erfordernisse für Kalorienbedarf und Nährstoffversorgung."

Auch Ernährungsexperte Berthold Koletzko nennt Schwachpunkte: "Kleine Kinder können die vielen Ballaststoffe in der Pflanzenkost noch nicht so gut verwerten, das faserreiche Gemüse landet häufig fast unverdaut wieder in der Windel," sagt der Leiter der Abteilung Stoffwechsel und Ernährung im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München.

Mangel an Eisen und Zink vermeiden

Bei Kindern sei es schon generell schwierig, exakt einzuschätzen, ob sie genügend essen, um erforderliche Nährstoffe und Kalorien für Wachstum und Entwicklung aufzunehmen. Bei vegan lebenden Kindern sei es noch komplizierter: "Einige Nährstoffe, wie zum Beispiel Eisen oder Zink, sind aus pflanzlichen Quellen für den Körper nicht so gut verwertbar wie aus tierischen Produkten", erklärt Professor Andreas Hahn, Leiter des Instituts für Lebensmittelwissenschaft und Humanernährung der Leibniz Universität Hannover.

"Wir haben in Studien festgestellt, dass selbst eine hohe Aufnahme von pflanzlichem Eisen vielfach nicht ausreicht, um Mangelerscheinungen zu vermeiden. Mit einer reinen Pflanzenkost fällt es schwer, die Nährstoffversorgung sicherzustellen."

Auch Annika Klauke kennt die Tücken. Ihr Sohn ist mittlerweile zwei und isst wie alle anderen Kinder: "Mal wie ein Scheunendrescher, mal ganz wenig." Klauke glaubt, dass ihr Sohn in seinen unterschiedlichen Bedürfnisphasen instinktiv selbst steuere, was er benötigt und was nicht. "Wenn er viel isst, merkt man auch, dass er sich gerade wieder stark entwickelt." Klauke ist mittlerweile routinierter. Nachdem die erste Kinderärztin noch mit dem Jugendamt drohte, fühlt sie sich bei ihrem neuen Kinderarzt in guten Händen: "Alle Vorsorgeuntersuchungen zeigen, dass mein Sohn außerordentlich gut gedeiht." Regelmäßige Blutuntersuchungen würden zudem belegen, dass keine Mangelzustände bestehen oder drohen.

"Allenfalls mit einem profunden Ernährungswissen ist es möglich, Kinder auf veganem Weg gesund zu ernähren", ist Ernährungswissenschaftler Hahn überzeugt. Dafür erforderlich sei ein sehr ausgewogener und bunter Speiseplan, nicht nur mit Obst und Gemüse, sondern auch mit Nüssen, Samen, viel Getreide und Supplementen. Denn: Ohne gezielte Nährstoffergänzung gehe es nicht. Oberste Pflicht sei die Einnahme von B12, einem Vitamin, das im Normalfall nur in tierischen Produkten vorkommt.

Vegan gut planen

Während die B12-Speicher bei Erwachsenen viele Jahre halten, kann ein Mangel bei Kindern schon in kurzer Zeit zu neurologischen Schäden und Blutarmut führen. "Bis Eltern das bei ihrem Kind bemerken, können schon irreparable Schäden entstanden sein", warnt Berthold Koletzko, der in seiner Münchner Klinik schon einige Kinder mit B12-Mangel betreut hat. Für die ethischen Motive vegan lebender Eltern zollt der Kinderarzt hohen Respekt: "Eine pflanzlich basierte Kost hat zudem auch viele gesundheitliche Vorteile." Bei Kindern muss sie aber gut geplant und begleitet sein.

Koletzko rät Eltern, mit dem betreuenden Kinderarzt offen über die vegane Ernährung zu sprechen und alle vorgeschriebenen Untersuchungen wahrzunehmen. Mindestens bis zum Schuleintritt empfiehlt Koletzko aufgrund des erhöhten Nährstoffbedarfs die Gabe eines Multinährstoffpräparats: "Dieses sollte neben dem obligatorischen Vitamin B12 auch Eisen, Zink und Jod und möglichst auch Vitamin D enthalten."

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