Weihnachtsessen Holt das Rülpsen aus dem sozialen Abseits!

Aufstoßen ist unangenehm - aber es kommt bei jedem vor, besonders nach üppigen Essen während der Weihnachtszeit. Menschen, die rülpsen, brauchen Hilfe statt Ausgrenzung. Ein Plädoyer von Kolumnist Frederik Jötten.
Gänsebraten: Völlegefühl ist das Schicksal vieler Menschen nach all den Leckereien an Weihnachten

Gänsebraten: Völlegefühl ist das Schicksal vieler Menschen nach all den Leckereien an Weihnachten

Foto: Tobias Hase/ picture alliance / dpa

Es ist schwierig, in der Weihnachtszeit um Alkohol und üppiges Essen herumzukommen - und mal ehrlich, wer will das auch schon? Feste sind dazu da, gefeiert zu werden. Ich hatte deshalb großzügig, vielleicht zu großzügig, zugeschlagen im Restaurant bei der Weihnachtsfeier: Entenkeule, Rotkraut, Klöße, dazu naturtrübes Bier. Leider lagen die Speisen dann, zehn Minuten nach dem Essen, in meinem Magen, als ob dort gerade ein neuartiger Superbeton beweisen würde, wie schnell er fest werden kann. Ich fühlte mich, als ob ich nie wieder frei würde atmen, geschweige denn essen können.

Und dann ereilte mich auch noch der Fluch des feiernden Abendlands. Ich spürte ihn kommen aus der Mitte meines Körpers. Wie bei einem Erdbeben begann es in mir zu zittern. Ich drehte mich nach links und schaute prompt der netten Kollegin am Nebentisch direkt in die Augen. Ich schaffte es gerade noch, den Mund zu schließen und ihn mit meiner Hand zu bedecken, als die Luftblase aus meinem Magen die Speiseröhre emporstieg und meinen Körper durchschüttelte. Als ich die Luft zumindest weitgehend geräuschlos abgelassen hatte, lächelte ich verlegen Richtung Kollegin - sie schaute peinlich berührt weg. Es war offensichtlich, dass dieser Typ, ich, ein Problem hatte, vor dem sie lieber die Augen verschließen wollte.

Die Luft muss raus

Rülpsen ist alles andere als schick, besonders bei Frauen kommt es nicht gut an. Ich würde auch gerne darauf verzichten - aber was soll man machen? Ich entschuldigte mich bei den Tischnachbarn und ging nach draußen. Ich wusste nicht, wie gleichzeitig mit Essen und Trinken noch so viel Luft in meinen Bauch hatte kommen können, aber sie war da und musste raus.

Ich ging die Straße entlang. Fies, dass ich mich hier draußen im Dunkeln herumdrücken musste, im sozialen Abseits - wegen einer Dysfunktion meines Körpers. Als ob ich nicht schon schlimm genug bestraft war durch dieses verdammte Aufstoßen. Ich hätte Hilfe statt Ausgrenzung gebraucht. Wer rülpsen muss, gehört in diesem Land zum Abschaum, dabei passiert es doch jedem. Aufstoßen ist ein Hilfeschrei des Magens, der erhört werden muss. Nur von wem? Warum gab es eigentlich keine mobilen Aufstoßambulanzen, die einen mal schnell von diesem Leiden hätten erlösen können? Jetzt, in der Weihnachtszeit, hätte das doch ein gutes Geschäft sein müssen.

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Den Telefonjoker fragen

Ich überlegte, in die Notaufnahme der Uni-Klinik zu fahren - aber was hätten die Ärzte da machen können? Das gute Essen aus meinem Magen pumpen? Nein, das wäre wirklich übertrieben gewesen. Mir fiel ein, ich hatte ja einen Telefonjoker, meinen Freund, den Apotheker. Ich rief ihn an. "Ich hab so ein hartes Aufstoßen, was kann ich machen?"

"Ich würde dir die Kräutertinktur mit Iberis amara empfehlen…"

"Danke für den Tipp, aber ich stehe nicht in der Apotheke, sondern in einer dunklen Straße. Das Einzige, was hier in der Nähe ist, ist eine Gaststätte."

"Vielleicht haben die Natron, das neutralisiert zumindest die Säure. Allerdings sehr stark und danach wird zusätzliche Säure gebildet."

"Was sie sicher haben, ist Schnaps…"

"Du weißt, ich bin immer pro Schnaps, aber die Wirkung dürfte eher subjektiv dein Wohlbefinden erhöhen als das Problem lösen."

Er philosophierte dann noch ein bisschen über Spirituosen - ein Artischockenschnaps, der könne mir helfen, wegen der Bitterstoffe. Ja, besser könne sogar noch ein Löwenzahnschnaps sein. Super Tipps für ein klassisch deutsches Speiselokal mit einer Schnapskarte von Doppelkorn bis Kümmerling!

Ist Alkohol die Lösung?

Mein Telefonjoker hatte nicht gestochen. Ich war immer noch unsicher - Alkohol lähmt schließlich den Schließmuskel zwischen Magen und Speiseröhre. Andererseits gab es ja Kräuterschnäpse, die durchaus ähnliche Inhaltsstoffe haben wie das Magenmedikament, das der Apothekerfreund mir empfohlen hatte. Unentschlossen ging ich noch eine Runde um den Block.

Als ich wieder vor dem Gasthaus stand, kamen mir die Kollegen entgegen. "Wo warst du? Wir gehen jetzt nach Hause, zu viel gegessen", sagte einer. Ich sah, wie die nette Kollegin am Rande des Pulkes ihr Gesicht in Richtung Dunkelheit wendete, weg von mir. Kann sein, dass sie mich nicht mehr ansehen wollte. Aber ihr Kopf hob sich mit einem kleinen Ruck in der Kapuze ihres Mantels. Für mich sah es ganz danach aus, als ob sie in jenem Augenblick aufstoßen musste! Es trifft jeden einmal - nicht nur zur Weihnachtszeit.


Veranstaltungshinweis: Autor Frederik Jötten liest aus "Vertragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker?" Köln: 20. Dezember, 20 Uhr, Theater "Die Wohngemeinschaft"; Frankfurt: 21. Januar , 20:30 Uhr, "Silbergold" (Lesungen mit Musik von Fred Erikson)

AUFSTOSSEN - FRAGEN AN DEN EXPERTEN

Warum muss der Mensch rülpsen?Was lässt sich gegen das Aufstoßen unternehmen?Wie hilfreich sind Medikamente oder trockenes Brot?

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