Rotwein Das Medikament der Genießer

Ein Gläschen Wein in Ehren hält gesund - so denken viele. Doch jetzt hat der Europäische Gerichtshof Pfälzer Winzern verboten, ihren Wein als "bekömmlich" zu vermarkten. Was ist dran, am vielbeschworenen Gesundheitsnutzen des Rebensafts?
Weingenuss: Bisher ist nicht eindeutig bewiesen, ob ein tägliches Glas Wein der Gesundheit nutzt

Weingenuss: Bisher ist nicht eindeutig bewiesen, ob ein tägliches Glas Wein der Gesundheit nutzt

Foto: Gero Breloer/ picture-alliance/ dpa

Ob auf Stammtischen, beim 85. Geburtstag der Oma oder in den Medien - seit Jahrzehnten diskutiert die Menschheit über das ach so gesunde abendliche Gläschen Wein. Befördert wird die Annahme gerne hier und da durch neue wissenschaftliche Studien, dahinter dürfte aber wohl auch Wunschdenken stecken: Warum sollte endlich einmal etwas, das Spaß macht, nicht auch der Gesundheit dienen?

Dass die Vermutung ob der gesundheitlichen Wirkung so einfach nicht haltbar ist, zeigt ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofes: Der Beschluss verbietet Pfälzer Winzern, ihren Wein als "bekömmlich" zu verkaufen. Als Grund nennt die Behörde den Alkoholgehalt des Getränks - ab 1,2 Volumenprozent seien derartige "gesundheitsbezogene Aussagen" nicht zulässig.

Franzosen: viel Fettiges, etwas Rotwein, wenige Herzinfarkte

Und doch handelt es sich bei der positiven Wirkung des Weines wahrscheinlich nicht nur um einen Mythos. Die Annahme, dass das Gläschen in Ehren gesund ist, geht auf das sogenannte "französische Paradoxon" zurück. Ende der siebziger Jahre entdeckten Forscher in Frankreich, dass die Menschen, obwohl sie sich kalorienreich und fettig ernähren und immer wieder zur Zigarette griffen, weniger Herzinfarkte erlitten als die Bewohner anderer Industrienationen. Als Ursache identifizierten Wissenschaftler schließlich unter anderem das tägliche Glas Rotwein der Franzosen.

Weinfreunde feierten, Wissenschaftler starteten Studien, um die Hypothese festzuklopfen. Tatsächlich könnte man eine gesunde Wirkung des Weines anhand seiner Inhaltsstoffe theoretisch erklären: "Hinter dem Phänomen sollen verschiedene, überwiegend polyphenolische Inhaltsstoffe insbesondere aus der Schale der Traube stecken", sagt Claus Jacobs von der Universität des Saarlandes. Einer davon ist Resveratrol. Dieser Stoff soll wie viele andere pflanzliche Stoffe auch kleine Wunder bewirken: Sie sollen die Blutfettwerte verbessern, verkalkten Arterien vorbeugen und somit das Herzinfarktrisiko senken.

Allerdings hat die Sache einen Haken: "Wirklich bewiesen ist die Wirkung nur auf Zellen, aber nicht im Menschen", sagt Jacob. "Das Kritische ist, dass man nicht genau weiß, ob und wie die Stoffe im Körper aufgenommen werden. Kommen die Wirkstoffe wirklich in nennenswerten, für die Wirksamkeit relevanten Mengen im Blut und in den Zellen an, oder werden sie erst gar nicht richtig aufgenommen oder vorher durch die Leber abgebaut?"

Sicher ist nur, dass - falls sie wirken - vor allem Rotwein die Gesundmacher enthält. Im Gegensatz zu Weißwein, der aus Saft gewonnen wird, nutzen Winzer für Rotwein die ganze Traube. Die Stoffe aus der Schale gehen nicht verloren.

Die Problematik: unsicherer Nutzen, klares Risiko

Auch Untersuchungen mit Tausenden Menschen konnten bisher nur Hinweise auf die gesundheitsfördernde Wirkung des Weines liefern. So erklärten Mediziner etwa auf dem Europäischen Kardiologenkongress 2008 nach einer Übersichtsstudie mit mehr als 200.000 Teilnehmern, dass ein maßvoller Weinkonsum das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 30 Prozent reduzieren kann. Das Ergebnis klingt überzeugend, tatsächlich haben jedoch auch Studien dieser Art methodische Probleme.

Zwar ist es theoretisch möglich, dass der beobachtete Effekt tatsächlich auf den Wein zurückzuführen ist. Ebenso gut könnte aber auch sein, dass Weintrinker sich gesünder ernähren und deshalb seltener unter Herz-Kreislauf-Problemen leiden. Absolut sicher herausrechnen lassen sich diese Faktoren nicht. Und so schrecken viele Wissenschaftler davor zurück, die gesundheitsfördernde Wirkung des Weins ohne ein "vielleicht", "eventuell" oder "könnte" zu beschwören.

Dies hat neben den fehlenden Beweisen jedoch noch einen zweiten Grund. Denn so unsicher, wie die positive Wirkung nachgewiesen ist, so sicher weiß die Wissenschaft auf der anderen Seite, dass der im Wein enthaltene Alkohol der Gesundheit schadet.

Nicht in Maßen genossen, kann er die Leber schädigen, schlägt auf das Immunsystem, erhöht das Krebsrisiko für Mundhöhle, Rachen, Kehlkopf sowie Speiseröhre und vieles mehr. Hinzu kommen Diätprobleme. Wer häufig ein paar Gläschen trinkt, kann schnell die Auswirkungen auf seinen Hüften beobachten. Ein Liter Wein mit durchschnittlich zehn Prozent Alkohol hat rund 660 Kilokalorien - mehr als eine Tafel Schokolade.

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