Groß oder klein macht einen Unterschied bei bestimmten Krankheiten
Groß oder klein macht einen Unterschied bei bestimmten Krankheiten
Foto: Sean Justice / Getty Images

US-Studie Wie die Körpergröße mit bestimmten Krankheiten zusammenhängt

Gene, sozialer Status, Umweltfaktoren: US-Forscher haben untersucht, warum große Menschen ein höheres Risiko für bestimmte Krankheiten haben. Und warum kleine Menschen sich mehr bewegen sollten.

Die Körpergröße eines Menschen spielt nicht nur bei der Partnerwahl oder beim Einkaufsbummel eine Rolle – sie kann auch das Risiko für bestimmte Krankheiten erhöhen. Ein Team von US-Forscherinnen und Forschern ist der Frage nachgegangen, inwiefern Körpergröße und Krankheitsrisiko zusammenhängen. Sie haben herausgefunden, dass nicht nur die Gene eine Rolle spielen, sondern auch sozioökonomische Faktoren und vor allem die Umwelt. Die Ergebnisse wurden im Fachblatt »PLOS Genetics« veröffentlicht .

Bereits 2019 ergab eine deutsche Untersuchung , dass kleine Menschen ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes haben, während eine schwedische Analyse  2017 ein höheres Thromboserisiko für große Menschen belegte. Diese erkranken zudem Metaanalysen zufolge etwas häufiger an Krebs. Gleichzeitig werden die Menschen immer größer : Betrug die Durchschnittsgröße deutscher Männer 1896 noch gut 1,67 Meter, waren es 2017 fast 1,80 Meter. Bei den Frauen stieg der Wert im gleichen Zeitraum von 1,56 auf 1,66 Meter.

Unklar ist, ob die Körpergröße selbst das eigentliche Risiko darstellt oder aber Faktoren, die sich auf diese auswirken. Wie groß jemand wird, wird nämlich nicht nur genetisch beeinflusst, sondern auch durch Ernährung, sozioökonomischen Status und demografische Faktoren. Daher untersuchte nun ein Team um den Mediziner Sridharan Raghavan von der University of Colorado Zusammenhänge zwischen verschiedenen Krankheiten und der tatsächlichen Körpergröße einer Person sowie der aufgrund ihrer Genetik vorhergesagten Körpergröße.

Anhand der Datenbank »Million Veteran Program« verglichen die Forschenden die genetischen und gesundheitlichen Daten von mehr als 280.000 Erwachsenen und mehr als 1000 Krankheiten oder Krankheitsmerkmalen. Die Studienteilnehmer waren zu mehr als 90 Prozent Männer mit einer mittleren Körpergröße von 1,76 Meter und vorwiegend weiß. In der Studie wird darüber hinaus nicht näher spezifiziert, wer als »groß« und »klein« gilt. Die Auswertung bestätigt zum einen, dass große Menschen ein höheres Risiko für Vorhofflimmern und Krampfadern haben und ein geringeres Risiko für koronare Herzkrankheiten, Bluthochdruck und hohes Cholesterin.

Zum anderen ergab die Studie neue Zusammenhänge: Demnach haben große Menschen ein erhöhtes Risiko für periphere Neuropathie, die durch Nervenschäden an den Extremitäten verursacht wird, sowie für Haut- und Knocheninfektionen wie Bein- und Fußgeschwüre. Sie ergab ebenfalls, dass zwei Krankheitsmerkmale mit der genetisch vorhergesagten Körpergröße bei Frauen, aber nicht bei Männern zusammenhängen: Asthma und Erkrankungen des peripheren Nervensystems.

Insgesamt gebe es Hinweise darauf, dass die Körpergröße von Erwachsenen über hundert klinische Merkmale beeinflussen könne, wird Studienautor Raghavan in einer Mitteilung zitiert. Darunter seien mehrere Erkrankungen, die mit geringerer Lebenserwartung und schlechterer Lebensqualität verbunden seien. Dass die Körpergröße ein Risikofaktor für mehrere häufige Erkrankungen bei Erwachsenen sei, müsse allerdings in weiteren Studien bestätigt werden.

Für Norbert Stefan, Professor für klinisch-experimentelle Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen, ist das Ergebnis keine Überraschung: Seit Jahren sei bekannt, dass zahlreiche Gene bestimmten, wie groß oder klein ein Mensch werde. Eben jene Gene seien aber nicht nur mit der Körpergröße, sondern auch mit anderen Vorgängen im Körper verbunden und damit direkt oder indirekt mit bestimmten Krankheitsrisiken, sagte er der Deutschen Presseagentur.

»Je kleiner, desto beweglicher sollte man sein«

»Dennoch sollte die Genetik nicht überbewertet werden«, so Stefan, auch sozioökonomische Faktoren könnten eine Rolle spielen: Große Menschen hätten Studien zufolge häufig einen höheren sozialen Status. Der gehe damit einher, dass sie weniger stark von bestimmten Volkskrankheiten betroffen seien.

Noch stärker würden sich wahrscheinlich Umweltfaktoren auswirken, vermutet Stefan mit Blick auf China, wo die Körpergröße seit Jahren zunehme: »Ein Grund dafür ist, dass die Menschen dort immer mehr Milch- und Molkeprodukte konsumieren, welche die Gene IGF-1 und IGF-2 aktivieren und das schon im Mutterleib.« Diese Gene würden das Körperwachstum antreiben und – einmal aktiviert – lebenslang aktiv bleiben. IGF-1 fördere das Zellwachstum, was das erhöhte Risiko großer Menschen für bestimmte Krebsarten erkläre.

Eine stärkere IGF-1-Aktivierung sorge aber auch dafür, dass Fette in den Organen besser verbrannt würden. Daher zeige sich bei großen Menschen seltener eine Fettleber, sagt Stefan unter Verweis auf eigene Untersuchungen. Da sie gleichzeitig aufgrund ihrer längeren Gliedmaßen über eine stärkere Hebelwirkung verfügten und so bei jeder Bewegung mehr Energie verbrennen, sei ihr Risiko für Typ-2-Diabetes und Herzinfarkt geringer.

Allerdings bedeuteten lange Extremitäten auch lange Beinvenen: Das Blut müsse somit einen längeren Weg zum Herzen gepumpt werden, was das Risiko für Thrombosen erhöhe. Entsprechend sollten sich insbesondere große Menschen bei Langstreckenflügen oder langen Autofahrten regelmäßig bewegen, genug trinken und im Flieger Stützstrümpfe tragen.

Bei kleinen Menschen sei hingegen das Risiko für Typ-2-Diabetes und Herzinfarkt größer – und zwar unabhängig von der jeweiligen Körperfettmasse: »Nehmen diese Menschen zu, ist ihr Risiko deutlich ausgeprägter als bei großen Menschen, die dicker werden«, sagt der Diabetologe. »Je kleiner, desto beweglicher sollte man also sein.«

Die Körpergröße sei im klinischen Alltag ein stark unterschätztes Thema, das mehr Aufmerksamkeit verdiene, sagt Stefan. »Deswegen sind Arbeiten wie die aktuelle Studie so wichtig.« Obwohl es schon einige solche Veröffentlichungen gebe, werde aus der Körpergröße in der Praxis nur in den seltensten Fällen eine medizinische Schlussfolgerung gezogen. »Da die Menschen aber immer größer werden, ist das ein Problem, denn diese Zusammenhänge werden weiter an Bedeutung gewinnen.«

kry/dpa
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