

Herzmuskelentzündung Studie vergleicht seltene Nebenwirkung nach unterschiedlichen Impfungen
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In seltenen Fällen können die Coronaimpfstoffe von Biontech und Moderna Herzmuskelentzündungen auslösen, das ist seit Juni 2021 bekannt. Ein Forschungsteam hat nun analysiert, ob diese Nebenwirkung bei den Coronaimpfstoffen eigentlich häufiger auftritt als bei anderen Impfungen – und wer besonders gefährdet ist. Die Gruppe hat dafür systematisch nach Studien gesucht, die Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen als mögliche Impfnebenwirkung adressierten.
Die im Fachblatt »The Lancet Respiratory Medicine« veröffentlichte Arbeit bestätigt zunächst, was schon vorige Studien zu den Covid-Impfstoffen zeigten: Dass das Risiko für Männer, für Menschen unter 30 Jahren und bei der zweiten Impfung größer ist. Und dass es bei den RNA-Impfstoffen größer ist als bei anderen Coronaimpfstoffen. Die Gruppe um Kollengode Ramanathan vom National University Hospital in Singapur wertete 22 Studien aus, in denen Daten von rund 405 Millionen Impfungen verarbeitet waren. Weil die meisten Studien nur Erwachsene oder Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren einschlossen, sagen die Daten nichts über jüngere Kinder aus.
Auf eine Million Impfungen mit RNA-Impfstoffen kamen rund 23 Fälle von Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen, bei den anderen Covid-Impfstoffen waren es rund acht Fälle, betrachtet man die Coronaimpfungen insgesamt, waren es 18 Fälle. Nach der Erstimpfung kamen auf eine Million Impfungen rund sieben Fälle, nach der Zweitimpfung waren es rund 31. Bei den Männern unter 30 Jahren als am stärksten betroffener Gruppe kamen rund 60 Fälle auf eine Million Impfdosen. Zum Vergleich: Bei den gleichaltrigen Frauen waren es rund fünf Fälle.
Wie häufig Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen grundsätzlich auftreten, lässt sich nur grob schätzen. Insgesamt sind Männer häufiger betroffen als Frauen, in einer finnischen Studie etwa, die alle Klinikeinweisungen wegen Herzmuskelentzündungen untersuchte, waren drei Viertel der Betroffenen männlich – und im Schnitt 35 Jahre alt. Herzmuskelentzündungen, medizinisch: Myokarditis, treten oft als Folge einer Viruserkrankung auf. Wer daran erkrankt, sollte sich schonen, damit das Herz ohne bleibende Schäden heilt. Auch die Herzbeutelentzündung, medizinisch: Perikarditis, ist oft Folge eines Infekts.
In der aktuellen Studie geben die Forschenden an, dass man von 8 bis 17 Herzmuskelentzündungen sowie von 5 bis 22 Herzbeutelentzündungen pro einer Million Menschen pro Monat ausgeht, wobei sich das Risiko je nach Alter und Geschlecht unterscheidet.
Die Häufigkeit von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen nach der Coronaimpfung sei insgesamt nicht höher, als ohne Impfung zu erwarten wäre, schreibt Margaret Ryan von der University of California San Diego in einem Begleitartikel in »The Lancet Repiratory Medicine«. Allerdings verstecke sich in den Gesamtdaten die wichtige Information, dass das Risiko für junge Männer nach der zweiten Impfung wesentlich höher sei, als zu erwarten wäre.
Weil die RNA-Impfstoffe anderen Untersuchungen zufolge das Risiko nicht in gleichem Maß erhöhen, wird unter anderem in Deutschland empfohlen, unter 30-Jährige nicht mit dem Präparat von Moderna zu impfen, sondern mit dem von Biontech.
Das Forschungsteam blickte zusätzlich auf Studien, in denen schon früher das Auftreten dieser Komplikation bei anderen Impfungen beobachtet wurde. Tatsächlich unterscheidet sich die Häufigkeit von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen nach Coronaimpfungen statistisch nicht von jener nach der Grippeimpfung oder anderen Impfungen gegen virale Erreger. Nur bei einer Impfung ist dieses Risiko der Studie zufolge höher: bei der Impfung gegen Kinderlähmung. Hier wurden rund 132 Fälle pro einer Million Impfungen verzeichnet. Für die Studien zu diesem Impfstoff wurden allerdings in erster Linie US-Militärpersonal beobachtet, also vor allem junge Männer. Möglicherweise erklärt dies die vergleichsweise hohe Zahl, so die Studienautoren.
Die untersuchten Polio-Impfungen des US-Militärs wurden mit einem Lebendimpfstoff durchgeführt, also einem ganz anderen Impfstoff als dem, der seit mehr als 20 Jahren in Deutschland eingesetzt wird.
»Das Auftreten von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen nach Nicht-Coronaimpfungen könnte bedeuten, dass diese Nebenwirkungen der Entzündungsprozesse sind, die von jeder Impfung angestoßen werden«, sagt Infektiologe Jyoti Somani, Co-Autor der Studie. »Das unterstreicht, dass die Risiken solcher seltenen unerwünschten Ereignisse durch die Vorteile der Impfung aufgewogen werden sollten, zu denen ein geringeres Risiko für Infektion, Klinikeinweisung, schwere Erkrankung und Tod durch Covid-19 gehört.«
Wie in anderen Studien zuvor, rechnet auch das Team um Kollengode Ramanathan vor, dass das Risiko von Herzmuskelentzündungen im Falle einer Coronainfektion deutlich größer als ist nach einer Impfung.
Alle medizinischen Experten, die über Herzmuskelentzündungen nach Coronaimpfungen berichtet haben, hätten betont, dass in der Pandemie der Nutzen der Impfung weiterhin deutlich größer ist als das Risiko, schreibt Margaret Ryan. Dennoch dürfe die Forschung nicht stehen bleiben: Andere Impfstoffe, andere Dosierungen, andere Zeitabstände zwischen Impfungen könnten dazu beitragen, das Risiko dieser seltenen Nebenwirkung weiter zu senken, und sollten erforscht werden.