Rechte für Kranke Beschwerdestelle hilft Psychiatrie-Patienten

Videoüberwachung, Taschengeldentzug, Zwangstherapien: Auch in Deutschlands Psychiatrie gibt es Gesetzesüberschreitungen. Eine Beschwerdestelle in Berlin zeigt, dass offiziell vorgetragene Proteste die Versorgung verbessern können.
Bip in Berlin: "Aus jeder Beschwerde kann man lernen"

Bip in Berlin: "Aus jeder Beschwerde kann man lernen"

Foto: André Wagenzik/ Gesundheit Berlin-Brandenburg

Eine junge Frau begibt sich wegen ihrer Erkrankung in die geschlossene Psychiatrie. Alles scheint dort normal - bis auf die Videokameras. In den Klinikgängen und auf den Patientenzimmern zeichnen sie jeden Schritt auf, nur auf den Toiletten und in den Duschen nicht. Der Patientin behagt das nicht, sie wendet sich anonym an eine Beschwerdestelle und bringt einen Stein ins Rollen. Denn üblich ist diese Überwachung nicht - rechtens schon gar nicht.

Diesen und Hunderte andere Fälle betreut die Beschwerdestelle Psychiatrie in Berlin  seit knapp drei Jahren. Die drei hauptamtlichen Mitarbeiter vermitteln pro Jahr in rund 400 Fällen zwischen Patienten mit Psychiatrie-Erfahrung, Angehörigen, Angestellten und Einrichtungen oder Personen in Berlin, über die geklagt wird. Ziel ist es, nicht die Psychiatrien anzuprangern, sondern die Versorgung der Erkrankten zu verbessern. "Aus jeder Beschwerde kann man lernen", sagt Petra Rossmanith, Sozialpädagogin und Leiterin der Berliner Beschwerdestelle Bip (Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie in Berlin).

Zu Beginn ihrer Arbeit hätten Chefärzte oftmals genörgelt, es gebe ja auch keine Beschwerdestelle für Orthopädie-Patienten. Die Bip sorge nur dafür, dass sie noch mehr Arbeit mit den Patienten hätten, die ohnehin schon viel Aufwand bedeuteten. "Tatsächlich geht es aber um Rechte, die Patienten nun mal haben, egal wie anstrengend ihr Verhalten auch sein mag", sagt Rossmanith.

Von Taschengeldentzug bis Zwangsbehandlung

"Nicht alles in jeder Beschwerde stimmt, aber es gibt auch kaum eine Beschwerde, in der nichts zutrifft", so die Sozialpädagogin. "Wir müssen herausfiltern, was tatsächlich passiert ist und überlegen, wie wir dann helfen können." Selbst in jenen seltenen Fällen, bei denen der Eindruck entsteht, dass sich die Betroffenen nur um des Beschwerens Willen melden, finde sich meist ein Fünkchen Wahrheit. Jeder Anruf, Brief oder Besuch werde ernst genommen.

Die meisten Anfragen kommen von Psychiatrie-Erfahrenen. Dabei sind die Klagen höchst unterschiedlich: Es geht um falsche Diagnosen, zu wenig Therapieangebote oder mangelndes Fachwissen. Das tagelange Verbot an die frische Luft zu gehen oder Taschengeldentzug sind ebenfalls Beschwerdegründe. Und Zwangsbehandlungen, die ohne richterlichen Beschluss durchgeführt wurden.

Ein Viertel aller Beschwerden reichen Angehörige ein. Sie beklagen oftmals, dass ihre Hilfestellung abgelehnt werde oder sie selbst von Ärzten wie Erkrankte behandelt würden. Häufig berichten sie auch anstelle ihrer erkrankten Familienmitglieder von Missständen in der Behandlung.

Jede zehnte Beschwerde kommt von Ärzten, Psychologen oder Mitarbeitern psychiatrischer Einrichtungen. "Manche von ihnen klagen über ihre schlechten Arbeitsbedingungen, andere über fehlerhaftes Verhalten von Mitarbeitern gegenüber ihren Klienten", sagt Rossmanith.

Mehr Freiraum, mehr Offenheit, keine Kameras

Dass der Bedarf nach Veränderung und Verbesserung in der Psychiatrie real ist, unterstreicht der Ansturm, den die Bip seit ihrer Eröffnung 2010 erlebt. Monatlich treffen 30 bis 40 Beschwerden ein, allein 2012 waren es 397. "Das zeigt, was für eine große Lücke wir mit unserem Angebot schließen", sagt der Bip-Mitarbeiter Stefan Weigand.

In fast jedem Bundesland  gibt es eine Anlaufstelle, doch oftmals sind sie kaum bekannt, und die Arbeit lastet auf den Schultern von wenigen ehrenamtlichen Mitarbeitern - und wird nicht immer gern gesehen. Besonders schwierig, erzählt Rossmanith, sei es gewesen, den Beteiligten klar zu machen, dass Beschwerden nicht den Ruf schädigen, "sondern zur positiven Entwicklung beitragen."

Die kleinen und großen Erfolge geben ihr recht. Einigen Trägern von Wohngruppen und Tagesstätten hat die Kritik von Klienten die Augen geöffnet. "Die Einrichtungen werden zugänglicher. Ein Berliner Träger hat inzwischen sogar ein eigenes Beschwerdemanagement aufgebaut", erzählt Weigand. Auch die meisten Kliniken seien inzwischen dankbar für die Impulse, die einige Beschwerden geben, sagt Rossmanith.

In einigen Fällen schaltete sich sogar die Krankenhausaufsicht des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales ein. Nach mehreren Beschwerden bei der Bip fordert sie, dass Kliniken ihren Patienten vermehrt gesicherte Flächen im Freien zur Verfügung stellen, damit diese sich an der frischen Luft bewegen können - auch wenn sie gerichtlich untergebracht sind.

Die Krankenhausaufsicht sorgte auch für Klarheit beim Thema Videoüberwachung: Nachdem die anonyme Beschwerde der jungen Patientin einging, informierte das Bip die Aufsicht. Nach einem Kontrollbesuch mussten die Kameras auf der betreffenden psychiatrischen Station ausgeschaltet werden. Die Aufzeichnung verletzte Persönlichkeitsrechte der Patienten und den Datenschutz, so das Urteil. Alle Berliner Kliniken wurden daraufhin von der Krankenhausaufsicht ermahnt, dass solche Überwachungsmaßnahmen nicht rechtmäßig sind.

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