Enorme Wissenslücken Viele Deutsche verharmlosen Depressionen

Noch immer haben viele Menschen ein falsches Bild von Depressionen, zeigt eine Umfrage. Eine gängige Meinung: Wer unter der Krankheit leidet, hat etwas Schweres durchgemacht und sollte mal in den Urlaub fahren.

In Deutschland gibt es große Wissenslücken, was Depressionen betrifft. So findet nach einer repräsentativen Umfrage fast jeder Fünfte, dass sich Betroffene einfach zusammenreißen sollten. Daneben zeigt der aktuelle Deutschland-Barometer Depression  jedoch auch, wie viele Menschen hierzulande schon einmal mit dem Thema konfrontiert wurden.

Für die Studie hatten Forscher im Auftrag der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutsche Bahn Stiftung im Sommer 2000 Menschen zwischen 18 und 69 Jahren befragt.

  • Fast ein Viertel (23 Prozent) gab an, schon einmal die Diagnose Depression erhalten zu haben.
  • Mehr als ein Drittel (37 Prozent) berichtete von Diagnosen bei Angehörigen oder Freunden.
  • Nur ein weiteres gutes Drittel (37 Prozent) hatte noch keinen direkten Kontakt mit der Krankheit.

Nahezu alle Interviewten sahen Schicksalsschläge (96 Prozent) oder Belastungen am Arbeitsplatz (94 Prozent) als relevante Ursachen einer Depression. Die Hälfte glaubte an eine falsche Lebensführung als Ursache, ein Drittel sah Charakterschwäche als relevanten Grund an, jeder Fünfte sogar eine falsche Ernährung - gängige Vorurteile. Nur rund zwei Drittel der Befragten war hingegen klar, dass Vererbung sowie eine Stoffwechselstörung im Gehirn relevante Ursachen der Krankheit sind.

Damit würde die Rolle von belastenden Lebensereignissen im Vergleich zu biologischen Faktoren überschätzt, sagte Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Nach dem heutigen Stand der Forschung leiden viele Betroffene durch eine entsprechende Veranlagung unter veränderten Hirnfunktionen. Dadurch kann es zu stärkeren Reaktionen auf Stress kommen, wobei die Depression alles Negative ins Zentrum des Erlebens rückt und riesenhaft vergrößert.

Schokolade gegen Depressionen?

Im Hinblick auf eine Behandlung hielt eine deutliche Mehrheit der Befragten - mehr als 90 Prozent - den Gang zum Arzt oder Psychotherapeuten für den besten Weg, um sich bei einer Depression helfen zu lassen. Allerdings plädierten auch 19 Prozent dafür, dass sich die Betroffenen zusammenreißen sollten. 18 Prozent gaben an, dass der Genuss von Schokolade oder anderen Süßigkeiten ein geeignetes Mittel gegen Depressionen sei. 78 Prozent erklärten, dass es helfe, in den Urlaub zu fahren. Damit unterschätzen sie die Rolle der Depression als schwerwiegende Krankheit.

Verändert sich ein Mensch gravierend und über einen langen Zeitraum, sollte er sich auf jeden Fall Hilfe bei einem Experten suchen. Ärzte behandeln die Krankheit in der Regel mit Psychotherapien und - je nach Schweregrad - auch mit Medikamenten.

Nach einer Analyse des Robert Koch-Instituts (RKI) zählen Depressionen inzwischen zu den häufigsten psychischen Leiden in Deutschland. Insgesamt erkranken nach Angaben der Stiftung jedes Jahr rund 5,3 Millionen Menschen in Deutschland an einer behandlungsbedürftigen Depression. Frauen sind häufiger betroffen als Männer, suchen aber in der Regel auch schneller Hilfe.

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hier finden Sie – auch anonyme – Hilfsangebote in vermeintlich ausweglosen Lebenslagen. Per Telefon, Chat, E-Mail oder im persönlichen Gespräch.

irb/dpa
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