Experiment im Alltag Frauen mit Kopftuch bekommen seltener Hilfe

Werden Frauen in alltäglichen Situationen diskriminiert, weil sie ein Kopftuch tragen? Um das herauszufinden, haben US-Forscher ein aufwendiges Experiment an deutschen Bahnhöfen gemacht.
Frauen mit Hidschab (Symbolbild): Faktor Kopftuch

Frauen mit Hidschab (Symbolbild): Faktor Kopftuch

Foto: Laura Lewandowski/ dpa

Ein Mann wirft achtlos einen Kaffeebecher auf den Bahnsteig. Eine junge Frau, die auf den Zug wartet, bittet ihn, seinen Müll aufzuheben. Dann klingelt ihr Telefon. Als sie rangeht, fällt ihr eine Tüte Orangen aus der Hand.

Diese Szene haben Schauspieler Hunderte Male an deutschen Bahnhöfen nachgestellt - im Auftrag der Wissenschaft: US-Forscher wollten so herausfinden, welche Rolle das Aussehen der Frau spielt. Bekommt eine hellhäutige Frau häufiger Unterstützung als eine Frau, deren Aussehen auf einen Migrationshintergrund schließen lässt und die einen Hidschab - eine Art Kopftuch - trägt?

Mehr als 7000 Beteiligte

Die Antwort ist: Ja, etwas häufiger. Die Frau ohne Kopftuch bekam in 84 Prozent der Fälle Hilfe, die Frau mit Hidschab nur in 73 Prozent der Fälle, wie die Forscher in den "Proceedings" (PNAS)  der US-nationalen Akademie der Wissenschaften berichten. Das Experiment fand an rund 30 Bahnhöfen in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Brandenburg statt. Die Forscher beobachteten in gut drei Wochen zwischen Juli und August 2018 insgesamt 1614 solcher Szenen. Mehr als 7000 Fußgänger waren an der wissenschaftlichen Untersuchung beteiligt, ohne es zu wissen.

Der Mann war in der gespielten Szene immer hellhäutig. Die Frau war entweder eine hellhäutige Deutsche oder hatte eine türkische, ägyptische, syrische oder kurdische Herkunft.

Um herauszufinden, welche Faktoren bei Diskriminierung noch eine Rolle spielen, veränderten die Forscher die Szenen. Hatte die Frau zuvor den Mann nicht wegen des weggeworfenen Bechers ermahnt, bekam sie generell seltener Unterstützung. Im Fall einer weißen Deutschen in 73 Prozent der Fälle, im Fall der Frau mit Kopftuch in 60 Prozent der Fälle.

Bei gleichem Verhalten erhielt die Frau mit Hidschab also stets weniger Unterstützung. Dennoch hatte es auch für die Frau mit Hidschab einen positiven Effekt, wenn sie zuvor den Mann zurechtgewiesen hatte: Ihr wurde dann in etwa so oft geholfen wie der hellhäutigen Frau, der der Müll auf dem Bahnsteig scheinbar egal war.

"Wir haben festgestellt, dass die Vorurteile gegenüber Muslimen zu ausgeprägt sind und nicht durch vorbildliches Verhalten wie das Anhalten zum Müllaufsammeln überwunden werden können", sagte Nicholas Sambanis von der University of Pennsylvania, Hauptautor der Studie. Für das Experiment hätten sie gezielt Deutschland ausgewählt, weil Menschen hierzulande als besonders ordnungsliebend gelten.

"Es gibt Symbole, die Fremdheit signalisieren"

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Trug die Schauspielerin mit Migrationshintergrund kein Kopftuch, unauffällige Kleidung und ein Kreuz oder kein religiöses Symbol, bekam sie im Schnitt genauso oft Hilfe wie die hellhäutige Frau. Das Kopftuch und die damit verbundene Religion spiele beim Umgang mit Zuwanderern wohl eine größere Rolle als das Aussehen, schlussfolgern die Forscher.

"Wir fanden keinen Hinweis auf ethnische Diskriminierung per se", schreiben sie in der Studie mit Blick auf ihr eigenes Experiment. Allerdings fragten sie die Passanten nicht, ob sie der Frau mit Hidschab tatsächlich wegen ihrer sichtbaren Zugehörigkeit zum Islam seltener geholfen hatten. Oder ob andere Faktoren eine Rolle spielten, etwa dass ihr aufgrund ihres Kopftuchs ein mangelnder Integrationswille unterstellt wurde.

"Es gibt bestimmte Symbole, die Fremdheit signalisieren", sagt der Sozialpsychologe Ulrich Wagner von der Universität in Marburg, der nicht an der Untersuchung beteiligt war. "Und ich würde zustimmen, dass dies im Moment in Deutschland tatsächlich offen erkennbare muslimische Zugehörigkeit ist."

Laut Wagner kommt es immer wieder und in sehr vielen Gesellschaften zu Ausgrenzungen von Menschen, die bestimmten Gruppen angehören. Welche Gruppe gerade ausgegrenzt werde, hänge von den politischen und gesellschaftlichen Umständen ab.

koe/dpa
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten