Krankhaftes Kaufverhalten Shoppen, bis der Richter kommt

Beim Einkauf: Es geht um den Akt des Shoppens
Foto: CorbisMan könnte meinen, Musik ist Inge Feldmanns* Laster. Pro Woche kauft sie fünf bis sieben CDs. In ihrer Wohnung stapeln sich die Datenträger in jeder Ecke. Im Monat gibt sie mehrere hundert Euro dafür aus. Inzwischen zapft sie deshalb sogar ihr Sparkonto an. Doch die 58-jährige Bankerin kauft nicht, um Musik zu hören. Ihr tatsächliches Problem: Inge Feldmann ist kaufsüchtig.
Etwa sieben Prozent aller Deutschen leiden unter diesem unkontrollierbaren Drang immer öfter und in immer größeren Mengen, Dinge zu kaufen, die sie gar nicht brauchen. Tendenz steigend: Während Anfang der neunziger Jahre nur fünf Prozent der Einwohner der alten Bundesländer die Kriterien für pathologisches Kaufverhalten erfüllten, waren es 2005 schon acht Prozent. In den neuen Bundesländern sprang die Zahl im gleichen Zeitraum von ein auf 6,5 Prozent.
Die Handlung steht im Vordergrund
Die Betroffenen denken übermäßig viel über das Einkaufen nach, verspüren einen Zwang, immer wieder viele oder besonders teure Artikel zu kaufen. Dabei geht es nur selten wirklich um das erworbene Gut, sondern vielmehr um den Akt des Shoppens. "Viele verlieren schon in dem Moment, wenn sie den Laden verlassen, das Interesse an dem Gekauften", sagt die Psychologin Astrid Müller, die an der Medizinischen Hochschule Hannover zu der Erkrankung forscht und Betroffene behandelt. Sie kaufen dennoch immer öfter und immer mehr. Die meisten verstecken die Waren dann zu Hause oder verschenken sie. Selbst wenn das Verhalten zu Konflikten mit dem Partner und der Familie, zu Problemen am Arbeitsplatz oder Geldnot führt, shoppen die Betroffenen weiter.
"Der Leidensdruck beginnt zuerst bei den Angehörigen, die oftmals um ihr Geld und Vertrauen gebracht werden. Früher oder später leiden aber auch die Betroffenen: An der inneren Leere, die sie nicht ausfüllen können und der entstandenen finanziellen Not", sagt Müller. Seit etwa zehn Jahren behandelt sie Patienten mit pathologischem Kaufverhalten. Sechs bis acht Betroffene sitzen bei ihr in der Gruppentherapie. Keiner davon hat mehr eine Kredit- oder EC-Karte. Diese wurden schon längst von den Banken eingezogen oder gesperrt. Die Hälfte ihrer Patienten hat zudem bereits eine Bewährungsstrafe im Strafregister oder gar eine Haftstrafe abgesessen. Die Kaufsucht hat sie in die Kriminalität getrieben.
Frauen und Männer gleichermaßen betroffen
Die Mehrheit in Müllers Therapiegruppen sind Frauen. Dennoch ist das pathologische Kaufen kein typisch weibliches Problem. Während einige Studien große Häufigkeitsunterschiede offenbarten, fanden andere nur marginale Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Eine US-amerikanische Studie mit mehr als 2500 Probanden habe wiederum gar keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen gefunden, so Müller. "Die Männer shoppen vor allem Sportartikel und Technikequipment, Frauen eher Kleidung und Kosmetik. Mehr Unterschiede gibt es nicht."
Das Alter spiele hingegen eine wichtige Rolle: Je jünger, desto kaufsüchtiger. Ebenso bedeutsam: Die persönlichen Werte. Menschen mit pathologischem Kaufverhalten orientieren sich besonders stark an materiellen Werten. Manche kennen sich gut mit Preisen aus, legen Wert auf Markenprodukte, und andere wissen immer, wo es Schnäppchen gibt.
Die meisten haben zudem eine weitere psychische Erkrankung . Müller und ihre Kollegen entdeckten in einer Untersuchung, dass etwa 90 Prozent ihrer bisherigen Patienten früher oder zum Befragungszeitpunkt neben der Kaufsucht Depression, eine Angst- oder eine andere psychische Störungen aufwiesen.
Strategien gegen das Shoppen und den Stress
In der Gruppentherapie konzentriert sich Müller vor allem auf das exzessive Einkaufen. Zwölf Wochen lang treffen sich die Betroffenen einmal in der Woche für anderthalb Stunden mit ihr. Unter ihnen ist auch Inge Feldmann, die sich von dem Zwang lösen will, ständig CDs zu kaufen. In den Sitzungen erarbeitet die Psychologin mit ihr und den anderen Teilnehmern, wie Einkaufen normalerweise ablaufen sollte.
Die Gruppe erörtert zudem, mit welchen anderen Mitteln die Betroffenen Frust und Stress bekämpfen können. Denn häufig verleiten Anspannung, Ärger oder eine innere Unruhe die Betroffenen zum Einkaufen. Sie erhoffen sich davon Entspannung und Befriedigung. Kurzzeitig treten diese Empfindungen auch ein, werden aber rasch von einer Scham über den kopflosen Einkauf verdrängt.
Müller versucht mit den Patienten daher herauszufinden, welche Situationen und Gefühle die Kaufwut auslösen, um diese künftig rechtzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzusteuern. Zugleich trainiert die Psychologin mit ihren Patienten, mit Geld umzugehen. "Viele haben ein kindliches Verhältnis dazu. Es macht für sie keinen Unterschied, ob etwas zehn, 100 oder 1000 Euro kostet", sagt Müller.
*Name von der Redaktion geändert
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