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Perücken für Krebskranke: Ein Besuch bei der Zweithaarspezialistin

Foto: Imke Lass/ SPIEGEL WISSEN

Perücken für Krebskranke "Ein Begleiter für eine gewisse Zeit"

Haarausfall zählt zu den vielen Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Frauen haben Anspruch auf Haarersatz auf Kosten der Krankenkasse. Eine Spezialistin erzählt, warum Frauen sich nicht zu früh vom eigenen Haar trennen sollten, und was eine gute Perücke ausmacht.
Von Isabelle Buckow
Zur Person

Wiebke Hemmecke ist geprüfte Zweithaarspezialistin. Sie berät Frauen, die aufgrund einer Chemotherapie oder einer anderen Ursache ihre Haare verlieren und eine Perücke brauchen. Sie ist offizielle Partnerfriseurin der DKMS Life, unterstützt ehrenamtlich die Hamburger Krebsgesellschaft und bietet in den dort stattfindenden Kosmetikseminaren ihre Beratung und Hilfe an.

SPIEGEL ONLINE: Frau Hemmecke, Sie sind gelernte Friseurin, vor fast zehn Jahren haben Sie sich auf Perücken spezialisiert. Warum?

Hemmecke: Einer Freundin von mir gingen durch eine Chemotherapie die Haare aus. Sie bat mich, ihr bei der Auswahl einer Perücke zu helfen. Der Besuch im Perückengeschäft war sehr deprimierend. Meine Freundin war damals 40 Jahre alt, eine flippige Frau mit einer wilden Frisur, sehr modern. Und dann wurden ihr diese Omi-Perücken aufgesetzt, in Formen und Farben, die nichts mit ihr zu tun hatten. Da dachte ich: Das muss anders gehen.

SPIEGEL ONLINE: Was macht eine gute Perücke aus?

Hemmecke: Sie muss zur Persönlichkeit der Frau passen, also ihrem Typ entsprechen und ihn positiv betonen. So, dass die Frau aussieht wie vorher. Im Idealfall sogar besser. Die Perücke sollte natürlich aussehen, damit Außenstehende sie nicht bemerken. Das ist besonders für Frauen wichtig, die ihre Haare durch eine Chemotherapie verlieren. Ohne Haare oder mit Kopftuch sieht jeder, dass etwas nicht stimmt. Eine gute Perücke gibt den Frauen die Möglichkeit, nicht ständig auf die Erkrankung angesprochen zu werden.

SPIEGEL ONLINE: Wann ist der beste Zeitpunkt für Krebspatientinnen, denen eine Chemo bevorsteht, sich um eine Perücke zu kümmern?

Hemmecke: Am besten direkt nach der Diagnose. Viele Ärzte raten leider dazu, die Haare schon vor der Chemo kurzzuschneiden. Gerade Frauen mit langen Haaren fühlen sich dadurch schon vorab bestraft und sind total unglücklich. Dabei ist das gar nicht nötig. Es ist viel besser, sich zuerst von einem Zweithaarspezialisten beraten zu lassen. Wer will, kann sich früh eine Perücke aussuchen. Die eigenen Haare sollte man erst abnehmen, wenn sie tatsächlich ausfallen. Dann geht man wieder zu seinem Spezialisten. Die Perücke, die man sich vorher ausgesucht hat, wird an die Kopfform angepasst, damit sie nicht rutscht, und nach Wunsch frisiert.

SPIEGEL ONLINE: Was für unterschiedliche Perücken gibt es?

Hemmecke: Es gibt Maßanfertigungen, aber auch vorgefertigte Perücken aus Echthaar, Synthetikfaser oder Mischhaar, in unterschiedlichen Strukturen, Farben, Qualitäten und Preisklassen. Je mehr Handarbeit in der Perücke steckt, umso höher ist der Preis. Auch die Haarqualität ist entscheidend.

SPIEGEL ONLINE: Wie viel kostet eine gute Perücke?

Hemmecke: Grundsätzlich gilt: Jede Frau, die aus gesundheitlichen Gründen ihr Haar verliert, hat Anspruch auf eine Perücke, ohne etwas zuzahlen zu müssen - vorausgesetzt, sie lässt sich von einem Zweithaarspezialisten beraten und den dort erworbenen Haarersatz fachgerecht anpassen und einschneiden. Es gibt mittlerweile richtig gute Perücken aus synthetischen Fasern, die anteilig oder komplett von den Krankenkassen übernommen werden. Bei feineren Arbeiten ist die Preisskala nach oben offen. Aber schon bei einer Eigenbeteiligung von 150 bis 250 Euro bekommt man etwas wirklich Schönes. Das gilt auch für Echthaarperücken. Die werden von den meisten Kassen entsprechend höher bezuschusst. Falls nicht, gibt es schon ab etwa tausend Euro gute handgearbeitete Kurzhaarperücken aus echtem Haar.

Mehr zum Thema im SPIEGEL WISSEN 3/2014

SPIEGEL ONLINE: Kommen nur Frauen zu Ihnen?

Hemmecke: Ich habe mich nicht bewusst auf Frauen spezialisiert, hin und wieder kommen auch Männer zu mir. Es ist nur so, dass der Haarausfall bei Männern gesellschaftlich akzeptiert wird. Deshalb sind die Krankenkassen nicht verpflichtet, Männern bei krankheitsbedingtem Haarausfall einen Haarersatz zu erstatten. Das ist leider eher die Ausnahme.

SPIEGEL ONLINE: Wie läuft die Beratung ab?

Hemmecke: Die meisten Frauen rufen vorher an und vereinbaren einen Termin. Sie kommen in meine Werkstatt oder ich fahre zu ihnen nach Hause, manchmal auch ins Krankenhaus. Wir setzen uns hin, trinken eine Tasse Tee und reden über die Haare, ganz gemütlich. Ich frage nach der Ursache für den Haarausfall und versuche herauszufinden, was zur Frau passt. Dann nehme ich Maß und zeige erste Perücken. Es hilft den Frauen, wenn sie die Haare sehen und anfassen können. Und sie bekommen einen Eindruck, wie sie selbst später damit aussehen könnten. Ich habe immer Perücken da, die ich schnell umarbeiten kann. Damit auch eine Frau, die sofort eine Perücke braucht, noch am gleichen Tag mit neuen Haaren nach Hause gehen kann. Manche Frauen kümmern sich nämlich erst sehr spät.

SPIEGEL ONLINE: Woran liegt das?

Hemmecke: Viele verdrängen, dass sie ihre Haare durch die Chemo verlieren werden. Sie warten so lange, bis sie kaum noch welche haben und von der Familie oder von Freunden darauf angesprochen werden. Für diese Frauen ist es eine große Hürde, herzukommen und mit dem Thema Haarersatz konfrontiert zu werden.

SPIEGEL ONLINE: Was geht in diesen Frauen vor?

Hemmecke: Eine Krebsdiagnose bringt das Leben von heute auf morgen völlig durcheinander. Der Alltag wird bestimmt von Arztterminen und Ungewissheiten. Dazu kommt die Nachricht, dass die Haare ausfallen werden. Ich glaube, es gibt einen Moment, vor dem sich viele Frauen am meisten fürchten: das Abrasieren der Haare.

SPIEGEL ONLINE: Wie bereiten Sie die Frauen darauf vor?

Hemmecke: In der ersten Beratung spreche ich das Thema bereits an, damit die Frauen genug Zeit haben, sich darauf einzustellen, dass wir die Haare wahrscheinlich abnehmen werden, ehe sie sich in Büscheln lösen. Das kann nämlich auch unerträglich sein. Außerdem sollten sie sich überlegen, ob sie lieber alleine kommen oder jemanden mitbringen. Jemand, der sie stärkt - und nicht bemitleidet oder bevormundet. Das wäre fatal. Meine Kundin ist die Hauptperson. Sie soll auf ihre innere Stimme hören und in Ruhe entscheiden können, was sie will. Das sage ich ihr. Die meisten wollen sich im Lauf der Chemotherapie von ihrem Haar trennen. Es ist durch die Behandlung geschädigt, stumpf, sieht nicht mehr schön aus. Es gehört nicht mehr zu ihnen.

SPIEGEL ONLINE: Welche Rolle spielt die Perücke während der Chemo?

Hemmecke: Der Haarersatz ist eine Art Brücke, ein Begleiter für eine gewisse Zeit, bis es den Frauen wieder besser geht und die eigenen Haare nachwachsen. Ich habe viele erlebt, die durch eine Perücke wieder mehr Selbstbewusstsein bekommen haben, die gegen den Krebs gekämpft und ihn am Ende auch besiegt haben. Das macht Mut.

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