Selbstfindung "Psycho-Tests sind so aussagekräftig wie ein Horoskop"

Schnell ein paar Kreuze gesetzt: "Wir möchten etwas über uns erfahren"
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Matthias Ziegler ist Professor für Psychologische Diagnostik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht und lehrt dort über psychologische Tests und deren Aussagekraft. Ziegler hat an der Erstellung unterschiedlicher Testverfahren mitgewirkt, die in der Personalauswahl und -entwicklung (zur Persönlichkeit in Situationen), der Sportpsychologie (zur Dopingeinstellung) oder der klinischen Psychologie (Angstsensitivität) eingesetzt werden.
SPIEGEL ONLINE: Was kann man von Psycho-Tests in Zeitschriften, auf Facebook oder IQ-Shows im Fernsehen erwarten?
Ziegler: Nicht allzu viel. Das hängt aber davon ab, wie viel Unterstützung die Redaktionen von Wissenschaftlern bekommen haben. Bei den IQ-Tests im Fernsehen haben namhafte Psychologen die üblichen Tests aus der Wissenschaft für die Sendung aufbereitet. Was da herauskam, hatte durchaus Wert. Ebenso gibt es auch auf Facebook einige Tests, die von namhaften Kollegen geschaltet und betreut werden.
SPIEGEL ONLINE: Wie viel Wahrheit steckt in den Persönlichkeitstests?
Ziegler: Wahrheit steckt in keinem psychologischen Test. Bei wissenschaftlichen Fragebögen und Tests werden meist die Aussagen einer Person mit den Aussagen anderer Menschen verglichen und eingeordnet. Die Ergebnisse in Zeitschriften wiederum werden meist willkürlich von der Redaktion festgelegt und sind damit genauso aussagekräftig wie ein Horoskop.
SPIEGEL ONLINE: Woran mangelt es solchen Psycho-Tests noch?
Ziegler: In empirisch entwickelten Tests sollte es egal sein, ob man seine Kreuze heute, in einer Woche oder einem Monat setzt. Das Ergebnis müsste immer, abgesehen von kleinen Fehlerschwankungen, gleich sein. Der Test sollte zudem sicherstellen, dass er auch wirklich misst, was er angibt zu messen.
SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht selbstverständlich?
Ziegler: Nein, es gibt sogar wissenschaftliche Fragebögen, die etwa erfragen, wie gut sich jemand in andere hineinversetzen kann. Die Kreuze auf dem Papier müssen aber nicht wirklich viel mit der tatsächlichen Empathiefähigkeit zu tun haben. Um diese zu messen, wären wirkliche Leistungstests nötig, deren Aufgaben als richtig oder falsch gewertet werden können.
SPIEGEL ONLINE: Das wäre für eine Zeitschrift nicht möglich.
Ziegler: Nicht nur das. All die wissenschaftlichen Standards müsste man vorab an großen und für die jeweilige Zielgruppe repräsentativen Stichproben empirisch prüfen und statistisch analysieren. Von einer Zeitschrift, die wöchentlich einen Psycho-Test veröffentlicht, kann man das kaum erwarten.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch machen viele fleißig ihre Kreuzchen, wenn sie einen Test à la "Welcher Beziehungstyp sind Sie?" aufschlagen. Warum?
Ziegler: Da steckt zum einen große Neugier dahinter. Wir möchten etwas über uns erfahren. Generell gibt es den Trend, mehr über sich wissen zu wollen, sich mehr zu reflektieren. Zum anderen sind die Ergebnisse eigentlich nie negativ. Selbst wenn man schlecht abschneidet, ist die Auswertung meist so formuliert, dass man immer noch drüber schmunzeln kann.
SPIEGEL ONLINE: Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen warnt vor "fragwürdigen Psychotests" und davor dass diese falsche Schlüsse zulassen, die zu psychischen Problemen führen könnten. Ist das nicht etwas zu kritisch?
Ziegler: Nein, ich sehe das ähnlich kritisch. Ich glaube zwar nicht, dass die Fragebögen in Zeitschriften so dramatische Auswirkungen haben, aber dennoch gibt es auch Tests, die ein gewisses Gefahrenpotenzial bergen.
SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel…
Ziegler: …bestimmte Tests in der Auswahl von Personal. Dort werden häufiger Verfahren eingesetzt, die Menschen bestimmten Typen zuordnen. Danach werden dann Teams zusammengesetzt. Solche Messungen sind jedoch oft nicht stabil, können also in wenigen Wochen, einem halben oder einem Jahr ganz anders ausfallen. Jemand, der durch solch einen Test also beispielsweise den Status des Problemlösers in einer Gruppe erhält, könnte unter starken Druck geraten, wenn wirklich mal eine problematische Situation auftaucht, sich alle an ihn wenden und er gar nicht die erwarteten Qualitäten hat.
SPIEGEL ONLINE: In Bewerbungsverfahren werden immer häufiger Persönlichkeitstests eingesetzt. Was kann ein Kreuz auf dem Papier über einen Menschen und seine beruflichen Fähigkeiten aussagen?
Ziegler: Gar nicht so wenig. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass kurze, empirisch entwickelte Selbsteinschätzungen den Berufserfolg einer Person auch über einen langen Zeitraum hinweg gut vorhersagen können. Aber nicht alle Teilnehmer antworten ehrlich - und jemand der weder gewissenhaft noch fleißig ist, aber skrupellos ankreuzt, könnte den Job bekommen. Wir empfehlen daher immer, die Ergebnisse eines schriftlichen Bewerbungstests durch Interviews oder ähnliches abzusichern.
SPIEGEL ONLINE: Wenn ich also etwas über mich erfahren möchte, bringen mir Psycho-Tests wenig?
Ziegler: Jein. Psycho-Tests aus Zeitschriften sollten tatsächlich nur unterhalten. Wissenschaftliche Fragebögen hingegen sind ein guter Startpunkt um herauszufinden, wie man sich selbst im Vergleich zu anderen wahrnimmt. Aber für ein vollständiges Bild reicht das nicht aus.