Kriminalitätsopfer Nach dem Einbruch bleibt die Angst

Schlafstörungen, Angstzustände, Kopfschmerz: Wenn bei Menschen eingebrochen wird, sind die psychischen Folgen manchmal schlimmer als die materiellen. Ein Einbruchsopfer erzählt, wie die Erfahrung auch noch Jahre später das Verhalten beeinflusst.
Einfach Zutritt verschafft: "Einbrecher dringen in die Intimsphäre der Opfer ein"

Einfach Zutritt verschafft: "Einbrecher dringen in die Intimsphäre der Opfer ein"

Foto: Andreas Gebert/ dpa

Frankfurt - Als sie die Tür oben im zweiten Stock öffnet, wirkt Brigitte H. erleichtert. "Normalerweise ist unten abgeschlossen", sagt sie. Wenn sie nicht über die Gegensprechanlage prüft, wer das Bürogebäude betritt, ist der 59-Jährigen mulmig zumute. Dafür gibt es einen Grund. Bei Brigitte H. wurde einmal daheim eingebrochen. Das liegt schon 18 Jahre zurück. Eine Folge aber spüre sie noch immer: ihre extreme Vorsicht. Am "Tag der Kriminalitätsopfer" am 22. März erinnert die Hilfsorganisation Weißer Ring an Menschen, die Opfer geworden sind - ob von direkter Gewalt oder durch einen Einbruch.

"Einbrecher dringen in die Intimsphäre der Opfer ein", sagt der hessische Landesvorsitzende des Vereins, Horst Cerny. Angst-, Schlaf- oder Essstörungen, Magen-, Rücken- und Kopfschmerzen könnten die Folgen sein. Laut einer Studie aus den neunziger Jahren hätten etwa 30 bis 60 Prozent Einbruchsopfer Angst. Bis zu 40 Prozent litten unter Schlafstörungen. Etwa jedes zehnte Opfer müsse mit einer posttraumatischen Belastungsstörung auskommen, sagt der ehemalige Kriminalist Cerny.

Auch Brigitte H. hat der Einbruch verstört. Die Erfahrung, dass jemand Fremdes in ihrem Zuhause herumgewühlt hat - "das ist nicht raus aus meinem Leben". Wenn sie vom Einbruch erzählt, blickt sie auf den Tisch anstatt wie sonst offen geradeaus.

Das Kissen wurde zum Sack für Diebesgut

Als sie damals von der Arbeit kam, war ihr Frankfurter Wohnhaus hell erleuchtet. Sie sah Behördenpapiere auf dem Tisch. Da habe sie gewusst, dass eingebrochen worden war.

Zwei oder drei Männer sollen es gewesen sein, habe die Polizei vermutet. Sie hatten die Terrassentür aufgestemmt und die teure Kameraausrüstung, Bargeld und hochwertige Lederjacken gestohlen. Damals, im ersten Moment des Schocks, konnte sie nur eines beruhigen: dass ihr Mann die Einbrecher aufgescheucht hatte, bevor er das Haus betrat und ihnen begegnen konnte. Er warf etwas in die Mülltonne vor dem Haus, das machte Lärm.

Auf dem Fußboden im Schlafzimmer fand Brigitte H. die Knöpfe von ihrem Kopfkissenbezug. Worauf sie noch die Nacht zuvor geschlafen hatte, diente nun als Sack für Diebesgut: aufgerissen und mitgenommen. Die Bettwäsche, die Unterwäsche: Alles, was direkt auf der Haut liegt, hat Brigitte H. erst einmal gewaschen. "Wo die ihre dreckigen Finger überall drin hatten...", sagt sie und zieht die Schultern vor Ekel zusammen.

Eine Reaktion, die Brigitta Bopp, Beauftragte für Opferschutz bei der hessischen Polizei, gut kennt: "In der Regel sind Einbruchsopfer stark beeinträchtigt, je nachdem was die Täter alles angefasst haben", sagt sie. "Aber wenn sie die Täter wieder rauswischen können, geht es oft wieder." Schwieriger sei es, wenn die Opfer alleine leben.

Nach dem Einbruch, erzählt Brigitte H., musste ihr Mann beruflich verreisen. Da sei sie fast verrückt geworden. Sie konnte nicht mehr einschlafen. Die sonst ausgeblendeten Holzgeräusche und die Vorstellung, dass jemand im Haus ist, hielten sie wach.

"Nicht von der Angst überrollen lassen"

Heute gehe sie in ihrem Wohnhaus zuerst in den ersten Stock und gucke aus dem Fenster, wenn unerwartet jemand klingelt. Wenn sie im Dunkeln ausgeht, habe sie immer alle Rollläden geschlossen. "Das gibt mir zusätzlich das Gefühl, dass niemand ins Haus kann", sagt Brigitte H.. Zusätzlich zu den Metallstangen innen an den Fenstern. Und zu dem feuerverzinkten Zaun, den ihr Mann um das Grundstück gezogen hat, zweieinhalb Meter hoch. Das war seine Reaktion, statt Reden. Brigitte H. hat viele über ihre Ängste gesprochen. Ihre Familie und Freunde hatten Verständnis, sagt sie.

Vielleicht hat genau das Brigitte H. davor bewahrt, in ihren Ängsten stecken zu bleiben. "Etwa die Hälfte der Einbruchsopfer erholen sich bald nach dem ersten Schock, wenn sie von der Familie aufgefangen werden", sagt Günther Deegener, Diplom-Psychologe und Autor des Buchs "Psychische Folgeschäden nach Wohnungseinbruch". Ob jemand langfristig verängstigt ist oder gar an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, hänge auch von der Persönlichkeit ab.

Brigitte H. sagt, sie habe ein optimistisches Naturell. "Ich bin extrem sensibel, was die Sicherheit betrifft", sagt sie. "Aber ich darf mich nicht von der Angst überrollen lassen."

wbr/dpa
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