Leisure Sickness Wieso wir ausgerechnet im Urlaub krank werden

Im Urlaub und am Wochenende klagen viele über Infektionen, Schmerzen, Unwohlsein. Das Phänomen, von Forschern Leisure Sickness genannt, kann mehrere Gründe haben.
Krank im Bett: Genesung erst am Ende des Urlaubs

Krank im Bett: Genesung erst am Ende des Urlaubs

Foto: Corbis

Geplant war: Gran Canaria, Sonne, baden, essen, wandern.

Daraus wurde: Gran Canaria, Sonne, Bett, Schüttelfrost, Rotz.

Der gesunde Reisebegleiter hatte nach zwei Tagen seine Lektüre durch und begann sich zu langweilen. Die Genesung kam einen Tag vor Urlaubsende. Nach der Rückreise blieb das allgemein bekannte Gefühl: Jetzt Urlaub vom Urlaub, das wär' schön!

Das Phänomen kennen viele, 2013 zum Beispiel wurde jeder zehnte Deutsche im Sommerurlaub krank. Wenn daran nicht gerade Montezumas Rache  oder eine am Urlaubsort zugezogene Blessur schuld sind, sprechen Wissenschaftler von Leisure Sickness.

Niederländische Psychologen um Ad Vingerhoets von der Tilburg Universität haben Menschen befragt , die immer wieder am Wochenende oder in den Ferien krank werden, und ihre Antworten mit denen einer Kontrollgruppe verglichen. Die geplagten Urlauber klagten demnach meist über Schmerzen, Erschöpfung oder Infektionen.

Ungesunde Schuldgefühle

Die beiden Gruppen unterschieden sich in einigen Punkten deutlich: Jene, die oft im Urlaub krank wurden, berichteten häufiger von Stress im Job und einer hohen Arbeitsbelastung. Sie konnten zudem nach eigener Einschätzung in der Freizeit kaum abschalten und kamen schlechter mit Stress zurecht.

Die Wissenschaftler beschreiben diese Persönlichkeitstypen als Perfektionisten, die ein starkes Verantwortungsgefühl in Bezug auf ihre Arbeit hätten. "Ruhe und Entspannung könnten mit Schuldgefühlen verbunden sein, was sie daran hindern mag, ihre freien Tage richtig zu genießen."

Die Wahrnehmung verändert sich

Neben ungesunden Schuldgefühlen könnte die Wahrnehmung eine Rolle spielen, spekulieren die niederländischen Psychologen: Wer im Liegestuhl in der Sonne entspannt, merkt vielleicht erst, was alles zwickt. Während der vorangegangenen Stressphase ließ sich das Unwohlsein leichter ausblenden. Das klingt plausibel, wenn es um leichte Beschwerden geht. Aber eine handfeste Erkältung lasse sich damit wohl nicht erklären, räumen die Psychologen ein.

Das Immunsystem legt los

Bleibt die Biochemie. Sowohl unter akutem als auch unter chronischem Stress verändert sich das Immunsystem. Ronald Glaser von der Ohio State University (Emeritus) kommt in einer Überblicksarbeit zu dem Ergebnis, dass Stress zwei wichtige Wirkungen auf das Immunsystem hat :

  • Zum einen macht er anfällig für bakterielle und virale Infekte, Entzündungen und Autoimmunerkrankungen.
  • Zum anderen unterdrückt er die Immunantwort. Wunden heilen langsamer. Menschen unter akutem Stress (etwa Studenten in Prüfungsphasen) oder Dauerstress (zum Beispiel Angehörige, die Alzheimerkranke pflegen) entwickeln nach Impfungen weniger Antikörper.

Müsste man sich demnach nicht schon während der heißen Phase malad fühlen? "Während einer Stressphase kann man sich durchaus mit Erregern anstecken", sagt Hartmut Schächinger, Mediziner und Stressforscher an der Universität Trier. "Weil Stresshormone wie Cortisol die Immunantwort unterdrücken, können allerdings die Symptome zunächst ausbleiben, etwa die einer Erkältung."

Evolutionsbiologisch gesehen ist das sinnvoll: Droht akute Gefahr, muss der Mensch handeln - klassisch kämpfen oder rennen, modern schneller denken und tippen. Um diese Leistung zu bringen, werden andere Funktionen heruntergefahren, darunter das Immunsystem. Wenn der Stress sich legt, kümmert der Körper sich um die Keime. "Erst diese Immunantwort macht sich zum Beispiel durch Husten und Schnupfen bemerkbar", sagt Schächinger.

Die Einstellung verändert

Die niederländischen Wissenschaftler trafen bei ihrer Befragung auch Menschen, die von ihrer wiederkehrenden Leisure Sickness genesen waren und jetzt ihren Urlaub gesund und munter verbringen. Auf die Frage, wie ihnen das gelungen sei, antworteten manche, sie hätten den Job gewechselt. Andere sagten, sie hätten ihre Einstellung verändert - Arbeit sei für sie heute nicht mehr das Wichtigste im Leben.

Zur Autorin
Foto: Frida Rose

Susanne Schäfer schreibt über Körper, Geist und Gesellschaft. Sie war auf der Deutschen Journalistenschule in München und lebt in Hamburg. Sie findet, dass die Wissenschaft helfen kann, die Fragen des Alltags und des Lebens zu klären.

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