Katharina Saalfrank antwortet Wieso nimmt der Große dem Kleinen das Spielzeug weg?
Ihre Erziehungsfrage: Auf unseren Leseraufruf hin haben Sie uns viele Fragen an die Erziehungsexpertin Katharina Saalfrank geschickt. Daraus haben wir in der Redaktion einige ausgewählt und der Pädagogin geschickt. Hier antwortet sie in einer losen Serie.
Eine Mutter fragt: Ich habe drei Söhne (3,5 Jahre, 2 Jahre und 6 Monate). Die beiden großen Kinder spielen die meiste Zeit sehr schön zusammen. Allerdings gibt es momentan oft den gleichen Konflikt: Der Zweijährige entdeckt ein Spielzeug, das in der Ecke liegt und seit Tagen nicht beachtet wurde. Er sagt: "Ich will TipToi-Stift und Buch anschauen." Daraufhin wird der Große auf den Stift aufmerksam, springt auf, rennt an dem Kleinen vorbei und schnappt sich den Stift. Der Kleine weint, und der Große sagt, er hatte den Stift zuerst.
Ich weiß nicht, wie ich bei diesem Konflikt eingreifen kann. Ich finde, dass die beiden Streit eigentlich untereinander lösen sollen, aber hier hat der Kleine einfach keine Chance. Der Große ist wiederum noch nicht mal vier, Vernunft kann man da noch nicht erwarten. Was kann ich tun?
Katharina Saalfrank antwortet: Schauen wir uns die emotionale Situation Ihres älteren Sohnes einmal an: Wenn weitere Kinder in eine Familie geboren werden, verändert dies die gesamte Konstellation, und alle Familienmitglieder müssen sich neu sortieren. Gerade ältere Geschwister erleben das auf der emotionalen Ebene mitunter als extreme Erschütterung, die nicht nur wenige Wochen oder Monate, sondern prozesshaft über Jahre andauern kann und mal mehr oder weniger spürbar für Eltern ist.

Katharina Saalfrank, Jahrgang 1971, war viele Jahre lang als Diplompädagogin in dem TV-Format die "Super Nanny" tätig: Von 2004 bis 2011 lief auf RTL die Sendung, in der sie chaotischen Eltern Erziehungstipps gab. Seit 17 Jahren arbeitet Saalfrank als Therapeutin. Im Oktober 2017 ist ihr aktuelles Buch "Kindheit ohne Strafen" erschienen.
Geschwisterkinder empfinden dabei immer wieder schmerzhafte Verlustgefühle. Während sich die Familienmitglieder und das Umfeld von Freunden und Bekannten über das neue Baby freuen und dieses schnell in die Familie integriert haben, spürt das ältere Kind vor allem den Verlust von exklusiven Beziehungen - insbesondere zu seiner Mutter, aber auch zum Vater.
In unserer Erwachsenenwelt wäre das so, als wenn unser Partner nach Hause kommt und uns eröffnen würde, dass er jemanden Nettes kennengelernt hat und wir ab nächster Woche zu dritt leben und alles teilen würden. Es tritt also auf einmal jemand in unser Leben, der emotional und körperlich genauso oder sogar näher an unserem Partner sein darf als wir. Bisher gab es jedoch die Verabredung, dass unsere Beziehung zu unserem Partner exklusiv ist. Diese Verabredung ist nun einseitig aufgehoben.
Als Erwachsene könnten wir uns dafür oder auch dagegen entscheiden. Wir könnten die Beziehung zu unserem Partner beenden und sagen: So habe ich mir das nicht vorgestellt.
Ein Kind kann das nicht - und will es auch nicht. Es liebt seine Eltern und ist dieser Entwicklung quasi ausgeliefert. Das Verlustgefühl ist jedoch da, die Trauer ist stark und schmerzhaft.
Hinzu kommt: Kein anderer fühlt diesen Verlust. Das Kind ist mit seinem Gefühl ganz allein und stürzt mitunter in ein Gefühlschaos. Es fragt sich: Wie wertvoll bin ich eigentlich für meine Eltern?
Wenn wir das Verhalten Ihres älteren Sohnes unter diesem Aspekt anschauen, erscheint sein zunächst nicht nachvollziehbarer Eifer in einem anderen Licht. Er ist vermutlich sehr verunsichert.
Was Ihr Sohn braucht ist Sicherheit. Und die Gewissheit, dass er weiterhin wertvoll für Sie als Mutter ist. Diese Sicherheit kann sich entwickeln, und Sie können dies unterstützen, indem Sie eine gewisse Klarheit und Struktur vorgeben. Wem gehört welches Spielzeug, welches Buch? Sie können das in einer gemeinsamen Aktion mit den Kindern sortieren und verschiedene Plätze vielleicht in unterschiedlichen Zimmern oder Regalen dafür finden.
Kindheit ohne Strafen: Neue wertschätzende Wege für Eltern, die es anders machen wollen
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28.05.2023 11.51 Uhr
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Schauen Sie auch, wo Ihr älterer Sohn "seinen Platz" hat. Gibt es zum Beispiel einen Raum, den er für sich allein hat? Darf er die Tür vom Spielzimmer auch mal zumachen und für sich sein? Achten Sie besonders darauf, dass er in seinen Grenzen geschützt wird - das scheint gerade sehr wichtig für ihn zu sein.
Und fragen Sie sich: Läuft der Große oft mit? Muss er viel kooperieren? Vielleicht finden Sie dann mal nur Zeit für ihn. Sie können eine Mama-Zeit mit ihm gemeinsam einrichten und zum Beispiel ein Schild basteln, das diese exklusive Zeit mit ihm besonders hervorhebt: Keiner stört uns, diese Zeit ist nur für uns. So kann er spüren, dass er Ihnen besonders wertvoll ist und wird mit der Zeit nicht mehr so eifrig seine Spielsachen verteidigen müssen.