Frauenarzt-Angebote für Behinderte "Keine attraktive Klientel"

Rollstuhlfahrerin mit Kind: Defizite bei der gynäkologischen Versorgung behinderter Frauen
Foto: Corbis
Swantje Köbsell, Professorin für Disability Studies, ist seit Jahrzehnten in der emanzipatorischen Behindertenbewegung aktiv. Als Mitglied des Netzwerks behinderter Frauen Bremen sowie von SelbstBestimmt Leben e.V. war sie an der Einrichtung der Barrierefreien Gynäkologischen Praxis am Klinikum Bremen beteiligt. Die Rollstuhlfahrerin hat selbst keine Kinder.
SPIEGEL ONLINE: Jede Frau ist angehalten, zweimal im Jahr zur Krebsfrüherkennung zum Gynäkologen zu gehen. Frauen mit Behinderung lassen sich nur äußerst selten beim Frauenarzt blicken.
Köbsell: Sie erleben es oft, nicht als Frau, sondern nur als Behinderte wahrgenommen zu werden. Auf ihren Kinderwunsch reagieren manche Ärzte auch heute noch mit Vorurteilen: 'Wie? Sie wollen Kinder kriegen? Wie soll das denn gehen?' Diese Barriere im Kopf ist noch schwerer zu überwinden als bauliche Barrieren in einer Praxis. Dazu kommt die oft als sehr würdelos empfundene Prozedur, auf den gynäkologischen Stuhl gezerrt zu werden, wenn kein Hebelifter vorhanden ist. Auch das An- und Ausziehen dauert länger und es muss immer jemand da sein, der mithilft. Am Ende sind alle genervt. Darum schieben viele behinderte Frauen einen Besuch so lange wie möglich auf. Das kann etwa im Fall der Krebsfrüherkennung gefährlich sein.
SPIEGEL ONLINE : Wieso stellen sich so wenig Praxen auf Frauen mit Behinderung ein?
Köbsell: Sie sind einfach keine attraktive Klientel. Die Behandlung ist oft sehr zeitintensiv und zahlt sich nicht aus, da die Ärzte nur die Standardvergütung bekommen. Deswegen ist auch der barrierefreie Umbau ihrer Praxen für die niedergelassenen Gynäkologen nicht attraktiv, da dies weitere behinderte Patientinnen anziehen würde.
SPIEGEL ONLINE : Welche Rahmenbedingungen müssten verändert werden?
Köbsell: So wie es auch die Allianz der deutschen NGOs zur UN-Behindertenrechtskonvention in ihrem Parallelbericht fordert , muss der Gesetzgeber die Barrierefreiheit einer Praxis zum Kriterium für die Zulassung machen; der Zeitaufwand für die Behandlung von behinderten Menschen muss angemessen vergütet werden, und vor allem muss ein Modul mit dem Schwerpunkt behinderte Frauen in das Medizinstudium sowie in die Fortbildungen der Ärzte integriert werden. Nur so können sie den angemessenen Umgang mit diesen Frauen erlernen.
SPIEGEL ONLINE : Gilt das besonders für die Facharztausbildung der Gynäkologen?
Köbsell: Ja, weil die Gynäkologie mehr umfasst als Krankheit und Gesundheit. Sie deckt auch die Bereiche Sexualität, Familienplanung, Schwangerschaft und Geburt ab. Behinderte Frauen werden zum Glück immer aktiver und machen auf die Versorgungslücke aufmerksam. Dennoch sind hier noch dicke Bretter zu bohren, besonders bei den Ärztekammern. Es gibt noch immer keine flächendeckenden Fortbildungen zum Thema.
SPIEGEL ONLINE : Nach Eröffnung der barrierefreien Praxis in Bremen hat zumindest die Ärztekammer in der Hansestadt solche Weiterbildungen im Programm gehabt.
Köbsell: Das ist richtig, und sie sind mit großem Interesse angenommen worden. Ob es diese Angebote gibt, hängt jedoch sehr von den Verantwortlichen in den einzelnen Kammern ab.
SPIEGEL ONLINE : Steht zu befürchten, dass behinderte Frauen auf ihren Kinderwunsch verzichten, weil sie sich gynäkologisch nicht gut genug betreut fühlen?
Köbsell: Das mag früher so gewesen sein. Aber für die jüngeren Frauen ist es heute viel selbstverständlicher geworden, mit Behinderung ein Kind zu bekommen. Und dank des Internets ist es heute viel leichter, an entsprechende Informationen zu kommen und geeignete Ärzte weiterzuempfehlen, wie zum Beispiel im Forum von Lebenswunder .