
Babywärmer Embrace: Ein Billig-Inkubator rettet Leben
Innovationen aus der Medizin Der Frühchen-Retter
Es sieht aus wie ein blauer Miniaturschlafsack, hat schon einigen Tausend Menschen das Leben gerettet - und könnte möglicherweise noch Hunderttausende mehr vor dem Tod bewahren. Das Besondere an "Embrace" ist, dass man auf alles besondere verzichtet hat: Tatsächlich ist es nicht viel mehr als eine Art Schlafsack, nur dass dieser aus einem Material besteht, das man aufwärmen kann. Für einige Stunden speichert der Sack die Wärme und gibt sie dann Stück für Stück an die Umgebung ab.
Für ein Baby, das zu früh zur Welt kam, kann das die Rettung bedeuten. Embrace erfüllt die wichtigste Funktion eines Inkubators für Frühgeborene: Er hält warm. Zwar haben moderne Inkubatoren, wie sie in Europa und den USA eingesetzt werden, weit mehr Funktionen als Embrace. Sie überwachen normalerweise auch alle Vitalfunktionen des Neugeborenen und sind mit Geräten zum Verabreichen von Infusionen, zum Beatmen oder Absaugen ausgestattet.
Doch solche Inkubatoren sind teuer. Sie kosten Tausende Euro, und kleinere Kliniken in Ländern in Afrika oder bestimmten Teilen Asiens können sich solche High-Tec-Inkubatoren nicht leisten. Ein weiteres Problem: Ein moderner Inkubator benötigt Strom, um zu funktionieren. In vielen Teilen der Welt ist genau das ein Problem.
Jährlich werden 15 Millionen Babys zu früh geboren. Vier Millionen von ihnen sterben, noch bevor sie einen Monat alt sind, das ist fast jedes dritte. Der häufigste Grund: Unterkühlung. Mediziner sprechen dann von Hypothermie.
Babys brauchen mindestens 32 Grad
"Hypothermie ist ein wesentliches Problem sogar in tropischen Entwicklungsländern", sagt Dominique Singer, Leiter der Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. "Wie viel Wärme ein Säugling braucht, unterschätzt man schnell. Die Wohlfühltemperatur für ein nacktes Neugeborenes liegt bei 32 Grad Celsius. Schon bei 23 Grad kommt seine Temperaturregulation an die Grenzen."
Dabei sei nicht immer das Problem, dass die Säuglinge erfrieren, sagt Singer. "Um sich warm zu halten, verbrauchen die Babys Sauerstoff und wertvolle Energiereserven, was sie gerade im Fall von Infektionen und anderen Krankheiten zusätzlich gefährdet."
Für Entwicklungsländer ist der Babywärmer Embrace , der seit Kurzem auf dem Markt erhältlich ist, deshalb ein Segen. Zudem kann er auch bei Transporten helfen, nämlich dann, wenn die sogenannte Känguru-Haltung nicht möglich ist: Dabei wird das Neugeborene direkt auf den unbekleideten Oberkörper der Mutter gelegt und anschließend von außen mit etlichen Lagen dicker Tücher abgedeckt. "Auf diese Weise bekommt das Kind die Wärme und Geborgenheit, die es braucht", sagt Hans Proquitté, Leiter der Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena.
Doch die Kinder könnten nicht rund um die Uhr auf ihren Müttern liegen. Auch bei Transporten sei die Känguru-Methode nicht immer anwendbar. "In Ländern ohne entsprechende Infrastruktur kann bei solchen Transporten der Babywärmer Embrace zum Einsatz kommen", sagt Christoph Bührer, Direktor der Klinik für Neonatologie an der Charité in Berlin.
Einfach, billig, praktisch
Entwickelt wurde Embrace von Studenten der Stanford University in San Francisco. "Wir haben bei unseren Recherchereisen in Nepal und Afrika schnell gemerkt, dass wir etwas brauchten, das ohne Strom funktioniert und so simpel ist, dass es auch eine Hebamme oder Mutter benutzen kann", sagt Jane Chen, eine der Gründerinnen von Embrace (hier geht es zur Webseite des Projekts ). "Gerade in Afrika bringen viele Mütter ihre Kinder noch zu Hause zur Welt, ohne ärztliche Betreuung."
Zudem sei wichtig, so Chen, dass man den Babywärmer leicht sterilisieren und so wiederverwenden könne. Auch der Preis sei entscheidend: Seit einigen Monaten ist Embrace erhältlich, er kostet nur etwas mehr als 200 US-Dollar, ein Hundertstel eines modernen Inkubators.
Bald bekommt das Projekt womöglich sogar Konkurrenz aus Großbritannien: Vergangenes Jahr gewann der Brite James Roberts den Dyson Award, eine Design-Auszeichnung für Studenten. "Mom", so heißt der von Roberts entwickelte Inkubator, sieht schon eher aus wie ein klassischer Inkubator, immerhin hat er eine Kastenform. Das Gerät wird aufgeblasen, erzeugt Wärme durch keramische Heizelemente und wird von einer Batterie betrieben, die 24 Stunden Strom liefert.
Außer wärmen kann Mom auch die Feuchtigkeit überwachen, mit einem integrierten Lichttherapieelement lässt sich auch Gelbsucht behandeln, eines der häufigsten Probleme bei Frühgeborenen. Der angesetzte Preis liegt bei etwa 300 Euro. Der einzige Haken: Bisher ist das Gerät nur ein Prototyp, es dürfte noch einige Zeit dauern, bis Mom auf den Markt kommt. Bis dahin sind Länder wie Uganda und Nepal noch auf Embrace angewiesen, um viele Tausend Neugeborene vor dem Tod zu bewahren, noch bevor deren Leben erst richtig angefangen hat.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand, es werden 15 Millionen Frühchen pro Tag geboren, nicht pro Jahr. Wir haben diesen Fehler korrigiert.

Christian Heinrich ging nach seinem Medizinstudium auf die Deutsche Journalistenschule. Seit 2010 arbeitet er als freier Journalist in Hamburg. Neben Gesundheits- und Wissenschaftsthemen schreibt er auch über Wirtschaft und Gesellschaft, Reise und Bildung.Homepage Christian Heinrich