Pränataldiagnostik Wissen mit Folgen

Ultraschallbild eines Säuglings
Foto: CorbisEs ist so leicht geworden, Informationen über das ungeborene Kind zu bekommen: Wenige Milliliter mütterliches Blut reichen aus, um das kindliche Erbgut auf Abweichungen zu untersuchen. Im Ultraschall lassen sich schon früh Auffälligkeiten entdecken, die auf manche Krankheiten oder Chromosomenveränderungen hindeuten.
Rund um das Thema Pränataldiagnostik stellen sich viele Fragen, mit denen sich werdende Eltern am besten schon zu Beginn der Schwangerschaft beschäftigen sollten. Will und muss jede Schwangere wissen, ob ihr Ungeborenes möglicherweise behindert zur Welt kommt? Wie aussagekräftig sind die Untersuchungen? Und was fangen Eltern mit dem Wissen an?
"Die meisten Paare gehen erst mal davon aus, dass mit ihrem Kind alles in Ordnung ist", sagt Eberhardt Merz, Vorsitzender der Fetal Medicine Foundation Deutschland. Gleichzeitig habe wohl jede Schwangere eine Grundangst, dass doch etwas nicht stimmen könnte. Das Hauptmotiv für zusätzliche vorgeburtliche Untersuchungen sei daher der Wunsch nach Sicherheit. "Umso wichtiger ist es, Schwangeren vorher zu sagen, dass bei den Untersuchungen Auffälligkeiten gefunden werden können, die sie vor schwierige Entscheidungen stellen", so Merz.
Recht auf Nichtwissen
Am Beispiel Nackentransparenzmessung verdeutlicht sich die Gratwanderung: Zur Routinediagnostik in der Schwangerschaft gehören drei Ultraschalluntersuchungen. Die Erste erfolgt normalerweise zum Ende des ersten Trimesters, also im dritten Schwangerschaftsmonat. Zu dieser Zeit lässt sich auch die Breite der sogenannten Nackentransparenz gut beurteilen, die Hinweise auf chromosomale Störungen wie Trisomie 21 (Down-Syndrom), 18 oder 13 liefern kann. Viele Ärzte lenken daher ihre Aufmerksamkeit auch auf dieses Detail, obwohl die Nackentransparenzmessung - eigentlich eine sogenannte Igel-Leistung, die extra bezahlt werden muss - weitreichende Konsequenzen haben kann.
Werden bei der Untersuchung Unregelmäßigkeiten festgestellt, sind oft weitere Untersuchungen nötig, um einschätzen zu können, ob es tatsächlich ein Problem gibt. Das sei den meisten Frauen aber nicht klar, sagt Claudia Mühl-Wingen, Leiterin von EVA, der Evangelischen Beratungsstelle für Schwangerschaft, Sexualität und Pränataldiagnostik in Bonn. "Theoretisch müsste der Arzt vorher fragen, ob die Frau es wissen will, wenn er Auffälligkeiten sieht. Aber das macht kaum einer", so Mühl-Wingen.
Die Folge: Schwangere rutschen - möglicherweise ungewollt - mitten hinein in den Prozess der Pränataldiagnostik (PND).

Dabei ist eine umfassende Aufklärung vor einer Untersuchung Pflicht. Das Gendiagnostikgesetz verlangt, dass Ärzte vor einer PND - hierzu gehören eben auch Ultraschalluntersuchungen, die gezielt nach Anzeichen für genetische Auffälligkeiten suchen - über Zweck, Umfang, Aussagekraft, mögliche Konsequenzen, die Risiken und die Grenzen einer Untersuchung aufklären. Sie müssen werdende Eltern außerdem auf die psychosoziale Beratung und auf das Recht hinweisen, nicht erfahren zu wollen, ob ihr Kind krank oder behindert ist.
Was bedeutet das Risiko für mich?
Eine gründliche Beratung vor der ersten Untersuchung ist auch deshalb wichtig, um die Ergebnisse einordnen und die Folgen abschätzen zu können. Blut- und Ultraschalluntersuchungen geben immer nur an, wie groß das Risiko für eine Krankheit oder Behinderung ist.
Der Ersttrimester-Test etwa, eine Kombination aus Nackentransparenzmessung, Bluttest und Alter der Mutter, erkennt ein Down-Syndrom zu etwa 90 Prozent. 90 von 100 Kindern mit Trisomie werden demnach erkannt - 10 aber nicht, deren Eltern sich in Sicherheit wiegen. Zugleich bekommen fünf von 100 Eltern ein falsch-positives Ergebnis: Obwohl ihr Kind kein Down-Syndrom hat, wird es fälschlicherweise als auffällig eingestuft.
Auf dieser Basis eine Entscheidung zu fällen, ist extrem schwierig. Deshalb wollen viele Paare Folgeuntersuchungen. Hohe Zuverlässigkeit bieten invasive Untersuchungen wie die Fruchtwasserpunktion. Dabei durchsticht der Frauenarzt mit einer langen Nadel die Bauchdecke, die Gebärmutter und die Fruchtblase und entnimmt Fruchtwasser. Die DNA der darin enthaltenen Zellen des ungeborenen Kindes wird dann analysiert.
Aber der Eingriff birgt das Risiko einer Fehlgeburt: Zwischen 1 und 2 von 200 Frauen sind davon betroffen. Unter ihnen sind auch Schwangere, bei deren Baby fälschlicherweise der Verdacht auf ein Down-Syndrom geäußert wurde.
Alternativ zur Fruchtwasserpunktion gibt es inzwischen auch Bluttests auf Trisomien (s. Kasten). Derartige Tests nutzen die Tatsache, dass im Blut der Mutter DNA-Bruchstücke des Kindes schwimmen. Der Preis von in der Regel mehreren Hundert Euro hängt unter anderem davon ab, ob die DNA nur auf Trisomie 21 oder auch auf Trisomie 18 oder 13 überprüft werden soll.
Schwere Entscheidung
Bestätigt sich etwa der Befund einer Trisomie 21, sagt das noch nichts über die Schwere der Beeinträchtigung aus. Je nachdem, ob die Chromosomenstörung mit einem Herzfehler oder mit Veränderungen im Verdauungstrakt einhergeht, sind unterschiedliche Krankheiten zu erwarten. Andere Kinder mit Down-Syndrom sind dagegen gesundheitlich recht stabil.
Auch kann eine DNA-Analyse nicht alle möglichen Störungen und Behinderungen erkennen - oder ausschließen. "Deshalb sage ich Eltern nach einer Untersuchung nur: 'Ihr Kind sieht unauffällig aus.' Nicht: 'Ihr Kind ist gesund'", erklärt Mediziner Merz, der in Frankfurt ein großes Zentrum für Ultraschalldiagnostik und Pränatalmedizin leitet. "Das ist ein großer Unterschied."
Für Merz lautet die wichtigste Frage, die sich Paare stellen sollten: Hat die Diagnose für uns eine Relevanz? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Denn nur wenige Erkrankungen lassen sich im Mutterleib behandeln.
Eine richtige oder falsche Entscheidung gibt es dabei nicht: Während das eine Paar vor der Geburt lieber nichts von einer Behinderung wissen will, kann es für ein anderes hilfreich sein, sich darauf vorzubereiten. Sicher ist aber eines: Wird bei der Pränataldiagnostik eine Auffälligkeit festgestellt, stehen werdende Eltern vor der schweren Entscheidung, ob sie ihr Kind bekommen wollen oder nicht.
Zusammengefasst: In der Schwangerschaft begleitet viele Frauen die Angst, dass mit ihrem Kind etwas nicht stimmen könnte. Die Pränataldiagnostik kann Hinweise auf Krankheiten liefern, birgt aber auch das Risiko falscher Diagnosen und einer großen psychischen Belastung für die Eltern. Daher sollte man sich vor einer solchen Untersuchung überlegen, welche Folgen ein auffälliger Befund hätte. Am Ende steht oft die Frage: Würde man das Kind bekommen wollen, auch wenn es möglicherweise krank oder behindert ist?

Carina Frey, studierte Soziologin, arbeitet nach Stationen bei "Frankfurter Rundschau" und dpa als freie Journalistin. Ihre Schwerpunkte sind Verbraucher- und Wissenschaftsthemen.