Kinderwunsch Krebs - und trotzdem schwanger

Chemotherapie und Bestrahlung können Frauen von Krebs heilen. Oft aber schädigt die Behandlung die Eierstöcke. Inzwischen gibt es Methoden, die Fruchtbarkeit vieler Patientinnen zu bewahren.
Patientin bei der Chemotherapie: Zur Krebstherapie-Planung gehört auch die Familienplanung

Patientin bei der Chemotherapie: Zur Krebstherapie-Planung gehört auch die Familienplanung

Foto: Corbis

Für junge Frauen ist die Diagnose Krebs besonders erschütternd. Nicht nur ihr eigenes Leben steht auf dem Spiel - auch um ihre Lebensplanung müssen sie sich sorgen: Kann ich überhaupt noch schwanger werden? Tatsächlich mussten Frauen, die eine Krebserkrankung überstanden hatten, früher häufig auf Kinder verzichten, weil Chemo- und Strahlentherapie die Eierstöcke schädigen.

"Heute können wir aber vielen Krebspatientinnen ihren Kinderwunsch erfüllen", sagt Michael von Wolff, leitender Reproduktionsmediziner an der Uniklinik in Bern. Viele Jahre behandelte er an der Uniklinik in Heidelberg regelmäßig Frauen mit Brustkrebs. "Es war schön zu sehen, dass wir viele heilen konnten", erzählt er, "aber es war auch frustrierend, weil ich wusste, dass die oftmals jungen Frauen keine Familie mehr gründen konnten."

2004 hörte er auf einem Kongress, dass Kollegen bei einer Krebspatientin Eierstockgewebe entnommen, eingefroren und ihr dann wieder eingepflanzt hatten. Kurz darauf wurde die Frau schwanger. 2006 gründete er gemeinsam mit anderen Gynäkologen das Netzwerk FertiPROTEKT : Der Zusammenschluss von öffentlichen und privaten Kliniken bietet fruchtbarkeitserhaltende Therapien nach den neuesten Erkenntnissen an. "Die Behandlungen werden in den Zentren des Netzwerks wissenschaftlich untersucht und weiter entwickelt. So können wir jeder Frau die passendste und wirksamste Behandlung anbieten."

Wie sehr Chemo- oder Strahlentherapie die Fruchtbarkeit einschränken, hängt von drei Faktoren ab:

  • der Art der Krebsbehandlung,
  • dem Alter der Frau,
  • der sogenannten Eierstockreserve - der Anzahl der noch in den Ovarien vorhandenen Eizellen.

Die Eierstockreserve lasse sich messen, erklärt Andreas Jantke, Leiter der Kinderwunschsprechstunde an der Berliner Charité.

Basierend auf der persönlichen Situation der Patientin sowie ihrer Wünsche schlagen die Gynäkologen die passende Behandlung vor: Wegen der Vielzahl an Möglichkeiten ist eine umfassende Beratung besonders wichtig.

Verschiedene Patientinnen, unterschiedliche Behandlungen

Einer 30-jährigen Frau mit Brustkrebs, deren Tumor hormonabhängig wächst, riet von Wolff kürzlich zu einer Kryokonservierung des Ovargewebes: Bei einer Bauchspiegelung entnimmt der Gynäkologe meist die Hälfte eines Eierstocks, das Gewebe wird eingefroren und später wieder eingepflanzt. "Das ist für junge Frauen ideal, weil sie noch viele Eizellen haben", sagt von Wolff.

Einer 38-Jährigen mit einem hormonunabhängigen Tumor etwa, würde der Gynäkologe dagegen eine Stimulationsbehandlung empfehlen: Die Frau bekommt Hormonspritzen, damit mehr Eizellen heranreifen. Diese werden dann entnommen und eingefroren. Später können sie aufgetaut, im Reagenzglas befruchtet und dann der Frau eingepflanzt werden.

Der 25-jährigen Frau mit Lymphdrüsenkrebs, die eine schwache Chemotherapie bekommen sollte, empfahl von Wolff Spritzen mit einem Gonadotropin-Releasing-Hormon-Agonisten (GnRHa).

Diese Medikamente führen zu einem Hormonmangel und damit zu einer Ruhepause für die Eierstöcke - sie werden vorübergehend künstlich in die Wechseljahre versetzt. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die Chemo die Eierstöcke schädigt, ist in diesem Fall geringer", erklärt von Wolff. "Die Eizellen reifen nicht heran und werden von der Chemotherapie weniger stark angegriffen. Ist die Behandlung beendet, nehmen die Eierstöcke später höchstwahrscheinlich ihre Funktion wieder auf." Der Frau kann er so die Laparoskopie für die Entnahme ersparen.

"Möchte die Frau später unbedingt schwanger werden, bespreche ich das natürlich mit ihr", sagt von Wolff. Eine Bauchspiegelung sei heutzutage ein kleiner ambulanter Eingriff mit geringen Risiken. Bräuchte die Frau mit Lymphdrüsenkrebs allerdings eine aggressive Chemotherapie, sei das Risiko hoch, dass die Eierstöcke geschädigt werden. In so einem Fall kombiniert von Wolff gerne mehrere Methoden, um die Wahrscheinlichkeit für eine spätere Schwangerschaft zu erhöhen: Zunächst entnimmt er zum Beispiel Eierstockgewebe, danach wird eine Stimulationsbehandlung durchgeführt und nach zwei Wochen zusätzlich ein GnRHa gespritzt.

Die Patientinnen würden oft nicht oder nicht ausreichend über Möglichkeiten der Fruchtbarkeitserhaltung aufgeklärt, findet Frank Nawroth, niedergelassener Gynäkologe in Hamburg und wie von Wolff Mitglied im Leitungsteam von FertiPROTEKT. "Es hat lange gedauert, bis wir die Onkologen davon überzeugen konnten, dass zu einer Krebstherapie-Planung auch die Familienplanung gehört." Inzwischen würden viele Kollegen die Patientinnen vor Beginn der Krebstherapie aber routinemäßig zu ihm schicken. "Auch wenn eine Frau nach dem Schock der Diagnose einer bösartigen Erkrankung keine spätere Schwangerschaft in Erwägung zieht, sollte sie trotzdem hierzu beraten werden", sagt Jantke. "Eine Beratung kostet nichts und später bereut sie vielleicht, diese nicht wahrgenommen zu haben."

Die folgenden Kosten werden meist nur teilweise von den Krankenkassen übernommen. Je nach Methode müssen Patientinnen Hunderte oder auch Tausende Euro einkalkulieren.

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ZUR AUTORIN
Foto: Felicitas Witte

Felicitas Witte fragt, bis selbst die besten Experten keine Antwort mehr haben. Die Ärztin und Journalistin prüft jede Studie auf Herz und Nieren und erklärt, was von angeblich bahnbrechenden neuen Therapien zu halten ist.

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