
Verhütung Bitte schön still sein. Und schlucken


Im Jahr 2017 haben in Deutschland mehr Frauen abgetrieben als im Jahr zuvor: Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche stieg um 2,5 Prozent - von 98.721 auf 101.209. Das ist keine schöne Nachricht, und es ist sinnvoll, mögliche Ursachen für diese Zunahme zu ergründen.
Oder man nutzt diese Zahl, um seine eigenen Anliegen voranzubringen und Frauen weitgehend ihre Kompetenzen abzusprechen. Wie das der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) am 7. März tat, den Weltfrauentag hat er nur knapp verfehlt.
Die Frauenärzte (hier ihre Pressemitteilung ) sehen die Schuld für die Zunahme bei den Schwangerschaftsabbrüchen in diesen zwei Punkten:
1. Die Pille danach ist seit 2015 ohne Rezept in der Apotheke zu bekommen
Lange war die Pille danach in Deutschland nur mit ärztlichem Rezept zu bekommen, während sie in vielen anderen Ländern rezeptfrei war. Es ist der EU zu verdanken, dass sich das 2015 geändert hat und Frauen etwa nach einer Verhütungspanne ein Mittel in der Apotheke holen können.
Das scheint die Frauenärzte immer noch zu grämen, die über Jahre gegen die Rezeptfreiheit lobbyierten. "Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass die Apotheker durch ihre eigene Standesorganisation ungenügend auf diese anspruchsvolle Beratung vorbereitet wurden, und das zu einer Zunahme unerwünschter Schwangerschaften führen könnte", sagt der Präsident des BVF, Christian Albring, jetzt.
Warum ein erleichterter Zugang zu Notfallverhütung die Zahl der ungewollten Schwangerschaften erhöht? Denken Sie sich etwas aus! Vielleicht ist es so, dass Frauen - diese sorglosen, diese irrationalen Wesen - nun gar nicht mehr vorab oder währenddessen, sondern nur noch danach verhüten? Oder sie machen dabei jetzt alles falsch (wegen der inkompetenten Apotheker)?
Was die Beratung in Apotheken hierzulande angeht. Ja, die ist bisweilen suboptimal. Aber dem gesamten Berufsstand die Beratungskompetenz in dieser Fragestellung abzusprechen - dafür braucht man schon Chuzpe.
Vor allem, wenn man sich den zweiten Schuldigen aus Sicht der Frauenärzte anschaut:
2. Es wird offener über Nebenwirkungen der Antibabypille gesprochen
2015 wurde viel über den Prozess von Felicitas Rohrer berichtet, die gegen Bayer klagt. Rohrer überlebte knapp eine Lungenembolie und leidet unter Folgeschäden. Dass diese Nebenwirkung von Antibabypillen nicht nur übergewichtige oder diabeteskranke Frauen treffen kann, sondern auch sie als junge, sportliche Vegetarierin, war aus dem Beipackzettel nicht ersichtlich, argumentiert sie.
Der BVF klagt über eine davon angestoßene "massive Kritik an der hormonellen Verhütung in den Medien". Er meint, aus diesem Grund verhüteten jetzt mehr Frauen mit unsicheren Methoden (der Verband nennt Zyklus-Apps) - und würden ungewollt schwanger.
Zum Prozess schreibt der BVF: "Die Frauen hatten moniert, dass die Herstellerfirma ihrer Informationspflicht auf dem Beipackzettel nicht ausreichend nachgekommen war." Moniert!
Monieren kann man das Haar in der Suppe oder die Unordnung auf dem Kollegen-Schreibtisch. Wenn man fast gestorben ist und dann feststellt, dass man über eine mögliche, lebensgefährliche Medikamenten-Nebenwirkung nicht vernünftig aufgeklärt wurde, dann ist das kein Monieren. Aber es ist wohl so: Wenn eine Betroffene gegen einen Pharmakonzern vor Gericht zieht, muss sie sich auch noch Seitenhiebe der Frauenärzte gefallen lassen.
Antibabypillen können sehr, sehr selten sehr schwere Nebenwirkungen haben, an denen sogar zuvor gesunde Frauen sterben. Darüber sollten, darüber müssen, Frauenärzte, Apotheker und Beipackzettel aufklären. Und auch darüber: Die neueren Präparate verursachen häufiger gefährliche Blutgerinnsel als die älteren. (Mehr zum Thrombose-Risiko finden Sie hier.)
Was der BVF dazu sagt? 2015 zum Beispiel, dass das Komplikationsrisiko doch relativ gering sei! Und dass die neueren Pillen unter anderem seltener Akne und Haarausfall verursachen.
Lebensgefährliches Gerinnsel contra hübsches Haar: Man muss halt Prioritäten setzen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte meint übrigens: "Hier muss die ärztliche Beratung in besonderer Weise darauf abzielen, dass Verhütungspillen keine Lifestyle-Produkte sind, sondern Arzneimittel, die mit Risiken verbunden sein können."
Immerhin: Vor Zyklus-Apps zu warnen, die nicht auf der Methode der natürlichen Familienplanung (NFP) beruhen, ist wirklich sinnvoll. NFP aber ist eine Verhütungsmethode mit hoher Sicherheit. Ja, sie benötigt eine Lernphase und mehr Engagement als ein tägliches Pillenschlucken. Aber statt darüber zu klagen, dass Frauen sich Zeit nehmen, ihren Körper kennenlernen müssten und Sorgfalt bräuchten, könnten Frauenärzte ja auch unterstützend sagen: NFP trägt dazu bei, dass Frauen den eigenen Körper besser verstehen. Oder sie könnten ihren Patientinnen ein Mindestmaß an Eigenverantwortung - und Sorgfalt! - zutrauen.
Es ist eine Mutmaßung, jetzt den Zusammenhang herzustellen, dass die Frauenärzte weiterhin volle Wartezimmer wollen - und Frauen, die für die Notfallverhütung in die Apotheke gehen oder kein regelmäßiges Pillenrezept brauchen, dort halt nicht mehr sitzen oder nur noch seltener. Dass sich der BVF dagegen wehrt, wäre sogar verständlich. Verbände sind schließlich dafür da, für die Interessen ihrer Mitglieder zu trommeln.
Wirklich ärgerlich aber ist, dass unterm Strich der Eindruck entsteht, Frauen müssten bei der Notfallverhütung wieder an die Hand genommen werden. Und dass sie überfordert seien von Verhütungsmethoden jenseits der Antibabypille.