Muttermilch-Studie Gestillte Kinder haben später höheren IQ

Sind gestillte Kinder später schlauer? In einer aktuellen Studie zeigen brasilianische Forscher, dass Muttermilch offenbar einen Einfluss auf den IQ der Babys hat - unabhängig vom sozialen Status der Eltern.
Mutter beim Stillen: Babys, die Muttermilch bekommen, haben statistisch gesehen später einen höheren IQ

Mutter beim Stillen: Babys, die Muttermilch bekommen, haben statistisch gesehen später einen höheren IQ

Foto: Corbis

Muttermilch schützt Kinder vor Krankheiten, vor Allergien und vermutlich auch vor Übergewicht. Dass Stillen gesund ist, ist unumstritten. Doch beeinflusst die Allround-Nahrung im Säuglingsalter auch die Entwicklung des Gehirns? Oder platt gefragt: Sind gestillte Kinder später schlauer?

Eine aktuelle Studie aus Brasilien, die jetzt im Medizinjournal "The Lancet Global Health" veröffentlicht wurde, scheint diese These zu bekräftigen.

Die Forscher um Bernardo Lessa Horta von der Universidade Federal de Pelotas sammelten dafür Daten von knapp 6000 Kindern, die 1982 in der südbrasilianischen Stadt Pelotas geboren wurden. Diese teilten sie je nach Stilldauer in fünf verschiedene Gruppen ein: Weniger als einen Monat, ein bis drei Monate, drei bis sechs Monate, sechs bis zwölf Monate, mehr als zwölf Monate voll gestillt. Auch Zufüttern mit Tee oder Wasser wurde erfasst.

Drei Monate Stillen - 0,7 IQ-Punkte

Nach 30 Jahren unterzogen sie die noch verbliebenen 3493 Teilnehmer der Studie einem Intelligenztest. Das Ergebnis: Umso länger Babys voll gestillt wurden, desto mehr Punkte erreichten sie später als Erwachsene auf der IQ-Skala. Drei Monate volles Stillen beispielsweise brachte durchschnittlich 0,7 Punkte mehr; ein ganzes Jahr hauptsächlich Muttermilch sogar vier Punkte. Zufüttern schmälerte den Effekt um etwa die Hälfte.

Zudem beobachteten die Forscher den beruflichen Werdegang sowie den sozialen Status der Probanden. Auch hier schnitten die lange voll gestillten Kinder gegenüber ihren mit Fläschchen gefütterten Altersgenossen besser ab. Sie verfügten demnach durchschnittlich über fast ein Jahr mehr Schulbildung und verdienten mit 30 Jahren 341 Reais (knapp 100 Euro) pro Monat mehr. In Brasilien entspricht das etwa einem Drittel des durchschnittlichen Einkommens.

"Der Effekt des Stillens auf die Entwicklung des Gehirns und die kindliche Intelligenz ist bereits gut belegt. Weniger klar war bisher, inwieweit dieser bis ins Erwachsenenalter hinein fortdauert", sagt der Epidemiologe Lessa Horta. Bisher vermuteten Wissenschaftler, dass die positive Wirkung mit der Zeit gegen Null tendiert.

Effekt durch Fettsäuren?

Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass offenbar auch die Milchmenge eine Rolle spielt, mutmaßt Horta. Muttermilch hat einen hohen Anteil essentieller langkettiger Fettsäuren, die für die Entwicklung des Gehirns wichtig sind. Ob diese letztlich aber tatsächlich für den Effekt verantwortlich sind, lässt sich bisher nicht endgültig sagen.

Gleichwohl wiesen die brasilianischen Forscher den Zusammenhang zwischen Stillen und der Intelligenz in allen sozialen Schichten nach. Dabei berücksichtigten sie zehn soziale Faktoren, die den IQ beeinflussen, und rechneten deren Effekte heraus - darunter das Familieneinkommen, den Bildungsgrad der Eltern, Rauchen in der Schwangerschaft, das Alter der Mutter bei der Geburt des Kindes, die Art der Geburt sowie die genetische Herkunft.

"Das Herausrechnen dieser Nebeneffekte legt nahe, dass Muttermilch tatsächlich eine Intelligenz-fördernde Wirkung hat", sagt Frank Reister, Leiter der Sektion Geburtshilfe der Universitätsklinik Ulm, der nicht an der Untersuchung beteiligt war. "Die Studie ist gut gemacht. Alle Daten wurden zeitnah erhoben und nicht Jahre später abgefragt. Dadurch sind sie verlässlich."

Frühere Studien hatten Familieneinkommen und Bildungsgrad der Eltern außer Acht gelassen und dafür Kritik geerntet. Stillkinder stammten hauptsächlich von Müttern aus der Mittelschicht, die durchschnittlich besser gebildet und intelligenter als Mütter von Fläschchenkindern waren. Deshalb wurde der kognitive Vorsprung der Stillkinder eher sozialen Ursachen zugeschrieben.

Die brasilianische Studie ist nunmehr die zweite, die Hinweise darauf liefert, dass gestillte Kinder höhere IQ-Werte erreichen als Fläschchenkinder. Bereits 2008 hatte eine randomisierte kanadische Studie  mit rund 14.000 weißrussischen Wöchnerinnen einen solchen Effekt gezeigt. Allerdings wurden in dieser Studie die Intelligenztests im Grundschulalter gemacht.

"Beide Studien stützen die These, dass Stillen mit einem höheren IQ assoziiert ist", sagt Reister. "Interessant an der brasilianischen ist allerdings, dass hier nicht nur ein abstrakter Intelligenzwert ermittelt wurde, sondern dieser sich auch in einer besseren materiellen und immateriellen Lebensqualität niederschlägt."

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Zur Autorin
Foto: Katrin Neubauer

Katrin Neubauer hat in Deutschland und den USA Lateinamerikanistik und Journalismus studiert. Sie arbeitet als freie Redakteurin in Berlin.

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