Muttermilch Warum viele Frauen nur kurz stillen

Das beste Fast Food der Welt - das ist Muttermilch, sagen Experten. Trotzdem stillt rund die Hälfte der Frauen kürzer als die empfohlenen sechs Monate. Gründe gibt es mehrere.
Frau beim Stillen

Frau beim Stillen

Foto: imago/ Westend61

Selig nuckelnde Babys. Stolz lächelnde Muttis. Weiches Licht: Selfies stillender Mütter sind inzwischen in den sozialen Medien an der Tagesordnung. Dort scheint es, als sei es für die heutige Generation das Normalste der Welt, die Brust zu geben. Supermodels und Stars haben es vorgemacht, die privaten Momente im Netz zu teilen. Sogar ein eigenes Stichwort ist dafür entstanden: #Brelfie, ein Mix aus Selfie und Breastfeeding, wie Stillen auf Englisch heißt. Aber stimmt der Eindruck aus dem Netz - stillen fast alle Mütter und kommt Milchpulver seltener zum Einsatz?

Experten zufolge klafft zwischen Wunschvorstellung und Praxis beim Stillen eine große Lücke: "Dass Stillen gut für Kinder ist, hat sich herumgesprochen. Viele Frauen fangen mit dem Stillen an", sagt die Stillbeauftragte des Deutschen Hebammenverbandes, Aleyd von Gartzen. Dann kommt das große Aber: Viele Mütter stillten oft nach wenigen Wochen ab, sagt von Gartzen. Laut der Nationalen Stillkommission  beginnen 90 Prozent der Mütter mit dem Füttern an der Brust, nach zwei Monaten werden noch 70 Prozent der Säuglinge gestillt, nach sechs Monaten sind es nur noch zwischen 40 und 50 Prozent.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dagegen empfiehlt , sechs Monate ausschließlich zu stillen und danach bis zu einem Alter von zwei Jahren Stillen und Beikost zu kombinieren. Wenn gewünscht, kann noch länger gestillt werden. Die WHO als internationale Organisation spricht ihre Empfehlung auch im Hinblick auf schwere Infektionskrankheiten etwa durch verunreinigtes Wasser aus: In wenig entwickelten Ländern senkt Stillen die Säuglingssterblichkeit .

Vom Stillen überfordert?

Aber auch hierzulande gilt Muttermilch als optimale Nahrung für Säuglinge und als förderlich für die Bindung von Mutter und Kind. Beide Seiten profitieren gesundheitlich: Beim Baby sinkt etwa das Risiko für Infektionskrankheiten, Allergien und Asthma. Bei Müttern kann Stillen das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs reduzieren. Gleichzeitig ist auch Milchersatznahrung so ausgewogen zusammengesetzt, dass auch Kinder, die nicht gestillt werden, gesund aufwachsen.

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Als Grund für frühes Abstillen vermutet von Gartzen unter anderem unrealistische Vorstellungen vom Leben mit einem Baby. Viele seien vom Stillen in der ersten anstrengenden Zeit überfordert. Außerdem suggerieren all die Bilder von glücklich stillenden Müttern, dass es das einfachste der Welt ist. Dass aber gerade kurz nach der Geburt einige Probleme wie etwa Schmerzen oder Brustentzündungen auftreten können, gerät dabei meist aus dem Fokus.

Wie kann das geändert werden? Die Weichen für erfolgreiches Stillen werden bereits im Krankenhaus nach der Geburt gestellt. Dort fehle aber oft die richtige Betreuung, kritisiert von Gartzen, die auch Mitglied der Nationalen Stillkommission (NKS) ist, einem Gremium zur Förderung des Stillens. Werde das Kind falsch angelegt, hätten die Mütter oft schon nach zwei oder drei Tagen derartige Schmerzen durch lädierte Brustwarzen, dass sie sich von guten Vorsätzen verabschiedeten. Und das, bevor der Milchfluss überhaupt richtig in Gang gekommen sei.

Experten sehen bei den Müttern eine große Verunsicherung: Ihr Glaube an sich selbst - und damit auch an das intuitiv richtige Verhalten des Babys - gehe jungen Frauen zunehmend verloren. Die Flasche zu geben und zum Beispiel genau zu wissen, wie viel das Kind getrunken hat, suggeriere am Ende mehr Kontrolle.

Doch auch das gesellschaftliche Verhalten dürfte das Stillen in der Praxis beeinflussen. Laut einer kürzlich erschienenen Studie  im Auftrag des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sind explizit negative Reaktionen auf öffentliches Stillen zwar eher selten. Allerdings stand jeder vierte Befragte dem Stillen im öffentlichen Raum zwiespältig oder ablehnend gegenüber. Für jede Zehnte der befragten Mütter, die bereits abgestillt hatten, sei die ablehnende Haltung in der Öffentlichkeit ein Grund für das Abstillen gewesen, hieß es.

Diskriminierung im Café

Gerade in Restaurants und Cafés kann Stillen als unangebracht empfunden werden, wie vor gut einem Jahr auch ein Fall aus Berlin zeigte. Eine junge Mutter geriet mit einem Cafébesitzer aneinander und startete daraufhin eine Petition für einen gesetzlichen Schutz des Stillens in der Öffentlichkeit. Das Thema wurde zwar breit diskutiert, ihre Forderung blieb am Ende aber folgenlos.

Die Nationale Stillkommission, die ihren Sitz am BfR hat, will Frauen darin bestärken, in der Öffentlichkeit zu stillen. In einer Stellungnahme spricht sie sich für einen klaren Appell an die Bevölkerung und an Mütter aus: Stillen sei gesund und könne nicht warten - egal unter welchen Umständen.

Fotos von stillenden Promis sind womöglich ein Schritt in die richtige Richtung. Sie könnten eine breite Vorbildfunktion haben, glaubt Expertin Aleyd von Gartzen. Ob Mütter heute mehr und über einen längeren Zeitraum stillen als noch vor 20 Jahren und aus welchen Gründen - das wollen Forscher nun in Erfahrung bringen. Befragt werden sollen in einer Studie im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) Mütter, aber auch Hebammen, Ärzte und Pflegepersonal. Die Ergebnisse werden 2020 erwartet.

hei/dpa
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