Frühgeburt So geht es Vätern, wenn das Baby zu früh auf die Welt kommt

Am 29. Januar 2015 wurde Benjamin Peters Tochter mit nur 320 Gramm geboren. Der damals 32-Jährige fühlte sich ohnmächtig, er wollte alles tun, damit seine Tochter überlebte - aber er konnte kaum helfen. Anfangs durfte er sie nicht einmal in den Arm nehmen, dazu war sie viel zu klein und zart.
Zudem jagte ein Problem das nächste: Weniger als 24 Stunden nach der Geburt hatte das kleine Mädchen einen Herzstillstand. Es überlebte nur, weil die Ärzte schnell genug eingriffen. Es folgten Infektionen, eine Blutvergiftung, Probleme mit der Atmung. Die Ernährung war schwierig und das Baby wuchs zu langsam.
Aber es gab auch Fortschritte: Drei Wochen nach der Geburt durfte Benjamin Peters seine Tochter das erste Mal im Arm halten. "Ich konnte mein Glück kaum fassen", sagt er. Weitere drei Monate später durften Peters und seine Frau ihr Kind endlich mit nach Hause nehmen, es wog inzwischen 2190 Gramm.
Rückgrat sein für die anderen
Als Vater eines Frühchens hatte Peters eine besondere und oft schwierige Rolle. Mutter und Kind bekamen natürlich alle Aufmerksamkeit, er fühlte sich, als stünde er in der zweiten Reihe, mitunter wie ein Zuschauer. Gleichzeitig bewegten ihn die immer neuen Fragen und Probleme genauso stark wie seine Frau, er fürchtete ebenso wie sie um das Leben der Tochter. Seine Stimme zittert, wenn er von diesen Wochen und Monaten spricht. Die Zeit in der Klinik sei die härteste Zeit in seinem Leben gewesen, sagt Peters.
"Meine Frau ist psychisch normalerweise recht stark, aber gerade nach der Geburt und als unsere Kleine immer wieder unmittelbar in Lebensgefahr schwebte, war sie natürlich sehr emotional. Meine Rolle war schnell klar: Ich versuchte, ein robustes Rückgrat zu sein. In den Gesprächen mit den Ärzten und auch mit meiner Frau bemühte ich mich, die Dinge vergleichsweise unemotional zu betrachten und rational zu hinterfragen.
So bildeten meine Frau und ich in dieser Zeit ein gutes Team. Dass ich hier etwas bewirken konnte, und wenn es nur dieser stabilisierende Effekt auf meine Frau war, das war für mich extrem wichtig.
Ansonsten fühlte ich mich während dieser Monate oft verloren. Zwar integrierten mich Ärzte und Schwestern so gut wie möglich, und ich konnte mich auch gut um die Kleine kümmern. Aber ich war eben nicht die Mutter. In seltenen Fällen fühlte es sich sogar so an, als dürfte ich auch mal was machen, damit ich zufrieden bin. Dass ich aber praktisch wirklich gebraucht wurde, das fühlte sich einfach nicht so an. Und das war manchmal schwierig."
Überforderte Väter
Eva Vonderlin, Leiterin des Bereiches Kinder und Familien an der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg, kennt dieses Problem: "Der Vater ist nach dem modernen Rollenmodell ebenso Bezugsperson für das Kind wie die Mutter und möchte darüber hinaus emotionale Unterstützung für seine Partnerin bieten." In der extremen Situation nach einer Frühgeburt wolle er dieser Rolle natürlich besonders gerecht werden. "Wenn das nicht gelingt, kann das zu einer Überforderung werden", so Vonderlin.
Immer wieder sieht die Psychotherapeutin Väter, die unter psychosomatischen Symptomen wie Bauchschmerzen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen leiden.
Bei vielen Vätern wird der Druck während der Wochen und Monate nach einer Frühgeburt noch dadurch verschärft, dass der normale berufliche Alltag weiterläuft. "Es gibt Mutterschutz vor und nach der Geburt, aber keine ähnliche Schutzzeit für die Väter", sagt Vonderlin. "Viele Männer müssen neben den Strapazen in der Klinik auch noch die Arbeit bewältigen."
"Ich war oft am Limit"
Diese Erfahrungen musste auch Sebastian Behrens machen. Der 35-Jährige wurde im Juli 2015 Vater eines Sohnes, der bei der Geburt 1480 Gramm wog.
"In der 35. Schwangerschaftswoche kam sehr überraschend unser Sohn schon zur Welt. Ich hatte zwar das große Glück, bei meinem Arbeitgeber spontan drei Wochen Urlaub zu bekommen. Doch danach kehrte ich in meine Firma zurück, während meine Frau und mein Kind mich zu Hause brauchten. 'Herr Behrens, Sie passen auf Ihre Familie auf', hatte der Arzt bei der Entlassung aus der Klinik zu mir gesagt. Das hatte er natürlich freundlich gemeint, aber es war im Nachhinein ein enormer Druck. Im Büro arbeitete ich manchmal wie ein Zombie, zu Hause war ich vollkommen erschöpft, aber die Anstrengung ging dort weiter.
Ich war in dieser Zeit oft am Limit. Die meisten Menschen erkundigen sich natürlich nach dem Befinden von Mutter und Kind. Man fühlt sich da schnell wie das fünfte Rad am Wagen."
Austausch bei Facebook
Wenn sich alle vornehmlich um Mutter und Kind kümmern, braucht auch der Mann jemanden, mit dem er reden kann. Sebastian Behrens fehlte dieser Austausch. Erst zwei Jahre später wurde er auf einen Verein aufmerksam, in dem er sich mit Gleichgesinnten unterhalten konnte. Weil ihm das so gut tat, hat er eine Facebook-Gruppe gegründet . Obwohl erst vor wenigen Wochen ins Leben gerufen, hat sie bereits mehr als 90 Mitglieder. Behrens sagt:
"Es ist eine geschlossene Gruppe, man kann also nur Mitglied werden, wenn man Frühchen-Vater ist. Innerhalb der Gruppe sind alle erstaunlich offen. Gerade die neuen Mitglieder erzählen meist sehr ausführlich ihre Geschichte, das führt dann zu Gesprächen. Wir reden über alles Mögliche, es geht um emotionale und psychologische Dinge, um die Beziehung zum Partner, und auch um ganz praktische Dinge wie die Frage, wann das Baby Beikost bekommen sollte. Zeitpunkt der Einführung der Beikost. Für mich ist die Gruppe Informationsquelle und Schulter zum Anlehnen zugleich."
Eva Vonderlin empfiehlt, zusätzlich professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen: "In fast jeder neonatologischen Station in Deutschland gibt es auf Anfrage eine psychologische Beratung und einen Sozialdienst, der bei wichtigen Fragen hilft." Dabei könne bei allen möglichen Themen Unterstützung empfohlen werden - für die Geschwisterbetreuung, für das Kochen in den ersten Wochen zu Hause, für die bürokratischen Anforderungen wie die Beantragung von Kindergeld.
"Wer Hilfe annimmt, hat mehr Zeit für die Familie", so Vonderlin. "Und wenn es gar nicht mehr anders geht und man stark unter dem Stress leidet, muss man sich für ein paar Tage krank schreiben lassen." Jeder müsse seine eigenen Grenzen kennenlernen.
Hilfe finden die beiden Frühchen-Väter Sebastian Behrens und Benjamin Peters bis heute auch untereinander, im Austausch mit anderen Frühchen-Vätern, mit denen sie über das Erlebte reden. Jetzt, wo sie große Hürden genommen haben, wirken sie gefestigt, sie haben ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Ihren Kindern, heute beide drei Jahre alt, geht es gut.