Warum ich mit 27 Jahren Viagra genommen habe

Von Hannes Isart

Dieser Beitrag wurde am 15.03.2017 auf bento.de veröffentlicht.

Im Grunde waren es die besten Monate meines Lebens. Austauschsemester in einem kleinen Dorf in Spanien. Tapas, Salsa, ein bisschen Studium und viele attraktive Austauschstudentinnen.

Auf einem Konzert lernte ich eine Amerikanerin kennen, in die ich mich sofort verguckte. Eigentlich war sie eine Liga zu hoch für mich. Deswegen war ich auch sehr aufgeregt, als wir im Schlafzimmer landeten: Was wenn ich zu schnell komme? Wird sie den Sex mögen? Was, wenn ich erst gar keinen hoch bekomme?

Mit diesem Gedanken war es schon zu spät. Ich konnte meine Erektion nicht halten.

Und war verzweifelt. Ich erfand Entschuldigungen, warum ich nicht bei ihr übernachten kann. Und ich fuhr in den nächst größeren Ort, um einen Sexshop aufzusuchen.

Eigentlich hasse ich diese Läden, quälte mich aber aus Verzweiflung hinein und schilderte mein Problem. Sie empfahlen mir einen Penisring und eine Creme.

Am Abend probierte ich beides sofort alleine aus. Durch den Ring staute sich das Blut tatsächlich und auch die Creme erhitzte meine Lenden. Jetzt versuchte ich mir vorzustellen, wie ich mit der Amerikanerin im Bett liege. Und sofort zog sich alles in mir zusammen. Übrig blieb nur noch eine Hautreizung von der Creme.

Ich meldete mich immer weniger bei der Amerikanerin. Ich schämte mich. Wir haben nie richtig Schluss gemacht, es versickerte einfach so. Die schlimmste Art eine Beziehung zu beenden.

Wer ist Hannes Isart?

Sex ist eine ernste Sache. Wegen all der Tabus und Unsicherheiten sind gerade die ersten intimen Momente ein großer Schritt (außer man hat drei Flaschen Wein gemeinsam getrunken). Unser Autor ist Mitte 30, Journalist und Comedian und hat mit der Zeit gelernt, im Bett zu lachen – und so Nähe zu schaffen.

Mit Freunden habe ich nie darüber gesprochen, deswegen fühlte ich mich sehr allein mit meinem Problem. Es lag definitiv keine körperliche Störung vor, es war alles in meinem Kopf.

Ich Nachhinein weiß ich, dass ich komplett verlernt hatte, Intimität, Sex und Körperlichkeit zu genießen. Es ging nur noch darum zu performen. Ich wollte meine Erektion nicht mehr dem Zufall überlassen.

Einige Wochen nach meiner Rückkehr saß ich mit einer Erkältung bei meinem heimischen Hausarzt. Erst als sich der Arzt schon verabschieden wollte, sagte ich: "Moment, ich hätte da noch eine anderes Problem." Ich kam mir lächerlich vor, war ich doch erst 27. Aber mein Arzt war überraschend verständnisvoll. Deswegen verließ ich wenig später die Apotheke mit vier blauen Pillen in der Tasche. Viagra. (In dieser PDF  findest du mehr Infos zu Risiken und Nebenwirkungen von Viagra.)

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Wie würde sich der Sex mit Viagra anfühlen? Würde es mich zu einem gierigen Sex-Monster machen? Mir gefiel der Gedanke nicht, dass auch mein Psyche beeinflusst wird. Aber in diesem Moment war es für mich wichtiger, endlich wieder guten Sex zu haben.

Kurz darauf landete ich nach einer Geburtstagsfeier bei einem Mädel zu Hause. Noch bevor wir die Bar verließen, nahm ich eine halbe Pille. Ich war ruhig. Heute Nacht würde es klappen.

Im Bett spürte ich keine Geilheit. Es fühlte sich normal an, genau das wollte ich ja, endlich wieder normal sein. Auf einmal konnte ich mich wieder auf den Moment konzentrieren. Keine Angst mehr. Ich fand ihre Haut schön. Ihre Haare.

Bei den nächsten zwei Treffen nahm ich sicherheitshalber noch mal eine halbe Pille. Und ich spürte, wie mein Selbstbewusstsein zurückkehrte. Danach ging es komplett ohne; denn ich wusste ja: Im Zweifel konnte ich immer wieder auf Viagra zurückgreifen. Meine mentale Blockade war überwunden.

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Nach diesen Erfahrungen habe ich mich im Bett nie wieder so unter Druck gesetzt – und auch nie wieder Hilfe in Pillenform gebraucht. Klar, bin ich manchmal noch ein bisschen nervös, wenn ich eine neue Partnerin habe. Aber mittlerweile finde ich das normal.

Und wenn es dann doch mal vorkommt, dass es mit der Erektion nicht sofort klappt, verfalle ich nicht in Panik. Es hilft mir, die Nervosität zu gestehen: "Du, es liegt nicht an dir, ich will unbedingt mit dir schlafen, aber irgendwie bin ich grad ein bisschen angespannt. Können wir ein bisschen kuscheln und uns unterhalten?" Wenn ich abgelenkt bin, geht es nach kurzer Zeit wieder.

Woher kommt der Gedanke, dass beim Sex immer alles glatt laufen muss?

Liegt es an den Filmen und Serien, die nur Ausschnitte zeigen? Kennenlernen in einer Bar, Schnitt zum wildes Kleidervomleibgereiße, kurze undeutliche Sexszene, danach liegen sich beide cool im Arm.

Inzwischen gehört zu gutem Sex für mich dazu, sich auch eine gewisse Uncoolness einzugestehen. Sich selbst und seinem Partner. Wir sind ja schließlich keine Maschinen.

Um mein zurückgewonnenes Selbstbewusstsein auszutesten, startete ich neben meinem normalen Online-Dating-Profil ein zweites Profil, in dem ich vorwiegend nach Sex-Kontakten suchte. Was zwei unterschiedliche Profile auf derselben Plattform so für Schwierigkeiten mit sich bringen, das lest ihr in der nächsten Kolumne.

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